Russland wird weiterhin mit neuen Sanktionen belegt, um es für seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu strafen. Im Gegenzug hat der Kreml jüngst neue Gegenmaßnahmen erlassen – und hat noch weitere im Köcher. Die Rechtsberatung Gleiss Lutz hat nun erklärt, was damit auch auf deutsche Arzneimittelunternehmen zukommen könnte.
Die EU, die Schweiz, die USA und zahlreiche weitere Länder haben ihre Sanktionen gegen Russland erneut erweitert: Vergangene Woche hat die EU das – nach offizieller Zählung – vierte Sanktionspaket in Kraft gesetzt. Das Maßnahmenbündel enthält etwa das Verbot jeglicher Geschäfte mit bestimmten russischen Staatsbetrieben, von Neuinvestitionen im russischen Energiesektor, der Ausfuhr vielfältiger Luxusgüter nach Russland sowie der Einfuhr bestimmter Eisen- und Stahlerzeugnisse aus Russland. Auch die Schweiz und die USA haben ihre Sanktionen ausgeweitet.
Zunehmend beginnt der Kreml jedoch, darauf zu reagieren und seinerseits Gegenmaßnahmen zu erlassen. Ein russischer Gesetzentwurf sieht überdies unter bestimmten Voraussetzungen deutlich weitreichendere Maßnahmen, bis hin zum Einfrieren von Vermögenswerten und Abwicklung von Unternehmen vor, welche gerade auch Tochtergesellschaften von westlichen Unternehmen betreffen können.
Die Liste der Wirtschaftsbereiche, in denen sich Russland und der Westen voneinander abkoppeln, ist lang und reicht von Rohstofflieferungen über Hochtechnologie bis in den Finanzsektor. Betroffen davon ist auch die Pharmaindustrie und insbesondere deutsche Hersteller wie Stada oder Bionorica, die in Russland vertreten sind. Auf sie könnten schwierige Zeiten zukommen. Bisher halten sie sich öffentlich äußerst bedeckt, um keine schlafenden Hunde zu wecken, aber wie die Rechtsberatung Gleiss Lutz erklärt, sollten sie dringend Vorsorgemaßnahmen – auch im Hinblick auf eventuellen späteren Rechtsschutz – ergreifen.
Denn die Liste der möglichen Eingriffe ist lang: Nicht nur gelten seit kurzem für bestimmte Produkte und Rohstoffe Beschränkungen des Imports aus und des Exports in „unfreundliche Staaten“, sondern auch die Möglichkeit zur Aussetzung von Entschädigungsleistungen für die zustimmungslose Nutzung von Patenten an Rechteinhaber aus „unfreundlichen Staaten“. Darüber hinaus hat das russische Parlament einen Gesetzentwurf verabschiedet, der es der Exekutive ermöglicht, bestimmte Güter vom Schutz der Rechte an geistigem Eigentum auszunehmen.
„Es ist anzunehmen, dass diese Maßnahme insbesondere auf bestimmte landwirtschaftliche, medizinische und ähnliche Güter Anwendung finden könnte, die aufgrund der Sanktionen nicht mehr importierbar sind und daher im Rahmen von Substitutionsprogrammen in Russland selbst hergestellt werden müssten“, so Gleiss Lutz.
Eine noch größere Gefahr für in Russland tätige deutsche Hersteller könnte eine weitere Maßnahme bringen: Als Reaktion auf Verlautbarungen ausländischer Unternehmen, ihre Tätigkeit in Russland einzustellen, liegt ein Gesetzentwurf vor, wonach russische Tochterunternehmen ausländischer Muttergesellschaften auf Antrag eines Vorstandsmitglieds oder der staatlichen Behörden einer „externen Verwaltung“ unterworfen können. Die Annahme des Gesetzentwurfs sei zwar momentan noch nicht gewiss, „jedoch jederzeit möglich“, so die Wirtschaftsanwälte.
Gegenstand des Antrags können nur Unternehmen sein, die mindestens zu 25 Prozent von einer natürlichen oder juristischen Person aus einem „unfreundlichen Staat“, also etwa der EU, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich oder den USA, kontrolliert werden, zum letzten Bilanzstichtag einen Buchwert von über eine Milliarde Rubel (8,7 Millionen Euro) hatten und/oder im Durchschnitt über 100 Mitarbeiter haben – alles trifft auf deutsche Hersteller zu. Offizielle Begründung ist die Abwendung eines Konkurses und die Rettung von Arbeitsplätzen. Nach drei Monaten können die Anteile versteigert werden, etwa an Oligarchen, die Putin die Treue halten. Erschwerend kommt hinzu, dass eine solche Zugriffsklausel des russischen Staates dem Vernehmen nach teilweise sogar in den früheren Gründungs- oder Übernahmevereinbarungen vorgesehen ist.
Wenn diese Maßnahmen wie angekündigt oder in ähnlicher Form umgesetzt werden, seien allerdings Rechtsschutzmöglichkeiten denkbar – auch wenn einstweiliger Rechtsschutz und Rechtsschutz unmittelbar gegen die Maßnahmen nahezu ausgeschlossen sein dürfte und voraussichtlich nur vor russischen Gerichten zu erlangen wäre. So bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, unter dem bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen Deutschland und Russland von 1989 (BIT) Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Das BIT schützt Kapitalanlagen deutscher Investoren in Russland, wobei unter Kapitalanlagen „alle Arten von Vermögenswerten“ fallen. Hinzu zählen unter anderem auch Vermögenswerte in Russland, wie Eigentum, Beteiligungen an Unternehmen, Urheber-, Patent-, und Markenrechte, und Ansprüche auf Geld oder Leistungen. Selbst im Falle einer Kündigung des BIT durch Russland blieben zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens des BIT bereits bestehende Kapitalanlagen für weitere 20 Jahre geschützt.
Die Kapitalanlagen deutscher Investoren werden dem BIT zufolge unter anderem vor Enteignung und Beschränkungen des Geldtransfers geschützt. Damit sei nicht nur direkte Enteignung gemeint, sondern auch Formen der indirekten und faktischen Enteignung – also solche, bei denen zwar die formelle Eigentumsstellung unangetastet bleibt, jedoch alle mit dem Eigentum typischerweise verbundenen Nutzungs- und Verfügungsbefugnisse entzogen oder wesentlich beschränkt werden. Deutschen Investoren könnte also eine Entschädigung zustehen, falls die russischen Gegenmaßnahmen direkte Enteignungen oder eine Beschlagnahme von ausländischen Vermögenswerten vorsehen, so kann deutschen Investoren eine Entschädigung zustehen. Wird eine solche Entschädigung nicht geleistet – was zu erwarten sei – oder der Höhe nach zu gering ausfallen, kann eine Verletzung des BIT vorliegen. Das Gleiche könne für eine mögliche Zwangsverwaltung ausländischer Unternehmen oder Betriebe gelten sowie für sonstige und ähnliche Maßnahmen, durch die ausländische Unternehmen gezielt oder bewusst in die Insolvenz getrieben werden – oder aber für den Entzug oder die Beschränkung geistigen Eigentums wie Urheber- oder Patentrechte.
Für solche Verfahren wären internationale Schiedsgerichte zuständig. Diese seien grundsätzlich effizient und könnten das Verfahren auch führen, wenn der verklagte Gastgeberstaat nicht an dem Verfahren teilnimmt, so Gleiss Lutz. Verfahren gegen Russland wegen der in Folge der Annektierung der Krim erfolgten Enteignungen hätten das bereits gezeigt. „Angesichts der europäischen und US-amerikanischen Sanktionen wird es zurzeit allerdings kaum der Vollstreckung zugängliches Vermögen geben; auch wird Russland gegen sich ergangene Schiedssprüche auch künftig nicht freiwillig erfüllen“, schränken die Wirtschaftsanwälte ein. Allerdings: Ein Schiedsspruch könne auch nach einem Ende der Sanktionen noch vollstreckt werden. Auch lasse sich aktuell nicht ausschließen, dass das Sanktionsregime dahingehend geändert wird, dass auch nach dem Erlass der Sanktionen erstrittene Schiedssprüche in sanktioniertes Vermögen vollstreckt werden können.
„Angesichts der dynamischen Lage und des noch ungewissen Ausmaßes russischer Maßnahmen ist es dabei ungeachtet eines etwaigen Investitionsschutzes ratsam, bereits jetzt wichtige Dokumente und Unterlagen zu sichern“, so der Rat an die Unternehmen. Gesichert werden sollten beispielsweise Unterlagen zur Unternehmens-, Betriebs- oder Niederlassungsgründung, zu wichtigen Kennzahlen des Unternehmens oder Betriebs (einschließlich aktueller Unternehmensbewertungen), zu Verträgen und anderen Vereinbarungen, zu behördlichen Genehmigungen und Erlaubnissen, zu Urheber- und Patentrechten und anderem geistigen Eigentum und Know-how, zu Gewinnaussichten und Business-Plänen, sowie Dokumente zu den geplanten russischen Maßnahmen und deren Umsetzung. „Kurz: Es ist empfehlenswert, eine Dokumentation zu erstellen und zu sichern, die Auskunft über den Unternehmenswert sowie zur Betroffenheit von russischen Maßnahmen geben.“
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