Apotheke mit 75

Der Kayser kommt zurück nach Cottbus

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Berlin -

Erst kam die Pharmazie, dann kam die Pleite, dann kamen die Panzerautos. Dr. Michael Kayser hat ein bewegtes Berufsleben hinter sich. Nach mehr als 30 Jahren als erfolgreicher Centerapotheker und Standortentwickler stand er kurz vor dem Rentenalter plötzlich mit leeren Händen da. Jetzt hat der 75-Jährige die Insolvenz hinter sich gelassen – und tritt in der Apotheke an der Priormühle in Cottbus noch einmal an.

16 eigene Apotheken hat Kayser in seinem Leben bislang betrieben – meist mit großem Erfolg. Bei unzähligen weiteren hat er Kollegen bei der Gründung geholfen. Wenn er aus seinem Leben erzählt, dann lässt sich erahnen, wie es war in jenen Jahren, in denen Apotheker noch mit stillen Gesellschaftern teilen durften. In denen sie dafür kämpfen mussten, einen Teil ihrer Verkaufsfläche für die Selbstbedienung zu nutzen. In denen es Kollegen aus dem Westen weit in den Osten verschlug, weil dort Goldgräberstimmung herrschte.

Kaysers Karriere beginnt vergleichsweise unspektakulär. Apotheker gibt es in seiner Familie seit 400 Jahren, da ist nicht ungewöhnlich, dass auch er Pharmazie studiert. Als er die Promotion 1976 in Braunschweig abschließt, taucht ein Vertreter der Apobank am Institut auf. Ob er Geld brauche, jetzt, wo er sich selbstständig machen werde. Für eine Apotheke. Für ein Haus. Für einen Porsche.

Eigentlich braucht er kein Geld. Denn er geht nach Großheide in Ostfriesland. Die Gemeinde stellt ihm Apotheke und Haus für 500 Mark im Monat zur Verfügung. Noch dazu hat er reich eingeheiratet, „das war nicht verkehrt“, wie er sagt. Nur der Porsche, der reizt ihn. Nur wenige Jahre, eine S-Klasse und eine Scheidung später steigt er um auf einen Jaguar. Von dem Händler, der ihm die 12-Zylinder-Maschine eines Tages ungefragt vor die Friesen-Apotheke stellt, wird noch zu reden sein.

1980 bekommt Kayser die Gelegenheit, im Einkaufszentrum Altenessen eine Apotheke zu eröffnen. Der Kontakt kommt über Jochen Rühe zustande, der fortan seine Hände auf allen Standorten in ECE-Centern hält. Als Kayser mit ihm zusammenarbeitet, sind stille Beteiligungen noch nicht verboten. „Der Deal war eigentlich fair: Für ein Angestelltengehalt und 50 Prozent vom Gewinn konnte man eine fertig eingerichtete Apotheke übernehmen“, erinnert er sich. „So mancher Kollege wäre ohne ihn nie zu seiner Millionen-Euro-Apotheke gekommen.“ Gratis dazu gibt es für Kayser Urlaub auf Sylt und gemeinsame Ausflüge im Ferrari nach Monaco und um die halbe Welt. „Das war eine tolle Zeit.“

Drei Jahre später will Kayser trotzdem weg. Er verkauft die AEZ-Apotheke gewinnbringend und gründet in Solingen eine Apotheke, die zwar seinen Namen trägt, die er aber nur selten von innen zu Gesicht bekommt. „Ich war damals ein großer Tennisspieler und 1984 war ein Jahrhundertsommer.“ Er gibt auch diesen Betrieb ab, der fortan unter dem Namen St. Michael auftritt – nicht wegen des Vorbesitzers, sondern wegen des Heiligen.

Das neue Objekt, das Kayser bereits im Blick hat, ist das Löhr-Center in Koblenz. Rühe will ihm den Mietvertrag verkaufen, doch er kommt über den Centermanager – seinen Mentor, wie er ihn heute nennt – auch so an die Fläche heran. 1989 nimmt er einen jungen Kollegen an Bord, doch glücklich werden die beiden nicht miteinander. Kayser verlässt die OHG nach zwei Jahren.

Nach der Trennung von seinem Kompagnon sitzt er am Rhein und überlegt, wie es weitergehen soll. Er wird demnächst 50, Freunde von ihm haben nach der Wende in den neuen Bundesländern ihr Glück versucht, Kayser überlegt, ob er ihnen folgen soll. Er spricht Axel Gerhards an, Chef des Apothekeneinrichters G+M. Mit ihm hat er – genauso wie mit dem Konkurrenten Th. Kohl – bereits in den 70er-Jahren einige Apotheken aus der Taufe gehoben. Warum sollte man das Geschäftsmodell der Gründung für Andere nicht wiederbeleben?

Er kommt nach Erfurt und ist überwältigt: Dort, wo sich im Westen 15 Apotheken das Geschäft teilen, gibt es in der ehemaligen DDR eine. Und die kann plötzlich in D-Mark abrechnen. „Von solchen Umsatzgrößen konnten wir nur träumen“, sagt er. Und: „Die wahren Wendegewinner waren die Apotheker.“ Er fährt herum, attraktive Standorte lassen sich einfach finden. „Wir haben in zwei bis drei Jahren rund ein Dutzend Apotheken gemacht.“

Dann bekommt er selbst den Mietvertrag für die Apotheke am Klinikum in Cottbus. 35 Ärzte sind in dem Ärztehaus am Carl-Thiem-Krankenhaus untergebracht, ein halbes Dutzend weitere in der Umgebung. „Das war ein Sechser.“ Anders als andere Zugezogene aus den alten Bundesländern kommt Kayser in der Stadt an. Er integriert sich, lernt Ärzte kennen, Lokalpolitiker und die Fußballstars der Stadt: „Ich habe dort nicht nur gearbeitet, sondern gelebt. Ich wurde ein echter Cottbuser.“

Doch dann löst sich die Familie auf, seine Frau geht mit den Kindern nach Berlin. Kayser will hinterher, will in der Nähe bleiben. Und wieder scheint er im Lotto zu gewinnen. In den Rathauspassagen am Alexanderplatz soll nach der aufwendigen Sanierung auf 11.000 Quadratmetern ein Walmart einziehen, direkt an der einzigen Rolltreppe soll eine Apotheke entstehen. „Ein Hammerobjekt!“

70 Apotheker bewerben sich, Kayser bekommt den Zuschlag. Den jungen Centermanager überzeugt, dass der Apotheker in Essen und Koblenz an den ECE-Standorten die jeweiligen Werbegemeinschaften geleitet hatte. Kayser triumphiert, kalkuliert mit 7500 Bonkunden pro Tag. „Das wäre aus dem Stand eine 5-Millionen-Euro-Apotheke geworden.“ Im 11. Stock mietet er gleich noch eine Wohnung.

Doch Walmart kommt nicht. Der US-Konzern entscheidet sich überraschend für den Rückzug aus Deutschland, kündigt im Dezember 2003 den Mietvertrag. Die Rathauspassagen werden zum „Friedhof“. Die großen Ketten wie Douglas, Deichmann und Wöhrl haben ein Rücktrittsrecht, der Lottoladen und die Apotheke nicht. Kayser macht einen folgenschweren Fehler: Statt sich mit der Wohnungsbaugenossenschaft Mitte vor Gericht zu streiten und notfalls einen Abschlag zu zahlen, eröffnet er im Mai 2004 mit sieben Angestellten. Der Anfang vom Ende.

Kayser stemmt sich gegen den Niedergang, er tritt die Flucht nach vorne an und expandiert. Kurzzeitig gehört ihm die traditionsreiche Berolina-Apotheke am Hackeschen Markt, außerdem die Apotheke im Gesundbrunnen-Center und die Apotheke im Wegedorn-Zentrum. Die Apotheke im Neuen Kranzler Eck leidet darunter, dass der Bahnhof Zoo seit der Eröffnung des Hauptbahnhofs nicht mehr so stark frequentiert wird.

Und bei noch einem Standort liegt er falsch. Die Apotheke im Tegel-Center wird zur „kompletten Fehleinschätzung“. Kayser bereitet sich gut vor, er stellt sich vor die Gorki-Apotheke Dr. Knoll auf der anderen Straßenseite und zählt mit einer Stoppuhr die Kunden. „Alle 20 Sekunden kam da jemand raus, elf Millionen Euro Umsatz waren realistisch.“ Er kalkuliert damit, dem alteingesessenen Betrieb locker drei Millionen Euro abnehmen zu können. Er fragt Rühe und vergewissert sich bei Franz Schrödl, Vertriebsleiter von Phoenix in Cottbus. Doch es wird nichts, trotz des tollen Personals, wie er sagt.

Kayser geht finanziell die Luft aus, auch wegen seines luxuriösen Lebensstils. Die extravagante Newton-Bar am Gendarmenmarkt ist lange seine Stammkneipe. Nun muss er Privatinsolvenz anmelden – er, der die größten Apotheken in Rheinland-Pfalz und Brandenburg betrieben hatte, muss seinen Verbund abgeben. „Am Ende meiner erfolgreichen beruflichen Laufbahn stand leider eine Niederlage“, resümiert er.

Doch nun zahlt sich aus, dass er ausgerechnet als Berufsanfänger jenen Jaguar gekauft hatte: Der Verkäufer von damals ist über all die Jahre nicht nur sein bester Freund geblieben, sondern auch ein erfolgreicher Händler von Luxuslimousinen. Und er weiß das kommunikative Talent des Pharmazeuten zu schätzen: Wenn er einmal mit Apotheken nichts mehr am Hut habe, solle er zu ihm kommen, hatte er immer wieder gesagt.

Mittlerweile hat sich die Firma auf die Verpanzerung von Autos spezialisiert, neben Militärs und Special Forces gehören Wohlhabende aus aller Welt zu den Kunden. Kayser kümmert sich in seinem Berliner Netzwerk um Geschäftsräume, bei Bentley entsteht ein Showroom für die Firma. Dreimal pro Woche besucht der insolvente Apotheker nun Empfänge in Botschaften oder geht mit Militärattachés essen. „Das habe ich sechs Jahre lang mit großer Hingabe gemacht.“ Doch Ende 2016 ist Schluss. Sein Arbeitgeber verlegt sich auf Luxusautos, die Repräsentanz in der Hauptstadt wird aufgegeben.

Natürlich bekommt Kayser mit, was in Cottbus bei der EU-Versandapotheke passiert. Doch es ist der Apothekenberater Edgar Frey, der ihn auf die Apotheke an der Priormühle aufmerksam macht. Das Objekt steht leer, seit Inhaberin Bettina Habicht nach dem Streit mit Phoenix am Telering einen Neuanfang versucht. Kayser kennt nicht nur den Standort von früher, sondern auch den früheren Vermieter. Obwohl der das Objekt mittlerweile an einen spanischen Fonds verkauft hat, bekommt Kayser den Vertrag. Und so entscheidet er sich, zurück in seine alte Wahlheimat zu gehen.

Seit einigen Wochen wird eingeräumt, mit fünf Mitarbeitern will Kayser am kommenden Montag eröffnen. Die Apotheke mit 260 Quadratmetern ist zwar nicht an einem besonders frequentierten Standort gelegen, dafür gibt es sieben Praxen mit 14 Ärzten im Haus. Kayser kennt sie teilweise noch von früher. Und obwohl das Objekt fast ein Jahr lang leer stand, ist Kayser überzeugt, dass das Ganze ein Heimspiel wird. „Wir haben hier eine tolle Basis und wir haben alles vorbereitet. Da kann überhaupt nichts schief gehen.“

Neulich, da sei er in der Stadt bei der Bank gewesen, da habe man ihn gleich erkannt und ihm gratuliert, dass er wieder da sei. Über solche Gesten freut er sich am meisten. Er sei glücklich, sagt er. „Ich glaube, dass ich hier für den Rest meines Lebens noch einmal ein schönes Projekt gefunden habe.“

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