Günther Jauch, insbesondere durch langjährige Formate wie „Wer wird Millionär“ bekannt, tritt derzeit regelmäßig als Werbegesicht für den Versender Shop Apotheke auf. Das kommt bei vielen Apothekern nicht gut an. Einer von ihnen ist Dr. Christian Gerninghaus, Inhaber der Sonnen-Apotheke in der hessischen Kleinstadt Schlitz. Er schrieb eine ausführliche Mail an den Moderator der Fernsehsendung – und bekam Antwort.
„Eine ältere Patientin hat in der Apotheke gefragt, ob jetzt alle Rezepte an Herrn Jauch geschickt werden müssen“, erzählt Gerninghaus. Die Werbung mit Jauch hatte offenbar gewirkt, das wollte der Apotheker nicht auf sich sitzen lassen. Also rief er beim Weingut des Moderators an und schickte ihm eine E-Mail.
Seit mehr als 40 Jahren sei Jauch als Moderator und Showmaster verschiedenster Fernsehsendungen aus der deutschen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken, so Gerninghaus. Dafür habe er auch zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhalten. „Selbstverständlich ist eine Person Ihres Bekanntheitsgrades auch als Werbebotschafter von großem Interesse“, beginnt der Apotheker den Brief. Dementsprechend müsse man aber auch verantwortungsvoll damit umgehen.
„Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie mit Ihrem Engagement für Shop Apotheke einen wesentlichen Beitrag zur Destabilisierung der zweiten großen Säule unseres Sozialstaats, der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland, leisten?“, fragt der Apotheker. Denn die Idee der solidarisch finanzierten Krankenversicherung lebe davon, dass alle Bürger einen vergleichbaren Zugang zu Gesundheitsleistungen haben, denn Gesundheit sei in Deutschland verfassungsrechtlich garantiert. Dafür sei eine flächendeckende Versorgung mit Arztpraxen und Apotheken notwendig, so Gerninghaus. Dafür sorge unter anderem eine gesetzliche Regelung der Arzneimittelpreise.
„Wenn jetzt ein Anbieter wie Shop Apotheke Einkaufsvorteile für das Einlösen von E-Rezepten verspricht und damit die gesetzlichen Arzneimittelpreise umgeht um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, ist das ein Affront für alle Apotheken in Deutschland, die sich solidarisch an Recht und Gesetz halten. Dieses Verhalten gefährdet akut Apothekenstandorte in Deutschland und damit das gesamte System“, warnt Gerninghaus.
Shop Apotheke sei eigentlich keine Apotheke, da ihr einige typische Merkmale fehlten, so Gerninghaus. Vielmehr handele es sich um ein auf Arzneimittel spezialisiertes Logistikunternehmen, das aber wesentliche Leistungen einer echten Apotheke nicht erbringen könne. So könnten Patienten dort keine BTM- oder T-Rezepte einlösen.
Apotheken in Deutschland sind dagegen Vollsortimenter. Darüber hinaus übernehmen sie weitere Aufgaben der Daseinsvorsorge wie Nacht- und Notdienste. „Mit dem Begriff ‚Apotheke‘ den Anschein zu erwecken, Teil der etablierten Gesundheitsversorgung in Deutschland zu sein, ist daher unehrlich, denn man kann bei Shop Apotheke nicht die gleichen Leistungen erwarten wie bei einer klassischen Apotheke vor Ort. Das lassen Sie in Ihrer Werbung unerwähnt“, kritisiert der Apotheker.
In 19 von 27 europäischen Ländern sei der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten verboten, betont Gerninghaus. „Und das aus gutem Grund: denn Arzneimittel sind besondere Waren die auch besonderer Sorgfalt bedürfen“, erklärt der Apotheker. So müsse zum Beispiel in deutschen Apotheken ganzjährig eine Lagerung der Medikamente bei Temperaturen unter 25 Grad Celsius gewährleistet sein. „Wie soll diese sinnvolle und qualitätssichernde Vorgabe an einem heißen Sommertag im Fahrzeug eines Zustellunternehmens gewährleistet werden?“, fragt sich Gerninghaus.
Der Apotheker findet aber auch positive Worte für den Moderator. Er lobt ausdrücklich, dass Jauch in eine Kampagne der Allianz Lebensversicherung „Wo soll’s denn hingehen?“ eingebunden ist. Mit der Reklame wolle die Allianz in unsicheren Zeiten und angesichts großer Herausforderungen für das Rentensystem die Menschen frühzeitig für das Thema sensibilisieren und zu mehr Eigenvorsorge auffordern. „Dass Sie, Herr Jauch, sich für diese Kampagne der Allianz einsetzen, ist wichtig und ehrt Sie, denn damit übernehmen Sie auch Verantwortung für einen besonders wichtigen Teil unserer sozialen Sicherungssysteme, die wir paritätisch finanzieren und die auch den sozialen Frieden erhalten“, schreibt Gerninghaus.
„Sehr geehrter Herr Jauch, Sie sind ein starker und glaubwürdiger Botschafter. Die Menschen in Deutschland vertrauen Ihnen. Ihr Engagement für Shop Apotheke ist aber gefährlich. Sie leisten damit einen Beitrag zur Zerstörung bewährter Strukturen und Destabilisierung des gesamten Systems. Shop-Apotheke gewinnt mehr und mehr Anteile am Arzneimittelmarkt in Deutschland. Dank der täglichen Werbung mit Ihnen als Markenbotschafter. Wollen Sie das wirklich?“, schließt der Apotheker.
Eine Antwort des Moderators erhielt der Apotheker wenige Tage später. Gerninghaus hatte gehofft, dass der Brief dazu führen würde, dass Jauch sich aktiv mit dem Thema auseinandersetzt, doch dies scheint nicht der Fall zu sein. Vielmehr scheint es sich um ein standardisiertes Schreiben zu handeln, das auch schon andere Apotheken erhalten haben.
„Über 100 Apothekerinnen und Apotheker sowie pharmazeutische Mitarbeiter unterstützen die Kunden der Shop Apotheke mit fachkundiger Beratung“, heißt es in dem Rückschreiben. „Bitte bedenken Sie auch, dass gerade für alle, die nicht in Städten wohnen, dieser Service einschließlich der schnellen Lieferung ein entscheidender Vorteil ist.“
Natürlich bleibe die stationäre Apotheke vor Ort eine „wichtige Instanz“, so Jauch. Allerdings habe jeder die Wahl, Waren und Dienstleistungen digital oder eben stationär vor Ort zu bestellen. Er räumte ein, dass dieser Wettbewerb nicht ausschließe, dass Apotheken Umsatzanteile an neue Wettbewerber verlieren könnten. „Auf der anderen Seite: Eine Apotheke erwirtschaftete 2020 im Schnitt 2,7 Millionen Euro – 2012 waren es nur 1,8 Millionen Euro“, rechnet Jauch vor.
Eine persönliche Anmerkung gibt es dann doch noch, allerdings scheint Jauch weniger der Inhalt als die Adresse der Sonnen-Apotheke interessiert zu haben. Die befindet sich nämlich ausgerechnet in der Günthergasse. Er sei als Kind oft in Schlitz gewesen, habe aber noch nicht gewusst, dass es in der Kleinstadt sogar eine Günthergasse gebe, fügte der Moderator handschriftlich unter dem Standard-Brief hinzu.
Dass Prominente wie Jauch für Versandapotheken werben, statt die Apotheken vor Ort zu unterstützen, wertet Gerninghaus als weiteres Zeichen mangelnder Wertschätzung. „Die fehlende Wertschätzung ist auch im Reformgesetz ist auffällig, Apotheken werden zu reinen Abgabestellen degradiert und die persönliche Beratung in Frage gestellt – es wäre schön, wenn sich das ändern könnte“, wünscht sich Gerninghaus.