Der Großhändler der Großhändler Patrick Hollstein, 20.08.2010 15:13 Uhr
Im kommenden Jahr wird die Andreae-Noris Zahn AG (Anzag) 170 Jahre alt. Obwohl Deutschlands drittgrößter Apothekenlieferant, gilt die Anzag seit zwei Jahrzehnten als „Großhändler der Großhändler“. Um das Kräfteverhältnis innerhalb der Branche auszugleichen, hatten die Mitbewerber die Anzag gleich zweimal unter sich aufgeteilt. Die Idee eines apothekereigenen Marktführers scheiterte an den Kartellbehörden.
Im Mai 1987 erhielten die Genossenschaften Egwa und Wiveda, die ein Jahr später zur Sanacorp verschmolzen, einen Hinweis, dass Adolf Merckle die Übernahme eines größeren Anzag-Pakets plane. Der Eigentümer des Generikaherstellers Ratiopharm stand kurz vor Vertragsabschluss mit der Bayerischen Vereinsbank, die allerdings mit dem zweiten Anzag-Großaktionär, dem Bankhaus Metzler, ein Vorkaufsrecht vereinbart hatte.
Im Auftrag von Egwa/Wiveda sowie des ebenfalls genossenschaftlichen Großhändlers Noweda und des Ratiopharm-Konkurrenten Stada kaufte die DG Bank (heute: DZ Bank) knapp 45 Prozent der Anteile am Frankfurter Großhändler. Nach weiteren Zukäufen teilten die apothekereigenen Unternehmen im Juni 1987 zwei Drittel der Anzag-Aktien unter sich auf. Merckle war vorerst gestoppt - und gründete später Phoenix.
14 Jahre später wiederholte sich bei der Anzag Geschichte. Diesmal waren es die DG Bank, die das von der Stada übernommene Paket veräußern wollte, und der Italiener Stefano Pessina, der mit seinem Pharmahändler Alliance UniChem ein Auge auf den deutschen Markt und den Frankfurter Großhändler geworfen hatte.
Im Mai 2001 meldete die Sanacorp ihre Kaufabsicht beim Bundeskartellamt an; durch die Übernahme des Pakets hätte die Münchener Genossenschaft die Mehrheit erlangt. Doch die Wettbewerbshüter intervenierten wegen Überschneidungen in neun von 14 Gebieten. Die Sanacorp klagte und zog bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) - am Ende ohne Erfolg.
Im September 2003 übernahmen Celesio und Phoenix die Anteile der DZ Bank, zunächst mit einer Call-Option zugunsten der Sanacorp, die nach dem endgültigen Aus vor den Wettbewerbsgerichten wegfiel. Doch schon im Dezember 2003 gab es plötzlich einen weiteren Mitaktionär: Nachdem die Noweda von der Sanacorp aus dem Aufsichtsrat gedrängt worden war, machte die Essener Genossenschaft Kasse und verkaufte 19 Prozent ihrer Anteile für 61 Millionen Euro an Alliance UniChem, heute Alliance Boots.
Damit war die Pattsituation komplett. Wollte man die Briten nicht in den Markt lassen, mussten die deutschen Eigentümer bei der Anzag bleiben. Ein anderes strategisches Interesse gab es nicht, schließlich gab es weder ein Vor noch ein Zurück. Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle versuchte noch einmal, die Mächteverhältnisse zu verändern: Als die Sanacorp ihr Geschäft in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der französischen Genossenschaft Cerp Rouen einbrachte, pochte Celesio auf ein vereinbartes Vorkaufsrecht – ebenfalls ohne Erfolg.
So standen zuletzt die Machtverhältnisse bei der Anzag fest: Alliance Boots hält bereits knapp 30 Prozent der Anteile, die Sanacorp ist mit knapp 25 Prozent beteiligt. Den Anzag-Aufsichtsrat hatten die beiden Unternehmen unter sich aufgeteilt, keinen Posten im Kontrollgremium haben derzeit die übrigen Großaktionäre Celesio (13 Prozent), Phoenix (12,5 Prozent), Noweda, Mediq (je knapp 6 Prozent).
Jetzt tritt Celesio die Flucht nach vorn an. Als die Finanzmärkte im Sommer 2008 in die Knie gingen, halbierte sich auf einen Schlag auch der Anzag-Kurs und verhagelte dem ebenfalls börsennotierten Konzern aus Stuttgart regelmäßig die eigene Bilanz. Wie es nach einem möglichen Einstieg von Pessina und seinen US-Finanzinvestoren KKR mit dem deutschen Großhandelsmarkt weitergeht, weiß derzeit niemand.