Es war ruhig geworden um Ralf Däinghaus. Wenige Wochen, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) das Fremdbesitzverbot am 19. Mai 2009 bestätigte, ging der DocMorris-Gründer von Bord. Sein großes Ziel, das Fremdbesitzverbot zu Fall zu bringen, hatte er nicht erreicht, genauso wenig wie die 500 Franchiseapotheken. Aber immerhin hatte ihm sein zehnjähriges Gepolter gegen die verfasste Apothekerschaft einen zweistelligen Millionenbetrag gebracht. Zur Pharmazie war er durch Zufall gekommen – es hätte genauso gut jeden anderen regulierten Beruf treffen können.
Däinghaus verabschiedet sich zum 1. August 2009 bei DocMorris. „Ich habe neun Jahre öffentlich für DocMorris gestritten“, schreibt er in seinem Blog. „Die, die es sehr gestört hat, brauchen sich nicht mehr ärgern: Kein Apotheker-Schreck mehr. Kein Beschleuniger. Kein kreativer Zerstörer mehr. Kein Robin Hood. Kein David gegen Goliath. Es wird, was das betrifft, entspannt im Apothekenland.“
Zehn Jahre zuvor lernt er auf einer Party in Hamburg den niederländischen Apotheker Jaques Waterval kennen, der in Kerkrade eine Apotheke betreibt und ihm berichtet, dass viele seiner Kunden aus Deutschland kämen. Däinghaus sieht das Potenzial, und so stürzt er sich bald in und auf den Apothekenmarkt.
Am 29. März 1967 geboren, wächst Däinghaus in Wipperfürth bei Köln auf. „Mein Opa war Bauer, mein Vater Dreher. Er hat sich auf dem zweiten Bildungsweg qualifiziert. Ich war der Erste aus unserer Familie, der studiert hat“, gibt er später gegenüber der Berliner Zeitung zu Protokoll. Nach der Bundeswehr geht er nach Erlangen, um Informatik zu studieren. Danach arbeitet er zwei Jahre lang als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Fraunhofer-Institut in Stuttgart; er leitet in der Abteilung Produktionstechnik und Automatisierung im Maschinenbau die Arbeitsgruppe „Virtuelle Realität“.
1995 holt ihn der Medienkonzern Burda als Leiter des Cyber Lab an Bord; er soll den Verlag in die Internetära führen. Doch Däinghaus bleibt nur einige Monate: „Ich dachte, wenn ich schon so ein großer Experte bin, müsste mehr daraus zu machen sein.“
Im Februar 1996 gründet er gemeinsam mit einem Kollegen bei Burda, dem späteren Dokumentarfilmer Andreas Stütz, die Internetagentur Yellow Planet in München. Das Start-up erstellt Websites für ProSieben, MSN und Polyglott und wird nur zwei Jahre später an den TV-Hersteller Loewe Opta verkauft, der es auf von der Firma entwickelte Technologie zum Internetsurfen mit dem Fernseher abgesehen hat.
Nachdem er Kasse gemacht hat, geht Däinghaus als New Business Manager zur Multimediaagentur US-Web/CKS nach Hamburg. Doch der Weg zurück ins Angestelltendasein ist ihm versperrt, und so nutzt er die Chance, die sich nach dem Zufallstreffen mit dem Apotheker aus den Niederlanden bietet. Gemeinsam mit Waterval gründet er am 8. Juni 2000 in Landgraaf die Apotheke 0800DocMorris – benannt nach dem Privatauto des niederländischen Apothekers. Das Ladengeschäft ist in einem barackenartigen Gebäude untergebracht, im Hof werden Container aufgestellt, aus denen heraus zunächst fünf Mitarbeiter ein kleines Sortiment von 350 Medikamenten für den Versand vorbereiten.
Um die Sache groß aufziehen zu können, holt Däinghaus den Finanzinvestor Techno Nord an Bord. „Wir wollten die Sache von Anfang an richtig aufziehen, und dafür brauchten wir viel Geld“, erinnert er sich später. Hinter dem Finanzinvestor steht Dr. Gottfried Neuhaus; der Wirtschaftsingenieur hat mit seiner Computerfirma ein Vermögen gemacht. Später stoßen 3i und HG Capital als Geldgeber dazu.
2004 ist erstmals von einem Verkauf die Rede, laut Däinghaus wollen sich die Investoren, denen die Versandapotheke zu zwei Dritteln gehört, von ihren Anteilen trennen. Der Zeitpunkt ist günstig; der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den grenzüberschreitenden Versandhandel zumindest von OTC-Produkten für zulässig erklärt; den Rx-Versand gibt es von der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) quasi gratis dazu. Doch es soll noch drei Jahren dauern und ein weiteres EuGH-Verfahren erfordern, bis sich mit Celesio tatsächlich ein Käufer findet, der 220 Millionen Euro auf den Tisch legt.
Däinghaus bleibt zunächst an Bord, doch die Welt der Großkonzerne ist auch die seine nicht. Ihm geht es um das Prinzip: Er hat sich vorgenommen, das Fremdbesitzverbot zu Fall zu bringen. Dass er damit scheitert, sitzt tief. Bei einer Pressekonferenz am 19. Mai 2009 wirkt er fahrig, erinnert sich nicht einmal an das Gericht, vor dem er beziehungsweise seine Verbündeten aus der saarländischen Politik für die Sache gekämpft haben.
Als er seine Fassung wiedergefunden hat, erklärt er schriftlich, dass er stolz auf die Dinge sei, die sich geändert hätten: „Versand ist erlaubt, die Preisbindung bei OTC ist gefallen, nur der Fremdbesitz bleibt. Nun gut.“ Dann gönnt er sich eine Auszeit – eine einjährige Weltreise mit seiner Familie, Berichterstattung im ganz persönlichen Blog inklusive – und lässt im Osten von Düsseldorf eine futuristische Villa errichten.
Danach versucht er es wieder mit einer Neugründung: Kunesto soll eine Art „Seniorenclub“ werden. Als Partner kann er prominente Unterstützer gewinnen, unter anderem Neuhaus, den DocMorris-Financier der ersten Stunde, Agenturchef Frank Dopheide (Grey, Scholz & Friends, Handelsblatt) und Unternehmensberater Dr. Axel Baur (McKinsey).
Nach schwierigem Start wird das Konzept überarbeitet: Statt einer festen Mitgliedschaft sollten Interessenten einzelne Veranstaltungen, Kurztrips und Seminare buchen können. Doch auch mit diesem Ansatz kommt Kunesto nicht weiter. Däinghaus und seine Investoren verlieren in der Anfangsphase einen Millionenbetrag. Das Modell verschwindet 2014 von der Bildfläche.
Aus Kunesto ergibt sich aber die nächste Idee: Um den Freizeitclub in Schwung zu bringen, kooperiert Däinghaus ab 2013 mit den Westfälischen Nachrichten beziehungsweise der Westdeutschen Zeitung. Warum nicht Zeitungsverlage als Dienstleister unterstützen, um Diskussionsrunden und Aktionen mit Lesern und interessanten Gesprächspartnern zu organisieren, die dann wieder als Anlass für aktuelle Berichterstattung dienen könnten?
„News2Go“ soll den Verlagen eine bessere Leser-Blatt-Bindung bringen: „Wir wollen Lokalredaktionen ein neues redaktionelles Werkzeug anbieten, um Beiträge für Leser konkreter, erlebbarer und interessanter zu machen“, verspricht Däinghaus noch im September 2015 im Gespräch mit dem Fachdienst „Kontakter“. Vor allem kleine Regionalzeitungen sollten von dem Angebot profitieren, die besonders von rückläufigen Auflagen betroffen seien. Doch auch das Projekt wird beendet, bevor es richtig begonnen hat.
Stattdessen wird der Apothekerschreck plötzlich bei der Expopharm in Düsseldorf gesichtet. Ob der Besuch reinem persönlichen Interesse entspringt oder doch schon für die strategische Neuorientierung steht, weiß man zu diesem Zeitpunkt nicht: Der versprochene Rückruf des eigentlich medienerfahrenen Unternehmers kommt nie zustande. Seit Jahresbeginn steht Däinghaus in den Diensten von Aegate – als Deutschlandchef und Chief Strategy Officer zugleich. Neuer Ärger scheint vorprogrammiert.
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