Der Markt für Medizinalcannabis ist weiterhin in Bewegung. Zahlreiche Start-ups sind in den vergangenen Jahren aus dem Boden geschossen, die einen Teil vom Kuchen abhaben wollen. Gerade für junge Unternehmen ist dabei Orientierung im Markt wichtig – die unter anderem die Begleiterhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) liefert. Doch gerade die Markteinsteiger sehen sich von offizieller Seite nicht ausreichend informiert.
Cannovum steckt noch in den Kinderschuhen, hat aber vor, sich als Cannabis-Großhändler zu etablieren. Neben einem jungen Team um Gründerin und Geschäftsführerin Pia Marten bringen erfahrene Pharmamanager wie Marius Koose Erfahrung aus der Branche ein. Koose hat 14 Jahre für Bayer gearbeitet, bevor er sich 2018 selbstständig machte und im Jahr darauf gemeinsam mit Marten Cannovum gründete. Wie das Geschäft läuft, weiß man bei Cannvoum also. Was für ein kleines Unternehmen ohne eigene (Markt-)Forschung allerdings schwieriger in Erfahrung zu bringen ist, sind die therapeutischen Erkenntnisse, die sich bisher aus drei Jahren medizinischem Cannabis in Deutschland ergeben haben.
Denn die sind höchst relevant, will man sich auf einem noch jungen Markt strategisch gut aufstellen. Zum Glück, könnte man sagen, wurde bereits mit dem Gesetz zur Legalisierung von medizinischem Cannabis eine nicht-interventionelle Begleiterhebung festgeschrieben – auf die viele junge Cannabis-Großhändler als wichtige Informationsquelle setzen. „Wir als Großhändler machen es uns zur Aufgabe, möglichst gut verträgliches Cannabis anzubieten und brauchen dafür verlässliche Daten zu Sorten und Darreichungsformen“, sagt Marten. Doch die Quelle sprudelt noch nicht so recht. Vielmehr veröffentlicht das BfArM peu à peu Ergebnisse und hat schon seit über einem Jahr keine neuen Daten publiziert.
„Die Daten der Begleiterhebung wurden vor einem Jahr aktualisiert, es wäre Zeit, das erneut zu tun“, so Marten. „2022 sollen die Daten komplett veröffentlicht werden, das ist allerdings ziemlich spät.“ Denn bereits jetzt müssen wichtige strategische Entscheidungen getroffen werden, der wichtigste Lieferant für den deutschen Markt sitzt nämlich weiterhin in den Niederlanden: Über das dortige staatliche Cannabisbüro kommt die Ware des Herstellers Bedrocan nach Deutschland. Während die Zahl der beziehenden Großhändler kontinuierlich steigt, bleibt die Menge, die Bedrocan auf Grundlage eines Versorgungsvertrages nach Deutschland liefert, aber gleich: rund 200 Kilogramm im Monat.
Entsprechend sehen etablierte Cannabis-Großhändler die Perspektiven der jungen Mitbewerber. „Diese Quote ist im Laufe der vergangenen zwei Jahre durch die stark angewachsene Zahl an Großhändlern von 40 Kilogramm pro Großhändler auf zuletzt 5 Kilogramm für Mai und Juni gefallen. Ausgehend von einer konstant importierten Menge von 2500 Kilogramm pro Jahr bleiben deshalb bei 41 beziehenden Unternehmen gerade einmal 5 Kilogramm pro Firma“, rechnet David Henn vor, Geschäftsführer von Cannamedical.
Henn prognostiziert deshalb eine Pleitewelle insbesondere unter den kleineren Großhändlern. „Bei einem durchschnittlichen Verkaufspreis von 9 Euro pro Gramm und einem Bezugspreis von 5,60 Euro bedeutet das eine Marge von lediglich 17.000 Euro“, sagt er. „Damit ist es unmöglich, eine positive Wachstums- oder Überlebensprognose abzugeben. Hinzu kommen hohen Aufwendungen für Zulassungen nach dem AmradV.“ 30.000 Euro kostet eine solche Zulassung gemäß der Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel (AMRadV), deren Notwendigkeit Unternehmen und Aufsichtsbehörden jahrelang übersehen hatten. Es herrsche wegen dieser Umstände ein „Überlebenskampf“, so Henn, bei dem sich momentan Allianzen innerhalb der Bedrocan-Händler bilden, die versuchen würden, durch gezielte Abmahnungen und Unterlassungsverfügungen die eigenen Quoten wieder zu erhöhen.
Entsprechend steigt die Bedeutung für die kleineren Mitbewerber, die eigenen Lieferanten und das Portfolio zu diversifizieren. Dessen ist man sich auch bei Cannovum bewusst. „Wir beziehen natürlich auch von Bedrocan, sind aber nicht nur darauf ausgerichtet. Wenn man nur von Bedrocan bezieht, wie es viele Großhändler tun, wird es knapp“, sagt Marten. Die Lage könnte dabei schlechter sein: Europaweit werden derzeit Produktionskapazitäten auf- und ausgebaut. Von Portugal bis Dänemark wächst die Zahl der Anlagen, die GMP-zertifiziertes medizinisches Cannabis produzieren. „Wir werden viele Lieferanten haben. Deshalb habe ich keine Zweifel, dass unser Geschäftsmodell da tragfähig ist.“ Auch hier sieht Henn die Lage weniger positiv als die Konkurrenz: „Coronabedingt gibt sich derzeit ein Rückstau an geplanten EU-GMP-Zertifizierungen bei deutschen Behörden. Deshalb werden aktuell Audit-Termine für 2021 vergeben, während bestehende, zertifizierte Unternehmen im Regelfall exklusive Vereinbarungen mit Abnehmern haben.“
Doch selbst wenn sie zertifizierte Ware bekommen, auf welche Produkte und Sorten sollten sie dabei setzen? Hier kommen die BfArM-Daten ins Spiel. „Die Begleiterhebung des BfArM ist die richtige Maßnahme, um Erkenntnisse zu gewinnen. Diese helfen dabei, Cannabis-Medikamente zielgerichteter einzusetzen“, sagt Marten. „Die Erhebung stellt daher nicht nur für Ärzte und Patienten einen enormen Mehrwert dar, sondern auch für Großhändler wie Cannovum, die die Versorgung der Apotheken sicherstellen.“ Anlass, aus diesem Grund mehr Ergebnisse und die in kürzeren Abständen zu publizieren, sieht man beim BfArM jedoch nicht. Auf konkrete Fragen zum Thema antwortet das Institut lediglich mit einem allgemeinen Statement zur Rechtsgrundlage und Durchführung der Begleiterhebung. „Aufgrund des großen öffentlichen Interesses hat das BfArM dennoch bereits erste zusammenfassende Daten veröffentlicht, die auch bei der noch begrenzten Datenmenge wissenschaftlich belastbar sind. Das betrifft insbesondere die Daten zu den Haupt-Anwendungsgebieten, der Quote der Therapieabbrecher und zu den am häufigsten auftretenden Nebenwirkungen“, so die Behörde.
Dabei gibt es nach Martens Ansicht aber noch eine Menge nachzuholen. So ist die letzte Veröffentlichung der Zwischenergebnisse ein Jahr alt – entsprechend ist die Zahl der Patientendatensätze mittlerweile gestiegen, wird in den öffentlich zugänglichen Auswertungen aber noch nicht berücksichtigt. Noch bedeutsamer sind aber die weißen Flecken in der bisherigen Auswertung. „Es gibt zwar eine Differenzierung nach Darreichungsformen. Aber es wäre besser, wenn man genauere Aussagen nach Blütensorten machen könnte.“ So unterscheide die Erhebung zwar zwischen Cannabisarzneimitteln wie Cannabisblüten, Dronabinol oder Sativex, fasst diese aber in der Veröffentlichung zusammen. Ob es beispielsweise bei der Verträglichkeit Unterschiede gibt, sei deshalb nicht ersichtlich. Ebenso wenig ließen sich daraus Rückschlüsse ziehen, ob es Unterschiede bei der Verträglichkeit oder dem Therapieerfolg zwischen unterschiedlichen Cannabispräpraten gibt.
„Das volle Potential der Erhebung ist noch nicht ausgeschöpft worden“, sagt Marten. Hinzu komme, dass selbst die Zwischenauswertung nicht öffentlich zugänglich ist. „Unsere Grundkritik ist, dass die Datensätze nicht frei verfügbar sind, sondern beim Springer-Verlag erworben werden müssen. Das schließt viele aus, für die das interessant wäre. Vor allem Mediziner und Patienten sollten kostenfrei darauf zugreifen können“, sagt Marten. „Unser Unternehmen befindet sich gerade im Aufbau. Wir haben unsere Strategie, aber gerade mit Blick auf Sorten und Darreichungsformen wären die Informationen der Begleiterhebung wichtig.“ Ob es die richtige Strategie ist, sich auf die Daten des BfArM zu verlassen, bezweifelt Henn allerdings ebenfalls. „Die Daten aus der Begleiterhebung sind für kleinere, jüngere Großhändler kein aussagekräftiger Referenzpunkt für ihre Einkaufsstrategie“, sagt er. Ob aussagekräftig oder nicht, Cannovum will schon bald das erste Produkt in die Apotheken bringen. „Der Fokus ist ganz klar, das mit einer Eigenmarke zu tun“, sagt Marten. Doch auf welches Pferd soll sie dabei setzen? Da wird noch einige Unsicherheit bleiben, bis sie und ihr Team auf eine bessere Datengrundlage zurückgreifen können.
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