Rezeptdaten

Kein Maulkorb, aber enge Grenzen

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Berlin -

Maulkorb abgenommen oder enge Grenzen gesteckt – im Streit zwischen Schleswig-Holsteins Datenschützer Dr. Thilo Weichert und dem Rechenzentrum VSA reklamieren beide Seiten den Sieg für sich. Da das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein (OVG) die Verfahrenskosten geteilt hat, haben vermutlich beide Recht. Interessant ist an der Begründung des Beschlusses, wie das Gericht zu dieser Einschätzung kam.

Weichert hatte der VSA wiederholt öffentlich vorgeworfen, es mit der Anonymisierung der Rezeptdaten nicht so genau zu nehmen. Dagegen hatte sich das Rechenzentrum gewehrt und den Datenschützer verklagt. In erster Instanz wurde Weichert tatsächlich zum Schweigen verdonnert, im Berufungsverfahren wurde dies etwas abgemildert: Demnach darf sich Weichert grundsätzlich auch kritisch äußern, solange er dies als seine eigene Meinung kenntlich macht und sachlich bleibt.

Vor Gericht ging es zunächst um die Zuständigkeit. Denn die VSA hat ihren Sitz in München und die bayerischen Datenschützer haben das neue Anonymisierungsverfahren nach einer Überprüfung für rechtmäßig erklärt. Insofern habe Weichert von Kiel aus überhaupt keine Veranlassung gehabt, das Geschäftsmodell des Rechenzentrums als illegal zu bezeichnen, so die VSA.

Doch Weichert spielte erfolgreich über Bande: Er sei durchaus für Apotheken zuständig, die in seinem Bundesland Kunde der VSA seien. Zwar lassen tatsächlich nicht einmal eine Handvoll Apotheken aus Schleswig-Holstein ihre Rezepte von der VSA-Tochter ALG abrechnen, doch dem Gericht reichte dieser Bezug aus.

Wegen dieser allenfalls indirekten Zuständigkeit muss Weichert künftig zurückhaltender sein. Laut dem Beschluss des OVG darf er gegenüber dem „Spiegel“ und Konsorten nicht „unangemessen verabsolutieren“ oder „in skandalisierender oder diskreditierender Weise“ seine Meinung kundtun.

Das Gericht hat sich nicht näher mit der Frage befasst, wann Anonymisierungsverfahren ausreichend sind. Eine Klärung dieser in Literatur und Praxis umstrittenen Frage sei in einem Eilverfahren auch nicht zu leisten, heißt es in der Begründung. Da das Thema aber von den Aufsichtsbehörden unterschiedlich bewertet wird, durfte Weichert laut dem OVG seine Position öffentlich machen und dabei auch Namen nennen.

Allerdings hätte der Datenschützer den Richtern zufolge darauf aufmerksam machen müssen, dass er das aktuelle Anonymisierungsverfahren der VSA gar nicht genau kennt. Denn Weichert hatte bei den bayerischen Kollegen erfolglos nach Details zu der Überprüfung erfragt. Dies muss er künftig dazu sagen.

Nicht mehr sagen darf Weichert, die VSA sei an einem der größten Datenskandale der Nachkriegszeit beteiligt, handele illegal oder beabsichtige die Zuordnung der Patientendaten. Auch mit dem Wort „Bereicherungsabsicht“ sollte Weichert künftig vorsichtiger sein.

Weichert freut sich zwar, dass ihm der erstinstanzliche „Maulkorb“ wieder abgenommen worden sei, verpasst sich aber vorsichtshalber selbst einen: In seiner Stellungnahme nennt er die VSA nicht mehr namentlich. Der Datenschützer wünscht sich jetzt vor allem eine Klärung der zentralen datenschutzrechtlichen Frage, wann eine hinreichende Anonymisierung in Apothekenrechenzentren vorliege.

Diese Grundsatzfrage müsse dringend geklärt werden, „um eine Marktverzerrung bei Apothekenrechenzentren zu verhindern und einen effektiven Schutz der hochsensiblen Rezeptdaten zu gewährleisten“, so Weichert. Vor allem das Verhältnis der Rechenzentren untereinander scheint ihn zu beschäftigen: „Geringerer Datenschutz sollte nicht zum Wettbewerbsvorteil werden“, findet Weichert.

Bei der VSA ist man mit der Entscheidung des OVG trotz der Abschwächung des ersten Urteils zufrieden: „Beide Gerichte haben Weichert zu etwas verpflichtet, was im Grunde selbstverständlich sein sollte: Weichert darf seine Meinung äußern, dabei muss er aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren und sich nur auf Tatsachen stützen, von denen er auch Kenntnis hat“, heißt es in einer Stellungnahme der vertretenden Kanzlei Hogan Lovells.

In Zukunft werde der Datenschützer mehr Zurückhaltung an den Tag legen müssen. „Es bleibt abzuwarten, ob es Weichert gelingt, sich innerhalb dieser eng gesteckten Grenzen zu bewegen. Schließlich war er zuvor bereits zur Zahlung eines Ordnungsgeldes von 1000 Euro verurteilt worden, weil er sich nicht an das gerichtliche Verbot gehalten hatte“, heißt es weiter.

Der Beschluss des OVG ist nicht mehr anfechtbar, das Verfahren ist damit beendet.

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