BGH: Zwangsgeld nach Apothekentest Patrick Hollstein, 04.02.2020 07:46 Uhr
Wird einem Hersteller gerichtlich verboten, ein bestimmtes Produkt in den Verkehr zu bringen, so muss er die Apotheken über den Vertriebsstopp informieren – auch wenn ihn dies womöglich Kundschaft kostet. Einem Versuch des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG), eine andere Auslegung durchzusetzen, schob der Bundesgerichtshof (BGH) einen Riegel vor. Besondere Brisanz bekommt der Fall durch die seit dem Prozess um Rx-Boni anhaltenden Scharmützel zwischen den beiden Gerichten.
Im August 2017 war dem Hersteller MSE Pharmazeutika vom Landgericht Düsseldorf verboten worden, seine Produkte „Tinnitus Bildi“ und „Migränomit Bildi“ als diätetische Lebensmittel zur Behandlung von Tinnitus beziehungsweise Migräne zu vertreiben. Das Unternehmen gab zwar eine Abschlusserklärung ab, doch Testkäufe in Apotheken belegten, dass die Produkte auch danach noch im Handel zu finden waren. MSE sollte daher ein Ordnungsgeld von 11.000 Euro zahlen.
Laut ständiger Rechtssprechung des BGH sind die Hersteller in solchen Fällen verpflichtet, die Handelsstufen über das jeweilige Verbot zu informieren und sie auf den einstweiligen Vertriebsstopp hinzuweisen. Wissen Apotheken davon, betrifft sie dann die sogenannte Störer-Haftung.
Insofern schien das Ordnungsgeld auf sicherer Grundlage zu stehen. Doch der 20. Zivilsenat des OLG Düsseldorf unter Leitung von Erfried Schüttpelz sah diesen Anspruch nicht. Schüttpelz war es auch, der sich in Sachen Rx-Boni über die Entscheidung des Gemeinsamen Senats hinwegsetzte – und sich seitdem auch via Urteil schon einen öffentlichen Schlagabtausch mit den Kollegen aus Karlsruhe lieferte.
Die Argumentation, warum MSE das Ordnungsgeld nicht zahlen soll: Der Hersteller könne nicht für Verstöße der Apotheken zur Rechenschaft gezogen werden, da diese weder in die Vertriebsorganisation eingebunden noch als beauftragter Vertriebspartner anzusehen seien. Vielmehr handele es sich um selbstständige Unternehmer, die keinerlei Weisungen unterlägen. Die Rechtsverletzung des Herstellers werde durch das Handeln der eigenständigen Abnehmer unterbrochen und dauere nicht mehr fort.
Zu differenzieren sei nämlich zwischen Unterlassungs- und Rückforderungsanspruch, für die es jeweils unterschiedliche Rechtsgrundlagen, Tatbestandsvoraussetzungen und Vollstreckungswege gebe. Aus gutem Grund stehe es bei Streitigkeiten im Patentrecht dem Inhaber die Entscheidung frei, ob er neben der Unterlassung auch einen Rückruf fordern wolle. Es gebe daher weder einen sachlichen Grund noch eine rechtliche Notwendigkeit, Letzteres bereits in den Unterlassungstitel „hineinzulesen“.
Im Eilverfahren gehe es übrigens auch nicht darum, sämtliche Ansprüche des Gläubigers vollständig zu befriedigen, weil dies einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkomme und eine ernsthafte Aufforderung, den Vertrieb vorläufig zu unterlassen, im Grund nicht anders als ein echter Rückruf und damit strafähnlich wirke.
Nur wenn die drohenden Nachteile überwiegen und anders kein effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann, sind laut Gericht über die Unterlassung hinausgehende Ansprüche zu rechtfertigen. Im Übrigen könne mangels Durchgriff auf die Handelsstufe gar kein Erfolg garantiert werden – eine Aufforderung könne daher auch nicht als Sicherung des Rückrufanspruchs begriffen werden.
Und dann noch ein direkter Seitenhieb in Richtung Karlsruhe: Folge man der Rechtsprechung des BGH, würde dies eine massive Belastung der Gerichte nach sich ziehen, weil mehr Streitigkeit ins Hauptsacheverfahren getragen würden. Kein Unternehmen habe nämlich ein Interesse, neben der Abschlusserklärung auch noch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung den Rückruf betreffend abzugeben. Denn im Fall eines Verstoßes komme die fällig werdende Geldzahlung dann dem Wettbewerber zugute, während sie im Falle eines gerichtlichen Titels der Staatskasse zufließe.
Wie im Grunde nicht anders zu erwarten, sah der BGH keinen Grund, von seiner bisherigen Rechtsauffassung abzuweichen. „Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs hat zwar nicht für das selbständige Handeln Dritter einzustehen. Das entbindet ihn im Rahmen seiner durch Auslegung ermittelten positiven Handlungspflicht aber nicht davon, auf Dritte einzuwirken, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt und bei denen er mit – gegebenenfalls weiteren – Verstößen ernstlich rechnen muss. Der Schuldner ist daher verpflichtet, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf solche Personen einzuwirken.“
Mit den Argumenten aus Düsseldorf beschäftigten sich die Richter nur knapp: Eine Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens sei nicht zu besorgen, da der komplette Rückruf im Eilverfahren gerade nicht gefordert werden könne. Anderenfalls ginge die Sache zu Lasten des betroffenen Wettbewerbers: „Nimmt man mit dem Beschwerdegericht an, von der Pflicht zur Unterlassung sei keinerlei Beseitigungshandlung umfasst, so muss der Gläubiger hierfür auch dann gesonderte gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen, wenn eine Abschlusserklärung abgegeben wurde.“
Und dann ging die Sache mit Hausaufgabe zurück ans OLG: Im Verfahren hatte der Hersteller behauptet, sehr wohl die Apotheken informiert zu haben. Weil das aber nachweislich erst vier Wochen dem Urteil und zwei Wochen nach den Testkäufen geschehen war, argumentierte das Unternehmen, es habe noch einer Freigabe des Geschäftsführers bedurft. Dies mögen Schüttpelz und Kollegen doch bitte prüfen.