Je näher der Zeitpunkt für die Zulassung eines Corona-Impfstoffs rückt, umso mehr tritt die Frage der Verteilung in den Vordergrund. Auf die Logistikbranche kommt eine besondere Herausforderung zu: Die neuen RNA-Impfstoffe müssen tiefgekühlt gelagert und transportiert werden. Die Hersteller fordern Temperaturen von minus 20 bis minus 80 Grad, um die chemische Stabilität zu gewährleisten. Dass kann der Arzneimittelgroßhandel aus dem Stand nicht leisten. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters stehen auch die Deutsche Post sowie ihre Rivalen FedEx und UPS in den Startlöchern.
In Deutschland sind nur wenige Logistiker in der Lage, tiefgekühlte Produkte zu lagern und bis zur letzten Meile zu transportieren. Die Deutsche See als Fischlieferant mit ihren bundesweiten Verteilzentren gehört ebenso dazu wie die Logistiker in der Tierzucht: Tiersperma muss ebenfalls tiefgekühlt, teilweise in mit Flüssigstickstoff gekühlten Behältnissen transportiert werden.
Doch auch bei der globalen Verteilung müssen viele Herausforderungen gemeistert werden, um den Impfstoff rasch und vor allem sicher an die Menschen zu bringen. „Wir rechnen mit zehn Milliarden Impfdosen, die über die ganze Welt verteilt werden müssen – und damit auch in Gebiete, in denen es nicht alle fünf Kilometer eine Autobahnabfahrt gibt“, beschreibt Katja Busch im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters die Aufgabe. Sie muss es wissen, denn als Chief Commercial Officer bei DHL betreut sie Kunden etwa aus der Pharmaindustrie.
Ein Problem könne die Temperatur werden, unter der ein neues Mittel geliefert werden muss. „Normalerweise werden Impfstoffe bei zwei bis minus acht Grad gelagert und transportiert“, berichtet Busch. „Für die neuen Technologien – wie etwa die RNA-Technik – gibt es noch keine validen Stabilitätsdaten.“ Auf dieser Methode, die Ribonukleinsäure (RNA) als Botenstoff benutzt, basieren etwa die Impfstoff-Kandidaten der Partner Biontech und Pfizer sowie von Curevac aus Tübingen. Um auf der sicheren Seite zu sein, forderten die Hersteller, dass die Impfstoffe in einer Spannbreite von minus 20 bis minus 80 Grad zu transportieren seien. Solche Vorgaben könnten über die gesamte Lieferkette hinweg nötig werden.
Die Post hat mit der Unternehmensberatung McKinsey in einer Studie Hindernisse für die gigantische Verteilaktion untersucht und Lösungen geprüft. „Ist erst ein sicherer und effektiver Impfstoff entwickelt, erscheinen Transport und Logistik wegen der Empfindlichkeit eines neuen Mittels gegenüber Umwelteinflüssen als die nächsten Herausforderungen im Kampf gegen Covid-19“, heißt es dort laut Reuters. „Es ist nicht trivial sicherzustellen, dass eine solche lebenswichtige Sendung bei minus 80 Grad weltweit transportiert und zugestellt werden kann“, sagt Busch.
Dass die nötige Temperatur eingehalten wird, müsse – etwa über Sensoren – lückenlos dokumentiert werden. Bei einigen der aktuell erprobten Impfstoffe gebe es solche Vorgaben in klinischen Tests. Welche Anforderungen für einen Impfstoff letztlich nötig werden, ist allerdings noch offen. „Die Stabilitätsdaten für unseren Impfstoffkandidaten Covid-19 müssen wir noch bestätigen“, teilt Curevac mit: „Wir sind aber zuversichtlich, dass wir wettbewerbfähige Daten erzielen können.“ Einfacher wäre es, wenn ein Impfstoff in der Spanne zwischen zwei und minus acht Grad geliefert werden könnte.
„Angesichts der Letalitätsraten ist es natürlich sehr wichtig, den Impfstoff schnell zu verteilen“, sagt Busch. DHL gehe davon aus, dass rund 100.000 Paletten transportiert werden müssen, dazu würden etwa 15.000 Flüge nötig. „Man muss immer wissen, wo sich eine Palette gerade befindet“, berichtet Busch. In den Lagerhäusern müsse es besondere Kühlschränke geben. „Wir müssen sicherstellen, dass nicht Millionen von Sendungen aufgrund von unzureichend gesicherter Lieferketten eventuell vernichtet werden müssen.“
Die Verteilung ist auch vor dem Hintergrund eine Herausforderung, dass die Luftfracht-Kapazitäten in der Corona-Krise geschrumpft sind. Die Branche greift auch auf Passagiermaschinen zurück. Diese verkehren wegen der Auswirkungen der Pandemie nun deutlich weniger. Die Transportbehälter müssten zudem – je nach Temperatur-Anforderungen – mit Kühlelementen oder Trockeneis bestückt werden. All das mache umfassende Planung nötig, um Engpässe zu vermeiden, geht aus der Studie hervor. So ist etwa die Menge Trockeneis, die in einem Flugzeug transportiert werden kann, aus Sicherheitsgründen limitiert. Wegen der Transport-Kapazitäten macht sich Busch keine Sorgen: Bei einer solchen Herausforderung würden die großen Airlines ihre Maschinen zur Verfügung stellen. „Wir sind in regelmäßigem Austausch“, sagt sie. Engpässe wie zu Beginn der Pandemie beim Transport von Schutzkleidung aus Asien werde es nicht geben. „Das war ein einmaliges Ereignis.“
Besondere Herausforderungen bietet die Lieferung vor allem in Gebiete mit warmem Klima, in denen die Logistik nur eingeschränkt auf die Einhaltung von Kühlketten ausgerichtet ist. Teile Afrikas, Südamerikas und Asiens seien schwer zu erreichen. Hier könnte die Verteilung und Verfügbarkeit von Trockeneis eine zentrale Rolle spielen. Beim Aufbau von ununterbrochenen Kühlketten unter schweren Bedingungen seien auch Regierungen gefragt. Dabei und bei der Vorbereitung auf neue Pandemien sei eine Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Unternehmen angezeigt.
„Die großen Logistiker werden zusammen sicherstellen, die Impfstoffe so schnell wie möglich an die Menschen zu bringen“, bilanziert Busch mit Blick auf die aktuelle Krise. UPS erklärte laut Reuters, man arbeite mit einem Pharmakonzern zusammen, um den Transport von Impfstoffen bei minus 80 Grad zu stemmen. Ein Wettbewerber habe sich Zugriff auf Kontingente für Transporte bei minus 20 Grad gesichert. FedEx erklärte gegenüber Reuters, der Konzern habe Kapazitäten für stark gekühlte Arzneimittel ausgebaut. Die Post verfügt über 160 Lagerhäuser, die Voraussetzung auch für extreme Kühlung bieten. Rund 9000 Mitarbeiter seien hier Spezialisten.
APOTHEKE ADHOC Debatte