Biosimilar-Austausch: Ab Sommer droht das totale Chaos Alexandra Negt, 15.02.2022 17:18 Uhr
Adalimumab, Bevazizumab, Pegfilgrastim & Co. – ab Sommer könnte es bei der Versorgung mit diesen Wirkstoffen in der Apotheke zum absoluten Chaos kommen. Denn dann sollen Biosimilars genauso behandelt werden wie Generika: Rabattverträge sollen die automatische Abgabe bestimmen, doch zahlreiche Details sind offen. Möglicherweise entstehende Lieferengpässe könnten die Patientenversorgung zusätzlich gefährden.
Beim heutigen Symposium von Pro Biosimilars ging es um die politisch geplante automatische Substitution von Biopharmazeutika. Eigentlich soll es bereits ab Sommer losgehen mit den „Rabattverträgen“. Weder der anwesende Vertreter der Ärzteschaft, Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig (Vorsitzender Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft), noch die Vertreterin der Apothekerschaft, Dr. Kerstin Kemmritz (Präsidentin der Apothekerkammer Berlin) halten die Umsetzung der geplanten automatischen Abgabe in wenigen Monaten für möglich. Es fehle an Struktur. Zudem sei der automatische Austausch aus medizinischer Sicht fragwürdig.
Biosimilars: Läuft der Patentschutz für ein Biopharmazeutikum (Biologikum) aus, so können Nachahmerpräparate eine Marktzulassung erhalten. Diese heißen Biosimilar, denn sie sind dem Original lediglich ähnlich. Bei tatsächlich gleichen Präparaten spricht man von Bioidentika. Streng genommen ist der Ausdruck „Generikum“ nicht korrekt, da es sich nicht um chemisch-synthetisch hergestellte Arzneimittel handelt.
Was kommt auf die Apotheken zu?
Für eine reibungslose Umsetzung der automatischen Substitution fehle es noch an konkreten Vorgaben, gab Kemmritz zu bedenken. Bei der Vorlage einer Verordnung müsste die Apotheke darüber informiert werden, ob es sich um eine Erst- oder um eine Folgeverordnung handele. „Beim Beratungsbedarf macht das einen großen Unterschied“, so Kemmritz. „Weiterhin müsste man bedenken, dass wirkstoffähnliche Präparate in unterschiedlichen Darreichungsformen am Markt sein können. „Es ist ein Unterschied, ob ein Patient/eine Patientin einen Fertigpen, eine Fertigspritze oder eine Infusionslösung verabreicht bekommen soll. Selbst Fertigpens untereinander sind in der Anwendung oftmals ganz unterschiedlich.“
Außerdem gab Kemmritz zu bedenken, dass es bei zahlreichen Biosimilars zusätzlicher Hilfsmittel bedarf. „Diese müssen separat auf einem Hilfsmittelrezept verordnet werden. Wechselt das Biosimilar, das abgegeben werden soll, so wechselt auch das Hilfsmittel. Und nicht alle Apotheken geben diese Hilfsmittel ab, da es hierfür mittlerweile einer Präqualifizierung bedarf.“
Somit könnte ein Austausch dazu führen, dass die Apotheke Rücksprache mit der Praxis halten muss, da ein zusätzliches oder neues Hilfsmittelrezept ausgestellt werden müsste. Stellt sich die Frage, wie häufig man Patient:innen eigentlich einen Wechsel der Darreichungsform zumuten kann und in wieweit die Compliance hierdurch gefährdet werden könnte.
Für eine erfolgreiche Umsetzung in der Praxis fordert Kemmritz noch mehr: „Ein Beratungsgespräch zur Anwendung eines Devices kann nicht immer binnen weniger Minuten erfolgen. Zudem ist der Handverkauf hierfür nicht immer der geeignete Ort. Vergleiche ich diese bevorstehende Aufgabe mit ähnlichen Situationen aus der jetzigen Praxis, so würde ich schon mit einer Viertelstunde kalkulieren, unter Umständen auch länger. Doch dann sollte diese Leistung auch vergütet werden. Eine neue pharmazeutische Dienstleistung würde entstehen.“
Zum Schluss findet die Kammerpräsidentin noch einmal deutliche Worte: „Kommt es zu der automatischen Substitution, so brauchen Apotheken wie auch Arztpraxen Rechtssicherheit beim Thema Regress und Retaxierung. Pharmazeutische Bedenken sollten weiterhin angewendet werden dürfen, wenn Apotheker:innen die Compliance in Gefahr sehen.“
Beim Symposium wurde auch hervorgehoben, dass es auch beim Thema Pharmakovigilanz an Struktur fehle. Alle Biosimilars unterstehen einer weiteren Überwachung. In der Fachinformation und Gebrauchsanweisung ist diese Vorgabe mit einem schwarz-weißen Dreieck gekennzeichnet. Patient:innen werden angehalten, Neben- und Wechselwirkungen zu melden. Eigentlich wenden sich die Betroffenen dafür an ihre/n behandelnde/n Ärztin/Arzt. Wenn nun aber erst in der Apotheke bestimmt wird, welches Präparat abgegeben wird, so erschwert sich die korrekte Dokumentation der unerwünschten Arzneimittelreaktionen.
Wenn Kostendruck zum Nocebo-Effekt führt
Der Nocebo-Effekt ist das negative Gegenstück zum Placebo-Effekt. Die Einnahme eines ausgetauschten Biosimilars kann unter Umständen zu negativen gesundheitlichen Effekten führen. Denn die Erklärung, dass die Apotheke ein anderes Präparat aufgrund von Wirtschaftlichkeit abgeben muss, kann beim Behandelten einen falschen Eindruck erwecken. Mitunter gehen die Kund:innen davon aus, dass das Alternativpräparat billig ist und unter schlechteren Bedingungen hergestellt wurde. Die entstehende Abneigung kann die Wirkung beeinflussen. „Bei der Einstellung auf ein Biopharmazeutikum braucht es auch weiterhin persönliche ärztliche Beratung. Sonst kann es sein, dass Patient:innen nicht auf die Wirksamkeit und Sicherheit vertrauen und diese auch tatsächlich nicht eintritt“, warnte Ludwig.
Der Generika-Fehler wiederholt sich
Aus Sicht von Pro Biosimilars wiederholt die Politik hier den Generika-Fehler. Denn weiter in die Zukunft geblickt, könnte die starke Orientierung an Kosten und Wirtschaftlichkeit dazu führen, dass der aktuell noch relativ sichere Produktionsstandort Europa (hier vornehmlich Deutschland und Spanien) geschwächt werde. Anhand anderer Beispiele werde deutlich, wie die Entwicklung laufen könne. So würden nahezu alle Antibiotika heute in China produziert. Nicht selten führt der Ausfall eines Produzenten zu einem weltweiten Lieferengpass. Vor einigen Jahren zeigte sich dies beim Schmerzmittel Ibuprofen. Als aktuelles Beispiel dient Tamoxifen.