Die Corona-Krise ist zum Alltag geworden, auch in Apotheken. Teams und Kunden haben sich an die neuen Gegebenheiten gewöhnt, kommen irgendwie damit klar. Doch welche Auswirkungen hat die Pandemie langfristig auf den Apothekenmarkt? Die Freudengesänge der Versandapotheken lassen für die Vor-Ort-Apotheken nichts Gutes befürchten. Der Markt steht am Scheideweg, kommentiert Alexander Müller.
Seit die Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus verschärft wurden, steigen die Zahlen im Versandhandel im gesamten Handel rasant. Marktanalysen zufolge hat sich die Anzahl der verschickten Pakete seit Mitte März nahezu verdoppelt. Soziale Distanzierung und geschlossene Einzelhändler haben die Verbraucher massenhaft in die Onlineshops getrieben. Die Menschen verbringen mehr Zeit zu Hause, mehr Zeit im Internet und haben weniger Gelegenheit, ihr Geld „auf der Straße“ auszugeben.
Für Apotheken gilt das nur eingeschränkt, denn sie hatten während der Krise durchgehend geöffnet. Die Kunden kamen gerade zu Beginn in Scharen, haben ihre Rezepte gebracht oder sich Desinfektionsmittel herstellen lassen. Dieser Rausch ist aber schnell abgeklungen, in vielen Apotheken geht es seitdem deutlich ruhiger zu. Viele Inhaber setzen ihre Hoffnung auf die für den Handel beschlossenen Lockerungen und wieder steigende Umsätze.
Normalität wird sich so schnell nicht wiederherstellen, Mundschutz und Plexiglas werden noch eine Weile bleiben. Trotzdem wird sich ein neuer Alltag etablieren und dann stellt sich die Frage: Wo beziehen die Menschen ihre Arzneimittel?
Die Zur Rose-Gruppe mit DocMorris als Flaggschiff hatte schon früh gejubelt, dass man durch die „aktuelle globale Covid-19-Krise eine deutlich schnellere Marktakzeptanz für den Medikamentenversand und digitale Gesundheitsdienstleistungen“ erwarten könne. Im März wurden mit einer Wandelanleihe noch einmal 175 Millionen Franken eingesammelt für weiteres Wachstum. Und im ersten Quartal stieg der Umsatz der Gruppe um knapp 16 Prozent.
Der größte Konkurrent Shop-Apotheke hat heute Zahlen veröffentlicht: Umsatzplus von 33 Prozent in Q1 auf jetzt 232 Millionen Euro. 300.000 Neukunden, knapp 4,2 Millionen Bestellungen. Teilweise sollen bei Versendern Paletten auf dem Hof stehen geblieben sein, weil das Personal nicht nachkam.
Da wundert es schon, wenn Abda-Präsident Friedemann Schmidt über die Angst vieler Kollegen vor einem wachsenden Versandanteil äußerte: „Ich nehme das nicht so wahr und die Zahlen zeigen das auch nicht.“ Sicher, man kann diese Zahlen nicht 1:1 fortschreiben, aber eine Delle spüren viele Apotheken schon jetzt und einer Wiederbelebung des öffentlichen Lebens steht eine gesamtwirtschaftliche Rezession entgegen, die auch die Apotheken treffen wird.
Dass die Apotheken trotzdem gestärkt aus der Krise hervorgehen werden, wie ihr Präsident weissagt, kann trotzdem richtig sein. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung haben die Apotheken gewonnen, ebenso in der politischen Wertschätzung. Gezielter Regelrückbau (Abgaberegeln) und die Honorierung sozialer Leistungen (Botendienst) sind nur die äußeren Erscheinungsformen. Nicht weniger wichtig ist die hoffentlich sich dauerhaft durchsetzende Erkenntnis, dass eine wohnortnahe Versorgung in Krisen wie dieser nicht nur bequem und nützlich, sondern unersetzlich ist. Und dass eine inhabergeführte Struktur effizient ist, wenn verantwortliche Unternehmer sich selbst und auf eigene Kosten um die Schutzmaßnahmen in ihren Betrieben kümmern (Plexiglas).
Der Einzelhandel hat in anderen Branchen im Lockdown neue Wege für sich entdeckt. Buchhändler haben sich zusammengeschlossen, neue Plattformen der „Kleinen“ sind entstanden. Und die Verbraucher haben Initiativen für den Einzelhandel gegründet, bewusst ihre Läden vor Ort gestärkt. Wenn die Apotheken diesen Schwung mitnehmen und gleichzeitig die Chancen der Digitalisierung für sich nutzen, muss der Versandhandel nicht der Gewinner der Krise sein. Die Politik hat es in der Hand, auf das richtige Pferd zu setzen – um nicht nur in Krisenzeiten den Menschen die beste Versorgung zu sichern.
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