„Corona-Piraten“: Impfstoffe, Medikamente und Masken gefälscht Lothar Klein, 12.05.2020 14:42 Uhr
Nach Einschätzung von Interpol und Europol haben die kriminellen Aktivitäten mit Arzneimitteln, Schutzmasken und anderen Gesundheitsprodukten im Internet im Windschatten der Corona-Krise stark zugenommen. „Noch nie haben Europol und Interpol dringender vor der Gefährdung von Verbrauchern durch Produkt- und Markenpiraten im Cyberspace gewarnt als während der aktuellen Covid-19-Pandemie“, so Christian Köhler, Hauptgeschäftsführer Markenverband. Nachdem Europol kürzlich berichtet hatte, wie kriminelle Produktpiraten mit skrupelloser Schnelligkeit auf die Covid-19-Pandemie reagiert haben, warnt aktuell Interpol vor noch zunehmendem Fälschungshandel. Interpol fürchtet vor allem eine globale Welle von Fälschungsverkäufen, sobald es ein wirksames Medikament oder einen Impfstoff gegen das Coronavirus gibt.
Laut Interpol nutzen Kriminelle und organisierte Banden für den Vertrieb schwerpunktmäßig das Internet. So berichtet Interpol, dass im Rahmen der „Operation Pangaea XIII“ gefälschte Gesichtsmasken, minderwertige Händedesinfektionsmittel und nicht zugelassene antivirale Medikamente beschlagnahmt wurden. Polizei, Zoll und Gesundheitsbehörden aus 90 Ländern gingen dabei gemeinsam gegen den illegalen Online-Verkauf von Arzneimitteln und Medizinprodukten vor. „Der Ausbruch von Covid-19 hat zu einem Anstieg gefälschter Gesichtsmasken und anderer persönlicher Schutz- und Hygieneprodukte geführt“, so Interpol. Die Operation führte weltweit zu 121 Festnahmen und der Beschlagnahme potenziell gefährlicher Arzneimittel im Wert von mehr als 14 Millionen Dollar.
Der Ausbruch der Corona-Krise biete die Möglichkeit für schnelles Geld, da Kriminelle die hohe Marktnachfrage nach Personenschutz- und Hygieneprodukten nutzten. Die Strafverfolgungsbehörden, die an der Operation Pangaea teilnehmen, haben danach 2000 Online-Links gefunden, die Produkte im Zusammenhang mit Covid-19 beworben haben. Von diesen waren gefälschte chirurgische Masken das am häufigsten online verkaufte Medizinprodukt und machten in der Aktionswoche im März rund 600 Fälle aus. Die Beschlagnahme von gefälschten und minderwertigen Masken, „Coronaspray“, „Coronavirus-Paketen“ oder „Coronavirus-Medikamenten“ zeige nur die Spitze des Eisbergs in Bezug auf diesen neuen Trend bei Fälschungen.
„Die Operation Pangaea zeigt einmal mehr, dass Kriminelle vor nichts zurückschrecken werden, um Gewinn zu erzielen. Der illegale Handel mit solchen gefälschten medizinischen Artikeln während einer Krise der öffentlichen Gesundheit zeigt, dass sie das Wohlergehen der Menschen oder ihr Leben völlig missachten“, so Jürgen Stock, Generalsekretär von Interpol. Verglichen mit einer vergleichbaren Aktionswoche im Jahr 2018 verzeichnete die letzte Operation einen Anstieg von nicht zugelassenen antiviralen Medikamenten um etwa 18 Prozent und einen Anstieg der Fälle von nicht zugelassenem Chloroquin (Antimalariamedikament) um mehr als 100 Prozent. In der Aktionswoche im März kontrollierten die Behörden in den teilnehmenden Interpol-Ländern mehr als 326.000 Pakete, von denen mehr als 48.000 von den Zoll- und Regulierungsbehörden beschlagnahmt wurden.
Insgesamt beschlagnahmten die Behörden dabei weltweit rund 4,4 Millionen Einheiten illegaler Arzneimittel. Unter ihnen waren: Pillen gegen erektile Dysfunktion, Krebsmedikamente, Hypnotika und Beruhigungsmittel, Anabolika. Analgetika/Schmerzmittel, Mittel des Nervensystems, dermatologische Mittel und Vitamine. Es wurden auch mehr als 37.000 nicht autorisierte und gefälschte medizinische Geräte beschlagnahmt, von denen die überwiegende Mehrheit chirurgische Masken und Selbsttest-Kits (HIV und Glukose), aber auch verschiedene chirurgische Instrumente waren. Insgesamt wurden rund 4,4 Millionen Einheiten illegaler Arzneimittel beschlagnahmt. Es wurden mehr als 2500 Weblinks geschlossen, darunter Websites, Social-Media-Seiten, Online-Marktplätze und Online-Anzeigen für illegale Arzneimittel. Die gemeinsamen Bemühungen der Behörden störten laut Interpol die Aktivitäten von 37 organisierten Kriminalitätsgruppen.
Auch ein neuer Europol-Bericht befasst sich damit, wer die Fälscher sind und wie sie versuchen, von Covid-19 zu profitieren. „Der Ausbruch der Coronavirus-Krankheit hat eine Gelegenheit für schnelles Geld geboten, da Kriminelle den Mangel an echten Produkten und die Ängste der regulären Bürger ausnutzen. Die Gewinne, die diese Kriminellen in dieser Krisenzeit erzielen, sind wahrscheinlich sehr hoch, da diese Kriminellen die Gesundheit und das Wohlergehen von uns allen völlig missachten“, so Europol.
Der Europol-Bericht liefert ein aktuelles Bedrohungsbild der Aktivitäten von Fälschern während der Covid-19-Krise. Alle Informationen basieren auf Beiträgen der EU-Mitgliedstaaten und der Europol-Partnerländer: Die an der Herstellung und dem Vertrieb gefälschter Waren beteiligten organisierten Kriminalitätsgruppen hätten sich als äußerst anpassungsfähig erwiesen, da sie den Produktfokus, das Marketing und die Verpackung an die aktuelle Nachfrage anpassten oder diese gestalteten.
Die wichtigsten Produktionsländer sind laut Europol jedoch gleichgeblieben. Dies gelte auch für die Vorgehensweise, für Routen und die Nationalität der beteiligten Verdächtigen. Eine Europol-Analyse der Betriebsdaten zeigte, dass die „Unternehmen“, die versuchen gefälschter pharmazeutischer Produkte und Ausrüstungen in der EU anzubieten, sowohl innerhalb der EU (Bulgarien, Deutschland, Niederlande, Polen) als auch außerhalb der EU (China, Indien, USA) registriert sind.
Während einige gefälschte Corona-Produkte im Dark Web aufgetaucht sind, wurden laut Europol im Zuge der Corona-Krise zusätzlich zu den „etablierten Plattformen“ eine erhebliche Anzahl neuer Websites eingerichtet, um ausdrücklich von der Pandemie zu profitieren. Diese Websites verkaufen laut Europol gefälschte Heimtestkits und bieten unbestätigte und häufig falsche Ratschläge zur Behandlung von Covid-19 an. Einige kriminelle Gruppen nutzen die Corona-Krise offenbar auch, um gefälschte oder minderwertige Lebensmittel in größerem Umfang anzubieten, „da die Nachfrage aufgrund der Angst einiger Bürger vor einer wahrgenommenen Nahrungsmittelknappheit gestiegen ist“.
Europol warnt außerdem vor einer neuen Fälschungswelle im Zusammenhang mit einem Impfstoff gegen Covid-19. Exekutivdirektorin Catherine de Bolle schätzt die Lage so ein: „Gefälschte Waren, die während der Corona-Krise verkauft wurden, erfüllen nicht die erforderlichen Qualitätsstandards und stellen eine echte Bedrohung für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit dar. Menschen, die diese gefälschten Produkte kaufen, haben ein falsches Sicherheitsgefühl, während sie tatsächlich ungeschützt gegen das Virus sind. Deshalb sollten wir nicht nur den Verbrechern nachgehen, die hinter diesen Betrügereien stehen, sondern durch Präventionsarbeit auch potenzielle Opfer informieren, die sich selbst und andere durch die Verwendung solcher gefälschten Waren gefährden. “
Köhler vom Markenverband fordert: „Die EU-Kommission muss die Warnungen von Europol und Interpol endlich ernst nehmen und die Hauptvertriebswege der Produktpiraten über das Internet effektiv trockenlegen. Die EU-weite Verpflichtung aller Onlinemarktplätze zum proaktiven Herausfiltern von Fälschungen würde einen wesentlichen Beitrag zur Gefahrenabwehr leisten. Zumal Onlinemarktplätze schon heute die technischen Möglichkeiten haben, den Verkauf gefälschter Waren auf ihren Internetseiten zu verbieten. Die Gefährdungssituation für die Verbraucher lässt kein längeres Zögern zu.“