Über die Legalisierung von Cannabis als Genussmittel wird noch viel gestritten werden. Zu viele unterschiedliche Interessengruppen von Unternehmen bis zu Jugendschützern werden im komplexen Gesetzgebungs- und Regulierungsverfahren aufeinanderstoßen. Der Branchenverband Cannabiswirtschaft hat nun die aus seiner Sicht nötigen Eckpunkte einer vernünftigen Legalisierungspolitik vorgelegt – und plädiert dabei auch für die Einbeziehung der Apotheken. Aus denen kommt jedoch deutlicher Widerspruch.
Der Bundesregierung steht ein Drahtseilakt bevor. Cannabiserwerb und -verkauf soll streng genug reguliert werden, um Jugendschutz und Suchtprävention Rechnung zu tragen, gleichzeitig aber weit genug liberalisiert werden, um den Schwarzmarkt auszutrocknen. Wie so oft ist der Preis dabei eine zentrale Stellschraube: Günstig genug, damit niemand zum Dealer geht, aber teuer genug, um übermäßigen Konsum zu verhindern. Wie also besteuern? 10 Euro je 1000mg THC, sagt der Branchenverband. Dadurch würde nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den illegalen Märkten sichergestellt, sondern auch Kaufanreize für Produkte mit geringerem THC-Gehalt geschaffen. Auf eine relativ potente Sorte mit 22 Prozent THC würden demnach 2,20 Steuer pro verkauftem Gramm entfallen, während auf eine CBD-Sorte ohne spürbare Rauschwirkung nur um die 10 Cent anfallen würden.
Doch mit der Festlegung einer Steuerhöhe ist es längst nicht getan. Weitaus komplexer sind Fragen von Herstellung, Qualitätssicherung und Vertrieb. Deutschland bewegt sich mit einer etwaigen Legalisierung nämlich auf völkerrechtlich dünnem Eis: „Basierend auf den derzeit geltenden UN-Konventionen scheint ein Import von Cannabis zu Genusszwecken rechtlich ausgeschlossen“, räumt der Verband ein. Deshalb werde die Schaffung von Produktionskapazitäten in Deutschland entscheidend für die Entstehung eines erfolgreichen Genussmittelmarktes sein. „Die notwendigen Rahmenbedingungen müssen daher schnellstmöglich und mittelstandsfreundlich geschaffen werden.“
Tatsächlich lässt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits Cannabis für den medizinischen Gebrauch anbauen. Allerdings seien die dort gemachten Vorgaben untauglich für Cannabis als Freizeitdroge, denn sie seien „ressourcenintensiv und gefährden damit die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem illegalen Markt“. Stattdessen solle der Anbau in Gewächshäusern und auf offenen Feldern ermöglicht werden. Der Verband fordert dazu ein einheitliches Lizenzierungssystem, bei dem Ausschreibungen für bestimmte Produktmengen – wie die des BfArM – vermieden werden. Ebenfalls im Gegensatz zum BfArM solle die Zahl der Lizenzen nicht beschränkt sein.
Es stelle die Wirtschaft vor eine große Herausforderung, kurzfristig die Produktionskapazitäten zu schaffen, um einen heimischen Genussmittelmarkt zu bedienen. Deshalb sollten auch Möglichkeiten „für schnell umsetzbare Maßnahmen mit Signalwirkung“ geschaffen werden, konkret: Pilotprojekte. Dabei könnten Produzenten mit dem Anbau in Deutschland starten und Fachgeschäfte so die Möglichkeit erhalten, „sich mit Produkten aus deutschem Anbau zu etablieren“, so der Verband. „Eine kurzfristige Schaffung von ersten Produktionskapazitäten und Verkauf über einzelne Pilotregionen wäre ein deutliches politisches Signal und würde darüber hinaus auch wichtige Erfahrungen und Daten liefern.“
Auch bei den angebauten Sorten setzt der Verband auf Liberalisierung: Die Produktvielfalt dürfe nicht limitiert werden und auch eine THC-Höchstgrenze sei nicht zielführend, da sie Ausweichbewegungen in den illegalen Markt nach sich ziehen würde – eine gezielte Besteuerung würde da Konsumverhalten besser steuern. Dagegen stellt sich Melanie Dolfen, Inhaberin der Bezirksapotheken in Berlin. Sie gehört nicht nur seit Jahren zu den größten Cannabisversorgern hierzulande, sondern begleitet auch die jüngste Legalisierungsdebatte kritisch – und fordert ebenjene THC-Grenzwerte. Die nun vorgelegten Eckpunkte würden die Risiken der Legalisierung verharmlosen, bemängelt sie nun. „Der Branchenverband Cannabiswirtschaft versucht den anstehenden Gesetzgebungsprozess einseitig im Sinne der wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder zu beeinflussen. Obwohl in dem Papier viel von Verantwortung die Rede ist, werden die Prioritäten der Hersteller unmissverständlich formuliert“, so Dolfen. „Es übersetzt Legalisierung vor allem mit Liberalisierung.“
Dafür spreche auch, dass die Hersteller entgegen den bisherigen Plänen der Bundesregierung einen Versandhandel mit Cannabis ermöglichen wollen. Ihr Argument: Zwar könnten spezialisierte Fachgeschäfte im städtischen Umfeld profitabel und kundenorientiert arbeiten, kaum aber in ländlichen Gegenden. Das sei jedoch vor dem Hintergrund der Bekämpfung des Schwarzmarktes notwendig. Eine Anlaufstation wären in ländlichen Gebieten allerdings vor allem Apotheken – und auf die solle der Gesetzgeber ebenso Rücksicht nehmen, fordert der Verband. „Bei der Umsetzung der Lizenzierungsrahmenbedigungen sollte auch beachtet werden, dass auch Apotheken die Voraussetzungen mitbringen können, um als lizenzierte Fachgeschäfte anerkannt zu werden.“
Dolfen ist das zu wenig. „Als wären Apotheken lediglich eine Variante der ‚lizenzierten Fachgeschäfte‘, die sich die Industrie wünscht“, sagt sie. Cannabis-Stores in Apotheken, wie sie sie fordert, wären hingegen eine „herstellerunabhängige Instanz für Qualitätsprüfung, Verbraucheraufklärung und Jugendschutz“. Sie kritisiert, dass die Trennung von Herstellung und Vertrieb für den Branchenverband offensichtlich keine Option ist. „Die unabhängige Prüfung der Produkte, wie sie bei Medizinalcannabis vorgeschrieben ist, kommt in den Eckpunkten nicht vor“, so Dolfen.
Statt einer engmaschigen Kontrolle fordert der Verband Qualitätsstandards parallel zu denen bei anderen Genussmitteln – und ein „Reinheitsgebot“ für Cannabis, das unter anderem das Aufsprühen und Einmischen von Streckmitteln und THC-imitierenden Stoffen zur Verstärkung der Wirkung verbietet. Dafür sollen im Genussmittelmarkt andere Haltbarkeitsgrenzen gelten als heute bei Medizinalcannabis: Denn die orientierten sich insbesondere an der Sicherstellung eines gleichbleibenden THC- und CBD-Gehalts, was für die Konsumentensicherheit bei einem Genussmittel nur von untergeordneter Bedeutung wäre.
Immerhin beim Thema Medizinalcannabis sind sich Dolfen und die Hersteller wohl einig: Die Trennung solle strikt beibehalten und im Rahmen der Legalisierung als Genussmittel auch die Regulierung der therapeutischen Cannabisanwendung reformiert werden. Insbesondere der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen müsse gestrichen werden, fordert der Verband, „da dieser heute viele tausend Patienten benachteiligt“.
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