Handelsspannenausgleich

Das Gegengift der Großhändler Alexander Müller, 16.11.2017 10:26 Uhr

Berlin - 

Die komplette Marge der Großhändler wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) für vogelfrei erklärt. Die Branche befürchtet jetzt vor allem eine Renaissance des Direktgeschäfts bei preisgünstigen Schnelldrehern. Doch der Großhandel hat ein Gegengift: den Handelsspannenausgleich. Im Markt wird dieses Mittel ab sofort wieder verstärkt eingesetzt.

Seit 2012 haben die Großhändler ein Hybridhonorar, bestehend aus einem prozentualen Zuschlag von 3,15 Prozent auf den Herstellabgabepreis (gedeckelt bei 37,80 Euro) und einer Fixpauschale von 70 Cent. Mit Blick auf die eigene Marge sind seitdem günstigere Präparate lukrativer als Hochpreiser. Das wissen auch die Hersteller und locken die Apotheken in diesem Marktsegment mit besonderen Angeboten. Nach dem BGH-Urteil und der Freigabe der 70 Cent für den Rabattwettbewerb dürfte diese Entwicklung neu an Fahrt gewinnen.

Die Großhändler fürchten um ihre Mischkalkulation. Ihr Verband Phagro forderte deshalb nach dem Urteilsspruch eine gesetzliche Rabattsperre für die Fixpauschale – wie es der Gesetzgeber der Begründung zufolge auch vorgesehen, dies aber laut BGH nicht deutlich ins Gesetz geschrieben hatte. Tatsächlich ist nicht unwahrscheinlich, dass sich eine neue Regierung der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) annimmt und dabei gegebenenfalls auch das Großhandelshonorar anpasst. Aber bis dahin wird noch viel Wasser die Spree hinunterfließen: Jamaika sucht sich noch und sollte es klappen, dürfte die Koalition zunächst andere Themen auf der Agenda haben.

Deshalb nehmen die Großhändler die Sache selbst in die Hand. Wenn Apotheker gehofft hatten, nach dem BGH-Urteil bessere Konditionen zu erhalten, sehen sie sich getäuscht. Nach Informationen von APOTHEKE ADHOC wurden die Vertriebsleiter der Noweda jetzt auf das Thema Handelsspannenausgleich eingeschworen. Der Außendienst hat teilweise schon damit vorgesprochen. Und das ist mitnichten nur ein Noweda-Thema. Auch Kunden anderer Großhändler können das Lied vom Handelsspannenausgleich singen oder bekamen direkte Rabattkürzungen angekündigt.

Beim Handelsspannenausgleich legt der Großhandel eine Marge fest, die er pro Packung verdienen möchte. Dazu wird ein durchschnittlicher Packungspreis vereinbart. Liegt die Apotheke beim Einkauf darüber, werden die gewährten Rabatte entsprechend gekürzt, damit der Großhändler auf seine Marge kommt.

Wiederkehrende Werte sind 6,34 Prozent bei der Gehe und Alliance Healthcare Deutschland (AHD), 6,33 Prozent bei Phoenix, 6,29 Prozent bei Noweda und 6,14 Prozent bei Sanacorp. Das entspricht einem durchschnittlichen Packungswert zwischen 20,65 Euro und 22 Euro. Allerdings gibt es vielfach individuelle Vereinbarungen, da der Durchschnittswert vor allem in Abhängigkeit der umliegenden Ärzte stark schwanken kann.

In den Standardkonditionen ist der Handelsspannenausgleich meist vorgesehen und muss dann in den Gesprächen wegverhandelt werden. Zuweilen wird ein etwaiger Malus erst abgezogen, der Betrag im Folgemonat aber wieder erstattet. AHD und Noweda können das sogar innerhalb einer Rechnung. Prinzip „rechte Tasche, linke Tasche“. Eine Ausschüttung von Boni für Apotheken mit unterdurchschnittlichem Packungspreis gibt es dagegen nicht. Das Thema ist seit Jahren virulent, taucht aktuell aber verstärkt auf, wie auch Berater und Steuerberater berichten.

Apotheker empfinden diese Form des „Ausgleichs“ als zutiefst ungerecht, da sich der Großhandel quasi einen garantierten Gewinn in die Konditionenvereinbarung schreibt. Zudem würden etwa Angebotsartikel bei der Berechnung ausgeklammert, so dass der Durchschnittspreis künstlich hochgehalten werde. Und schließlich sei auf der Rechnung kaum nachzuvollziehen, ob der Handelsspannenausgleich korrekt berechnet wurde, so die Kritik.

Aus Sicht der Großhändler stellt sich das anders dar. Demnach hat das Direktgeschäft zuletzt wieder deutlich angezogen. Und das bedeute nichts anderes, als dass die Apotheker sich ihrerseits nicht an die vereinbarte Kondition halte. „Wenn der Warenkorb verändert wird, müssen wir auch den Rabatt anpassen“, bringt es ein Großhandelschef auf den Punkt. Rosinenpickerei müsse im Sinne aller Kunden verhindert werden.

Diese Sichtweise spiegelt sich in den Konditionen wider: Während der Handelsspannenausgleich beim Zweitlieferanten meist unvermeidlich ist, lässt er sich beim Hauptlieferanten in der Regel wegverhandeln. Die Großhändler verfolgen auch aus diesem Grund den Anspruch, alleiniger Lieferant zu sein, am nachdrücklichsten tut das die Noweda. Die Genossenschaft bestätigte auf Nachfrage auch, dass der Vertrieb aufgefordert wurde, Veränderungen in den Geschäftsbeziehungen im Auge zu behalten. Standardmäßig soll es den Handelsspannenausgleich in den Konditionen aber nicht geben, heißt es aus Essen.