Das plant der neue Chef bei Stada Patrick Hollstein, 11.10.2017 10:24 Uhr
„Durch und durch gesund.“ So lautet die Diagnose von Dr. Claudio Albrecht für die Stada. Vor wenigen Tagen hat der 58-Jährige den Patienten übernommen, der nach den internen Querelen der vergangenen Monate noch rekonvaleszent ist. Sein Rezept: ein wenig Ruhe und ein moderates Fitnessprogramm. Und dann mit frischer Kraft in die Zukunft.
Seit Anfang Oktober ist Albrecht Vorstandschef bei Stada. Was ihn von seinen Vorgängern unterscheidet? „Ich sehe besser aus.“ Ein Witz. „30 Jahre Erfahrung in der Generikabranche.“ Albrecht ist smart, selbstbewusst und gelassen. Er müsste diesen Job nicht machen. Aber er will. Denn einen Manager wie ihn gibt es derzeit kein zweites Mal in der Pharmabranche. Das weiß er. Und die Stada braucht ihn.
Dass der Angriff auf den Konzern im Mai vergangenen Jahres mit solcher Wucht kam und Hartmut Retzlaff so schnell gehen musste, hat auch Albrecht überrascht. Immerhin hatte der langjährige Vorstandschef die börsennotierte Firma wie ein Familienunternehmen geführt. Wie sein Unternehmen. „Stada galt lange als schwieriger Übernahmekandidat, denn Veränderungen schienen nur schwer umsetzbar“, sagt Albrecht.
Als sich der Rauch lichtete, reiften erste Ideen, wie es mit Stada weitergehen könnte. „Uns wurde klar, dass das ein spannendes Projekt sein könnte.“ Mit „uns“ meint Albrecht sich und die Finanzinvestoren Bain und Cinven, mit denen ihn eine langjährige Partnerschaft verbindet. Das „spannende Projekt“ sollte die Übernahme des letzten unabhängigen deutschen Generikakonzerns werden.
Im Frühjahr prüften Albrecht und sein Team in Bad Vilbel die Bücher, dann gaben sie grünes Licht. Eigentlich sollte der ehemalige Ratiopharm-Chef in den Aufsichtsrat, doch als der Chefposten vakant wurde, sprang er ein. „Das war nicht der Moment für Experimente“, sagt er. Noch einen Wechsel in kürzester Zeit hätte der Konzern wohl wirklich nicht verkraftet.
Die Stärken der Stada? Gute Leute in den einzelnen Ländern, mit viel Erfahrung, die den Konzern auch in der schwierigen Zeit auf sicheren Wegen geführt hätten. Dazu starke Marken. Und ein gesunder Mix aus OTC- und Generikageschäft: Schwächele eine Sparte, könne die andere die Probleme ausgleichen.
Die größten Schwächen? Dass erfolgreiche Produktlinien nicht internationalisiert wurden. „Das wird eines unserer großen Projekte sein.“ Außerdem will er weiße Flecken auf der Landkarte schnell schließen. Und sich um die Pipeline kümmern: Der Nachschub sei „okay“, könnte aber gerade bei komplexeren Produkten wie Biosimilars oder anspruchsvollen chemischen Substanzen verbessert werden. „Wir haben keine Inhalatoren, kaum Sterilprodukte. Das müssen wir ändern.“
Als seine vordringlichste Aufgabe sieht es Albrecht, das Unternehmen zu stabilisieren und das Vertrauen der Belegschaft zurückzugewinnen. Einen Abbau von Arbeitsplätzen werde es nicht geben, versichert er. Allenfalls würden frei werdende Stellen nicht neu besetzt. Schlüsselpositionen will er nach Möglichkeit an Talente aus dem eigenen Haus vergeben. Wieder ein attraktiver Arbeitgeber sein.
So hofft der Neue in Bad Vilbel, einen Kulturwandel initiieren zu können – weg vom verwaltungs-, hin zum geschäftsgetriebenen Unternehmen. „Das geht nicht so schnell, das ist ein langer Prozess.“ Albrecht weiß, wovon er spricht: Beim isländischen Generikakonzern Actavis herrschte 2010 auch viel Unruhe, als er das Krisenmanagement übernahm. Er brach die Zelte in Reykjavík ab und startete im schweizerischen Zug neu durch. Den Erfolg damals, sagt er, habe er seinem Team zu verdanken gehabt. „Man braucht eine gesunde Mischung aus bewährten Kräften, die das System erhalten wollen, und internationalen Talenten, die für Veränderung stehen.“ Diese Idee – ohne Umzug selbstverständlich – will er auch nach Bad Vilbel tragen.
Um mit den Teams arbeiten zu können, hat Albrecht bereits mehrere Berichtsebenen wieder abgeschafft, die sein Vorgänger erst im vergangenen Jahr eingeführt hatte. Er will, dass die Länderchefs die Verantwortung übernehmen, die zusätzliche Aufteilung in OTC- und Generikageschäft fand er überflüssig. „Wir brauchen kein doppeltes Reporting.“ Lange um den heißen Brei herumzureden, ist seine Sache nicht.
Auf fünf Jahre ist Albrechts strategische Planung angelegt, bei der Pipeline denkt er sogar zehn Jahre voraus. Dass er dann mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr Vorstandschef ist, ändert nichts an dem Anspruch, den er an sich und sein Team hat.
Für ihn ist klar, dass der Markt vor großen Veränderungen steht. „Wir sehen eine gewaltige Konsolidierung auf der Käuferseite“, sagt er. Nicht nur die Krankenkassen hielten die Hände auf, auch globalisierte Pharmahändler forderten zusätzliche Rückvergütungen. Hier entstehe ein gewaltiger Druck auf die Generikaindustrie, möglichst viele Länder abzudecken und möglichst große Sortimente anzubieten. Auch für die Stada. „Konzerne wie McKesson oder Walgreens können nur dann ihre Muskeln spielen lassen, wenn sie es auch auf der Lieferantenebene mit konsolidierten Strukturen zu tun haben.“
Parallel seien die Wirkstoffe, die in den kommenden zehn Jahren ihre Patente verlieren, deutlich komplexer. Das mache die Produktentwicklung teurer – und zugleich die Substitution schwieriger. „Der gesamten Generikabranche droht ein gewaltiger Margenschwund. Es wird an uns liegen, die richtigen Maßnahmen für eine Vorwärtsstrategie zu finden.“
Albrecht sieht drei Schlüsselfaktoren: „Das richtige Portfolio in der richtigen Nische mit der richtigen Technologie.“ Seiner Meinung nach müssen die Sortimente der Zukunft nicht mehr ganz breit, sondern vielmehr tief sein: „Hersteller brauchen Produkte, die möglichst schwer zu kopieren sind.“ Vor allem Applikationssysteme könnten entscheidend sein. Die klassischen Generika gehören seiner Meinung nach nur noch aus Opportunität dazu. Für den Erfolg entscheidend seien sie nicht.
Onkologie und Schmerz sind zwei Indikationen, die Albrecht für spannend hält. Auch der Bereich der ZNS-Erkrankungen gehört dazu – über einen Zusammenschluss mit der Neuraxpharm-Gruppe, die er vor einem Jahr im Auftrag vom Finanzinvestor Apax übernommen hat, will er aber nicht spekulieren.
Rund um das Parkinsomittel Apo-Go, das umsatzstärkste Produkt des Konzerns, kann er sich Ergänzungen vorstellen, auch der Diabetesbereich interessiert ihn noch immer. Schon Actavis wollte er zum Komplettanbieter ausbauen, der dann mit Krankenkassen über das gesamte Portfolio verhandelt und sich am therapeutischen Erfolg beteiligen lässt. Sein letzter Arbeitgeber wurde verkauft, bevor das Vorhaben umgesetzt werden konnte. Die Idee reizt ihn nach wie vor, auch wenn er weiß, wie dick die Bretter sind, die hierzulande dafür gebohrt werden müssten.
Zunächst will Albrecht bei Stada das Klinikgeschäft aufbauen, um so eine Vertriebsplattform für die künftigen Wirkstoffe zu schaffen. Ein dreistellige Zahl an neuen Mitarbeitern ist für diesen Bereich vorgesehen.
Den Apotheken will er in absehbarer Zeit acht neue OTC-Produkte schenken. Umfangreiche Werbemaßnahmen sollen Kunden in die Offizin bringen; im Gegenzug wünscht Albrecht sich von den Pharmazeuten, dass diese auch bei Rabattverträgen auf seine Produkte zurückgreifen. Aliud soll bei Ausschreibungen weiter so erfolgreich sein wie zuletzt – damit die Apotheken sich gar nicht erst umorientieren müssen.
Und die Digitalisierung? Er sei kein Freund des Versandhandels, sagt Albrecht über sich. „Wir glauben an die Apotheke vor Ort.“ Gerade ältere Menschen suchten den persönlichen Kontakt. „Psychologie spielt eine große Rolle.“ Zwar sei nicht auszuschließen, dass künftige Generationen sich anders verhielten und Produkte wie Blutzuckerteststreifen zunehmend auch im Abo verschickt würden. Dass Amazon in den kommenden fünf Jahren den Markt überrollt, glaubt er aber nicht. „Je komplexer es wird, beispielsweise bei unklarer Indikationsstellung, desto bedeutender ist der persönliche Kontakt.“