Aufstieg eines Pharmariesen Patrick Hollstein, 27.01.2009 08:00 Uhr
Rund 160 Vertriebszentren in 23 Ländern, 50.000 Kunden im Pharmagroßhandel, 1200 eigene Apotheken - in nur 15 Jahren haben der verstorbene Unternehmer Adolf Merckle sowie sein Chefmanager Dr. Bernd Scheifele Phoenix durch geschickte Zukäufe zu einem der führenden Pharmahändler Europas aufgebaut.
Anfang der 1990er-Jahre kauft sich Merckle verstärkt in regionale Großhändler ein. Im Oktober 1994 verschmilzt er F. Reichelt (Hamburg), Otto Stumpf (Nürnberg/Berlin), Ferd. Schulze GmbH (Mannheim) und Hageda (Köln) zu Phoenix. Die Firmen bestehen zum Teil noch heute - als Verpachtungs- und Finanzgesellschaften der Familie.
Scheifele, zunächst als Anwalt der renommierten Kanzlei „Gleiss Lutz Hootz Hirsch“ für Merckle tätig, wird zum Vorstandsvorsitzenden ernannt. Ebenfalls im Vorstand vertreten ist bis 1997 der heutige Anzag-Chef Dr. Thomas Trümper.
Gegen Vorbehalte des Kartellamts entsteht ein neuer Marktführer in Deutschland - mit 19 Niederlassungen, mehr als drei Milliarden Euro Umsatz und Auslandsbeteiligungen in Tschechien, Polen, Österreich und Frankreich.
1995 wird das operative Geschäft unter der Einheitsmarke Phoenix zusammengefasst; gleichzeitig kauft die neu gegründete Auslands-Holding in den Niederlanden, in Ungarn und in Italien zu. 1996 liegt nach weiteren Zukäufen der Auslandsanteil bei 40 Prozent; durch gezielte Akquisitionen werden die jeweiligen Landesgesellschaften gezielt verstärkt.
1998 fusioniert Phoenix in bewährter Manier verschiedene britische Großhändler; 2000 steigt der Mannheimer Konzern, zunächst durch Minderheitsbeteiligungen, in den schweizerischen und den skandinavischen Markt ein. Kurz darauf liegt der Auslandsanteil bei zwei Drittel. Parallel entsteht in Luxemburg eine Gesellschaft, die - formal unabhängig - im Phoenix-Umfeld Apothekenketten betreibt.
2003 steigt Phoenix parallel zu Celesio bei der Anzag ein. 2006 wird der Münchener Genossenschaft Sanacorp die Übernahme des Frankfurter Mitbewerbers endgültig untersagt; Phoenix bleibt die unangefochtene Nummer 1 in Deutschland.
Im Juli 2004 stellt sich Phoenix auf einer Bilanzpressekonferenz noch einmal den Fragen der Journalisten, dann verabschiedet sich der Konzern weitgehend aus der Öffentlichkeit. Im gleichen Jahr schluckt Phoenix die finnische Tamro komplett; heute ist die Firmengruppe nach der deutschen Stammgesellschaft der größte Unternehmensbereich. Außerdem startet Phoenix in der Slowakei und in Kroatien, ein Jahr später in Bulgarien.
Im Februar 2005 dreht sich bei Phoenix das Personalkarussell weiter: Merckle beruft Scheifele und den bisherigen Finanzchef Dr. Lorenz Näger in den Vorstand von Heidelberg Cement ab. Der Baustoffhersteller gilt als nächstes Mammutprojekt des umtriebigen Unternehmers - die massive Verschuldung wird Merckle Jahre später in den Ruin führen.
Bei Phoenix übernimmt der bisherige Logistikchef Reimund Pohl die Führung. Scheifele und Näger wechseln in den Aufsichtsrat; im November löst Ludwig Merckle seinen Vater im Kontrollgremium ab.
2007 und 2008 wird der Vorstand erweitert; neben dem Bereich Betrieb und Logistik wird das Ressort Einzelhandel neu geschaffen und mit Øyvnd Winther, als Chef der norwegischen Landesgesellschaft ausgewiesener Kenner der Materie, besetzt.
In jüngster Zeit stärkt Phoenix seine Position in den bestehenden Märkten durch weitere Zukäufe und Reorganisationen. Im Sommer 2007 entsteht in Freiburg im Breisgau erstmals seit der Gründung ein neues Vertriebszentrum - das zwanzigste in Deutschland.
Im vergangenen Jahr zeichnet sich ab, dass Phoenix dank der anhaltenden Expansion zum Marktführer aufsteigen würde. Doch im November beginnt durchzusickern, dass Merckle offenbar ein Milliardenloch in sein Firmenimperium gerissen hat.
Während zunächst nur Heidelberg Cement und Ratiopharm betroffen scheinen, berichtet im Dezember eine Zeitung über Liquiditätsengpässe bei Phoenix. Ein dringend benötigtes Refinanzierungspaket von bis zu 400 Millionen Euro stand demnach auf der Kippe, nachdem Merckle zur Schließung von Finanzierungslücken offenbar Mittel aus dem operativen Geschäft von Phoenix abgezogen hatte.
Nach dem Selbstmord von Merckle soll ein Treuhänder über die Zukunft des Imperiums entscheiden. Hinsichtlich der Schuldenlast gibt es unterschiedliche Angaben; nachdem die Banken jedoch die Familie offenbar aus der Kontrolle gedrängt haben, erscheint eine Neuordnung bei Phoenix zumindest möglich. Für 22.000 Mitarbeiter ist die Zukunft trotz Marktführerschaft derzeit ungewiss.