Cannabis-Engpässe: Wichtigster Lieferant fällt aus Tobias Lau, 18.06.2020 12:32 Uhr
Deutschen Apotheken stehen erneut Lieferengpässe bei medizinischem Cannabis bevor. Vor allem Apotheken, die sich nicht auf medizinisches Cannabis spezialisiert haben, könnten in den kommenden Wochen große Schwierigkeiten kriegen, Ware zu bekommen. Denn mit Bedrocan ist derzeit der wichtigste Lieferant für den deutschen Markt ausgefallen. Voraussichtlich mindestens anderthalb Monate wird aus den Niederlanden nichts mehr kommen. Das ist vor allem für die vielen kleineren Großhändler ein erhebliches Problem.
Das Niederländische Cannabisbüro hat nichts mehr auf Lager. Das teilte es Ende vergangener Woche seinen Kunden, den deutschen Großhändlern, in einer E-Mail mit, die APOTHEKE ADHOC vorliegt. „Aufgrund zusätzlich benötigter Tests, die benötigt werden, um die Chargen für den Export freizugeben, haben wir derzeit keine Ware am Lager“, heißt es darin. Man hoffe, das Problem in den nächsten beiden Wochen lösen zu können. „Das heißt, dass wir in den kommenden Wochen nicht in der Lage sein werden, Ware zu verschicken. Es wird voraussichtlich zwei bis sechs Wochen dauern, bis wir das wieder tun können.“ Anscheinend ist bei den Analysen der Ware ein Fehler unterlaufen. Laut Cannabisbüro waren sie unvollständig und müssen deshalb vollständig von vorn durchgeführt werden. Betroffen ist davon bereits die Juni-Lieferung.
Das Niederländische Cannabisbüro kauft seit 2003 die Ware des Herstellers Bedrocan auf, lässt sie bestrahlen und analysieren, um sie dann zu exportieren. Deutschland macht dabei rund drei Viertel des europäischen Marktes aus. Umgekehrt ist die Abhängigkeit etwas geringer, aber immer noch sehr hoch: Von den rund 6500 Kilogramm medizinischen Cannabis, die 2019 nach Deutschland importiert wurden, entfielen 2500 allein auf Bedrocan, also knapp 40 Prozent. Die fallen nun mindestens diesen Monat weg – wenn nicht noch länger.
„Wir gehen aktuell davon aus, dass Bedrocan Produkte für circa 8 Wochen nicht auf dem deutschen Markt verfügbar sein werden“, sagt David Henn, Geschäftsführer des Importeurs Cannamedical. Er gibt sich gelassen und verweist auf andere Bezugsquellen seines Unternehmens. „Tatsächlich ist bereits in den letzten Monaten eine stetig steigende Zahl an Patienten auf das beständig verfügbare Cannamedical Hybrid, einer Sativa-reichen Sorte mit vergleichbarem Profil, gewechselt – und berichten sogar von besseren Therapie-Erfolgen als mit dem ursprünglichen Präparat.“
Erleichternd hinzu kommt der europaweite Aufbau von Kapazitäten, insbesondere in Portugal und Dänemark, und dadurch eine stetig wachsende Diversifizierung der möglichen Lieferanten. Entsprechend gibt man sich auch beim Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) recht entspannt. „Wenn es bei sechs Wochen bleibt, denke ich, dass das gehen sollte, weil wir mittlerweile auf dem Markt auch andere Ware haben. Das wäre vor nicht allzu langer Zeit noch ein größeres Problem gewesen“, sagt die stellvertretende Vorsitzende Astrid Staffeldt.
Es komme dabei jedoch stark darauf an, wie die jeweilige Apotheke bei dem Thema aufgestellt ist: Ihre eigene, die Falken-Apotheke in Hannover, ist schon seit Jahren auf medizinisches Cannabis spezialisiert und hat nicht nur eine entsprechende Lagerhaltung, sondern auch entsprechend viele Bezugsquellen. „Für uns ist das kein Problem, weil wir erst kurz davor eine große Bestellrunde absolviert haben“, sagt sie. Auch wer nicht auf Cannabis spezialisiert ist, aber Patienten betreut, die konstant dieselbe Sorte erhalten, und entsprechend gelagert hat, den dürfte der Engpass ebenfalls weniger betreffen, vermutet Staffeldt: „Ich kann mir aber vorstellen, dass es für Apotheken, die ad hoc etwas bestellen wollen, schwierig wird. Ich würde die jetzige Situation als Stresstest bezeichnen, der eine oder andere wird durchaus Probleme haben.“
Noch größere Probleme könnten hingegen auf manche Großhändler zukommen. Denn seit der Cannabis-Reform im März 2017 haben viele die Versorgung mit Blüten & Co. als Geschäftsfeld entdeckt. Entsprechend ist die Zahl der Großhändler in die Höhe geschnellt, mittlerweile sind rund 41 am Markt, die Zahl der lizensierten ist sogar noch höher. Und nicht wenige von ihnen beziehen größtenteils von Bedrocan – bei gleichbleibender Importmenge. „Ausgehend von einer konstant importierten Menge von 2500 Kilogramm pro Jahr bleiben deshalb bei 41 beziehenden Unternehmen gerade einmal 5 Kilogramm pro Firma“, rechnet Henn vor und prognostiziert eine Pleitewelle bei der Konkurrenz. „Bei einem durchschnittlichen Verkaufspreis von 9 Euro pro Gramm und einem Bezugspreis von 5,60 Euro bedeutet das eine Marge von lediglich 17.000 Euro“, sagt er. „Damit ist es unmöglich, eine positive Wachstums- oder Überlebensprognose abzugeben. Der jetzige Totalausfall kommt damit zu einer denkbar schlechten Zeit. Für viele Unternehmen könnte es durchaus eng werden, erwartet auch Staffeldt: „Großhändler, die ausschließlich von Bedrocan-Ware leben, verdienen sechs Wochen lang überhaupt kein Geld.“