Berlin droht ein Apothekenskandal: Im Prozess gegen die Rezeptfälscherbande um den Berliner Pharmazeuten Klaus H. könnten dutzende Apotheken im ganzen Stadtgebiet ins Visier der Ermittler geraten. Denn H. hat in seinem eigenen Geständnis schwere Vorwürfe gegen eine ganze Reihe von Kollegen erhoben – sie sollen eingeweiht gewesen sein. Auch denen, die nichts wussten, droht Ärger.
Auf mehrere Berliner Apotheken könnten bald schlechte Nachrichten zukommen: Tausende Euro schwere Retaxationen von den Krankenkassen. Denn ihnen wurden von der Bande um den Berliner Pharmazeuten Klaus H. gefälschte Rezepte angedreht. Um 125 Fälle handelt es sich dabei laut Anklageschrift, die Zahl der Rezepte liegt jedoch um einiges höher, da je Fall oft mehrere zusammengefasst wurden. Um mehr als 2,5 Millionen Euro soll H. die Krankenkassen zwischen 2013 und 2017 so betrogen haben. Kann einer Apotheke nachgewiesen werden, dass sie die Fälschung hätte erkennen müssen, kann es teuer werden – erst recht in Anbetracht der Summen auf den Rezepten. Im Durchschnitt sei pro gefälschter Verordnung ein Schaden von 15.000 Euro entstanden, heißt es in der Anklageschrift.
Der Apotheker ist geständig – hat jedoch während seines noch laufenden Gerichtsprozesses mehrere Apothekeninhaber und mindestens einen Filialleiter in Berlin schwer belastet. Am vierten Verhandlungstag hat die Vorsitzende Richterin deshalb nach seiner Bereitschaft gefragt, in möglichen Verfahren gegen weitere mutmaßlich beteiligte Apothekenbetreiber auszusagen. Der betroffene Filialleiter weist die Vorwürfe zurück: „Was H. da erzählt ist unerhört, kompletter Unfug“, erregt er sich gegenüber APOTHEKE ADHOC.
Sollte es zur Anklage gegen weitere Pharmazeuten kommen, dann könnte sich das in Berlin zu einem handfesten Apothekenskandal auswachsen. Bei Verlesung der Anklage wurden mehrere Dutzend Apotheken genannt, in denen die Rezepte eingelöst wurden. Mit dabei waren zahlreiche prominente Pharmazeuten aus der Hauptstadt. Keiner von ihnen konnte sich auf Nachfrage zu dem Fall äußern. Vielfach dürften die Kollegen nichts von den Fälschungen gewusst haben.
Doch auch Apotheken, die nicht direkt der Mitwisserschaft oder Tatbeteiligung beschuldigt werden, könnten schlechte Nachrichten erhalten. Denn Apotheker müssen Rezepte genauso wie Banknoten im Rahmen der Sorgfaltspflicht prüfen. Erkennt der Apotheker die Fälschung nicht oder hätte diese bei Wahrnehmung der erforderlichen Sorgfalt erkennen müssen, darf das Rezept nicht beliefert werden und der Apotheker kann in Haftung genommen werden. Denn wird der Apotheker nicht tätig und schaltet trotz eindeutiger Hinweise nicht die Polizei ein, kann dies rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen: Der Apotheker verstößt dann gegen § 17 Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO).
Mindestens zwei weitere Apotheker werden laut Staatsanwaltschaft bereits gesondert verfolgt. Sie sollen nicht nur in den Betrug eingeweiht, sondern aktiv beteiligt gewesen sein. Beide Pharmazeuten besitzen Großhandelslizenzen und sollen bei der Umwandlung der falschen Rezepte in bares Geld eine zentrale Rolle gespielt haben. Einen von ihnen beschuldigte H. gar, die treibende Kraft hinter dem Betrug gewesen zu sein.
Der von H. beschuldigte Apotheker soll die gefälschten Rezepte angenommen und bei den Abrechnungszentren eingereicht haben – die diese anscheinend selbst kaum geprüft haben. Zumindest soll er sich H. gegenüber geäußert haben, dass er sich selbst wundere, bisher keine Retaxation erhalten zu haben. Nur einmal habe eine Nachfrage der AOK erhalten, „aber da hat er sich rausgeredet, er habe das Rezept gutgläubig angenommen“, so H. vor Gericht.
Die Medikamente auf den Rezepten habe der Apotheker dann bestellt und wiederum an Großhändler wie Noweda und Gehe weiterverkauft. In seinen Büchern habe er die Posten dann als Verbands- und Hilfsmittel ausgewiesen. Und er habe kräftig daran mit verdient: Bis zu 70 Prozent des erschlichenen Geldes sei in seine Tasche geflossen.
Derzeit stehen sechs Angeklagte vor dem Berliner Landgericht, denen banden- und gewerbsmäßige Urkundenfälschung und Betrug in 125 Fällen vorgeworfen wird.
Die geständigen Angeklagten hatten sich über einen Apothekenmitarbeiter, dem in einem anderen Verfahren der Prozess gemacht wird, Patientendaten besorgt und über einen Mitangeklagten gefälschte Rezepte für hochpreisige Medikamente erhalten.
Die Identität des eigentlichen Rezeptfälschers, zu dem nur einer der Angeklagten direkten Kontakt hatte, sei auch den restlichen Bandenmitgliedern unbekannt – es sei nur die Rede vom „Zettelmann“ gewesen. Gedruckt wurden die Rezepte dem Vernehmen nach von einer ebenfalls noch unbekannten Mitarbeiterin der Berliner Charité. Ob diese Identitäten noch bekannt werden und ob Ermittlungen gegen weitere Apotheken bevorstehen, müssen die kommenden Prozesstage zeigen. Laut bisherigem Plan wird noch bis Mitte Mai verhandelt.
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