Der Zeitpunkt, mit einem Finanzdienstleister im Heilberufsmarkt aufzutreten, könnte schlechter sein: Die Deutsche Apotheker- und Ärztebank (Apobank) hat durch ihr IT-Chaos seit dem vergangenen Jahr einen spürbaren Imageschaden erlitten. Nun steht Cure Finance mit einem Digital-Angebot auf der Matte – und hat mit Cassie Kübitz-Whiteley gleich noch die ehemalige Kommunikations- und Marketingchefin der Apobank mit an Bord. In Konkurrenz zum Platzhirsch will Cure allerdings gar nicht treten – das könnte sich aber mittelfristig noch ändern.
Fintech ist eine dieser Sparten, die in den letzten Jahren besonders viele Einhörner hervorgebracht hat, also Start-ups, die angesichts ihrer Größe einen besonders hohen Marktwert entwickeln. Das ist auch nicht überraschend: In kaum einem Sektor lassen sich grundlegende Prozesse so umfassend digitalisieren wie im Finanzwesen. Vom Investmentbanking bis zum Kreditsektor sind deshalb in den vergangenen Jahren die digitalen Start-ups aus dem Boden geschossen. Nur im Gesundheitswesen sieht es bisher noch recht mau aus. Hier gibt es noch keinen rein digitalen Dienstleister, der sein Angebot speziell auf die Bedürfnisse von Heilberuflern zugeschnitten hat. Genau das will Cure Finance bald ändern.
Dabei sollte der Begriff Start-up nicht in die Irre führen: Hinter Cure Finance stehen keine Wirtschaftsinformatikstudenten, sondern ehemalige Branchenmanager mit teils jahrzehntelanger Erfahrung. So war Finanzchef Wolfgang Strobel bereits Chefstratege bei Banken wie HVB, UniCredit oder DAB. Technologiechef Stefan Weiss hat bereits in den 90er-Jahren Unternehmen gegründet, später als Berater große IT-Projekte verantwortet und ist seit rund zehn Jahren als Berater vor allem für Banken und Versicherungen an internationalen Innovationsprojekten beteiligt.
Besonders viel Erfahrung mit Apothekern und Ärzten hat Kommunikationschefin Cassie Kübitz-Whiteley: 16 Jahre war sie bei der Apobank unter anderem für die strategische Steuerung der Kommunikations- und Marketingaktivitäten, die Positionierung von Marken und die Platzierung von Produkten verantwortlich. Statt weiter dem größten Geldhaus des deutschen Gesundheitswesens zu dienen, trat sie im Mai die Stelle als Sprecherin von Cure an. „Die Frage ist nicht, wie es zum Wechsel kam, sondern für mich war die Frage immer, wieso ich damals zur Apobank gegangen bin – nämlich weil ich die Vision wichtig fand, durch unsere Dienstleistung Ärzten und Apothekern die Freiheiten zu geben, sich auf das zu konzentrieren, was sie machen wollen, nämlich Heilberufler sein“, sagt sie. „Es war deshalb auch eine persönliche Entscheidung, wie ich die Ziele am besten umsetzen kann.“
Einen persönlichen Hintergrund gibt es auch bei Geschäftsführer Martin Buhl, der Cure vergangenen Oktober mit Strobel und Weiss gegründet hat. Er war nicht nur einer der ersten deutschen Mitarbeiter von PayPal und bringt 15 Jahre Erfahrung im Fintech-Bereich mit. Vielmehr sei der Einstieg in den Finanzmarkt für Heilberufler auch ihm ein persönliches Anliegen gewesen, erzählt er: „Ich komme selbst aus einem Ärztehaushalt und habe zahlreiche Ärzte in meiner engeren Verwandtschaft, nicht zuletzt meine eigene Frau. Deshalb habe ich über die Jahre all die Probleme im Austausch mit der Familie eingeatmet. Es sind immer wieder Themen hochgekommen, bei denen ich gefragt habe: ‚Wieso macht ihr das noch so, wenn der Rest der Welt schon zehn Jahre weiter ist?‘ Es gibt im Heilberufssegment sehr spezifische Prozesse, die dringend eine Erneuerung benötigen.“
Die Prozesse im Finanzwesen seien „für jemanden, der unternehmerisch denkt“, viel zu umständlich und langsam, kritisiert Buhl. „Cure ist deshalb auch kein reines Softwarethema, sondern eine komplett outgesourcte Finanzlösung. Wir denken das alles sehr stark aus der Prozesssicht und sehen uns sehr stark bei Datenstrukturierung, in gewissem Sinne auch Datenintelligenz.“ Dabei wolle das Start-up entsprechend den heutigen Vorgehensweisen nicht mit einem Komplettangebot in den Markt einsteigen, sondern iterativ das eigene Portfolio weiterentwickeln und ausrollen. Unter anderem deshalb müssen sich die Apotheken auch noch ein wenig gedulden, bis sie die Lösungen für sich nutzen können. Denn zu Beginn sind erst einmal die niedergelassenen Ärzt:innen dran. „Da sehen wir im ersten Schritt den größten Bedarf zur Verbesserung von Finanzprozessen.“
Geschehen soll das zuerst über ein Dashboard, das dann später mit entsprechenden branchenspezifischen Anpassungen auch für die Apotheken ausgerollt werden soll: Auf einen Blick und leicht zu bedienen – so das Versprechen – soll dort von Einkauf über Abrechnung bis hin zu Zahlungsprozessen alles Relevante zusammenlaufen. „Heute hat der Arzt viel zu viele Informationsquellen, überall verschiedene Ansprechpartner und Systeme. Am Ende des Tages ist er aber weder Buchhalter noch Einkäufer oder Steuerberater, sondern Heilberufler“, sagt Buhl. „Wir strukturieren deshalb alle Einnahmen und Ausgaben auf einer Plattform und führen sie mit Themen wie Investitionen, Rücklagen, Szenarien und Optimierungsmöglichkeiten zusammen.“ Dabei sei zuallererst das Ziel, eine digital gestützte Plattform zu bieten, die alle Zahlen in Kontext setzt und eine Komplettübersicht ermöglicht.
„Wir begreifen uns erst einmal gar nicht so sehr als Banking- und Finanzdienstleister, sondern starten zu Beginn als Open-Banking-Plattform, also als Finanzlayer zwischen Praxis oder Apotheke und Bank“, erklärt Buhl. Kein Arzt oder Apotheker müsse deshalb sein Apobank-Konto auflösen und zu Cure wechseln, vielmehr könne man alle Konten anderer Geldhäuser in das Dashboard laden. Das heiße jedoch nicht, dass Cure sich nicht perspektivisch zu einer echten Bank entwickeln soll. „Unser Plan ist es, nicht nur eine Finanzplattform zu bleiben, sondern wir werden an einem bestimmten Punkt ins Banking einsteigen und eigene Konten anbieten, die deutlich mehr können werden als die bisher üblichen.“
Wann genau das sein wird, könne er noch nicht sagen. Bisher sehe der Plan vor, im Oktober das Dashboard ans Netz zu bringen und es über das kommende Jahr anlaufen zu lassen. „Wir werden 2022 definitiv brauchen, um die Hauptpinpoints herauszuarbeiten“, sagt Buhl. Eigene Konten – auch für Apotheken – seien nach jetziger Vorstellung ab 2023 angedacht. Bereits zuvor werde das Dashboard aber auch für Apotheken verfügbar sein – und zwar aus Cure-Sicht zu einem passenden Zeitpunkt. „Telematikinfrastruktur und E-Rezept werden da viele neue Bedürfnisse bringen“, prognostiziert Buhl.
Spätestens mit der Einführung eigener Konten würde Cure dann zwangsläufig auch in Wettbewerb zur Apobank treten. „In dem Moment, wo sich Produkte ähneln, konkurriert man natürlich im Markt.“ Er habe bereits Anfragen von Heilberuflern erhalten, die sich explizit eine solche Alternative wünschen. Allzu sehr will Buhl allerdings nicht auf Angriff schalten. „Dass die Apobank es nicht hinbekommen hat, mit viel Geld diesen IT-Wechsel hinzubekommen – sei es drum. Das ist nicht unsere Motivation“, sagt er. „Wenn man ein Unternehmen auf den Fehlern anderer aufbaut, ist das kein guter Ansatz.“ Im Gegenteil lade er die Apobank sogar ein, sich aktiv an der Weiterentwicklung des Dahsboards zu beteiligen. Es handele sich schließlich vorerst um eine nützliche Ergänzung zu deren Angeboten.
„Es geht uns nicht darum, zu sagen, ‚die böse Apobank‘, und dann ein Gegenangebot zu bringen. Sondern wir wollen konkrete Probleme lösen. Sinn der Sache ist, sich mal die Hände schmutzig zu machen und herunter in die Prozesse zu gehen.“ Speziell beim Thema Abrechnungen bestehe da künftig Potenzial, es gebe unter den großen Abrechnern bereits welche, die Interesse an einen Anschluss zeigten. Vor allem aber könnten Apotheken auch erhebliche Erleichterungen bei Themen wie Anlagen oder Finanzierungsprodukten winken. „Der Zugang zum Kapitalmarkt muss nicht kompliziert sein, sondern kann sehr einfach gestaltet werden. Hier sehen wir einen Bedarf bei vielen Apotheken.“
Um herauszufinden, welche weiteren Bedürfnisse sie in Zukunft bedienen können und müssen, sind die Macher von Cure bereits mit einem eigenen kostenfreien Angebot präsent: einer Online-Finanzcommunity für Apotheker und Ärzte. „Wir haben festgestellt, dass es bereits unzählige medizinische Communities für Befunde, Studien und so weiter gibt – aber über das Thema Geld spricht kaum jemand in dem Bereich“, sagt Buhl. Nach einer Anmeldung mit Berufsnachweis können sich Heilberufler in der Cure-Community untereinander und mit verschiedenen Software- und Abrechnungsanbietern austauschen.
Der einfache Austausch über Geldthemen soll die Anpassung der eigenen Angebote an die Bedürfnisse erleichtern und damit letztlich dafür sorgen, dass sich die Heilberufler weniger diesen Themen widmen müssen, erklärt Buhl. „Die meisten Ärzte und Apotheker haben ihre Patienten im Kopf und müssen dann Stunden mit Tätigkeiten verbringen, die überhaupt nicht zu ihrem eigentlichen Beruf gehören. Das wollen wir ändern.“
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