Bayer-Chef Werner Baumann ist nicht zu beneiden: Der Aktienkurs ist im Keller, die Glyphosat-Klagewelle in den USA wird immer größer. Die Aktionäre verpassten ihm einen herben Denkzettel - aber der Aufsichtsrat stellt sich dennoch hinter ihn.
Trotz einer herben Abstimmungsniederlage bekommt der Bayer-Chef Werner Baumann Unterstützung vom Aufsichtsrat des Agrarchemie- und Pharmakonzerns. Das Gremium teilte heute mit, man stehe „geschlossen hinter dem Vorstand“. Der Aufsichtsrat werde den Vorstand dabei „unterstützen, das Vertrauen der Aktionäre und weiterer Stakeholder in das Unternehmen und seine Strategie schnellstmöglich und vollständig wieder zurückzugewinnen.“
Zuvor hatte die Hauptversammlung Baumann am Freitagabend wegen hoher Rechtsrisiken durch die Monsanto-Übernahme und wegen des Kursverfalls der Bayer-Aktie einen Denkzettel verpasst: Der Aktionärstreff verweigerte dem Vorstand die Entlastung. Das war ein äußerst ungewöhnlicher Schritt, denn normalerweise liegt die Zustimmung zur Entlastung bei etwa 97 Prozent, so wie 2018. Dieses Jahr stürzte der Wert auf 44,5 Prozent ab und die Gegner kamen mit 55,5 Prozent sogar auf eine Mehrheit. Das Votum hat zwar keine direkten Folgen, für den Konzernlenker ist es aber ein tiefer Imagekratzer. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte den Bayer-Vorstand gar zum Rücktritt auf. „Wenn Bayer sich retten will, dann muss der Konzern sich ändern“, sagte Hofreiter den Sonntags-Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Er bezweifle aber, dass der aktuelle Vorstand dazu in der Lage sei. „Es wäre das Beste, wenn der Vorstand den Weg für einen Neuanfang frei machen würde.“ Monsanto habe sich im Saatgutsektor über alle Regeln hinweggesetzt und sich für soziale und ökologische Folgen seines Wirtschaftens nie interessiert. Sven Giegold, Europa-Spitzenkandidat der Grünen, warnte gegenüber der Düsseldorfer „Rheinischen Post“: „Wenn die Konzernspitze „stur weitermacht wie bisher, droht das Unternehmen zu einem zweiten RWE in Nordrhein Westfalen zu werden.“
Im Anschluss an die 13-stündige Hauptversammlung mit hitzigen Wortmeldungen enttäuschter Aktionäre hatte der Aufsichtsrat eine außerordentliche Sitzung einberufen. Auch der Versammlungsleiter und Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning hatte bei der Hauptversammlung einen Dämpfer bekommen. Sein Kontrollgremium wurde nur mit 66,4 Prozent des vertretenen Grundkapitals entlastet, nach 98 Prozent im Vorjahr. Normalerweise gilt eine Entlastung des Vorstands als rein formaler Schritt. Werte unter 50 Prozent sind extrem selten. Die Deutsche-Bank-Chefs Jürgen Fitschen und Anshu Jain bekamen 2015 bei der Entlastungsfrage nur zu rund 61 Prozent Zustimmung des anwesenden Grundkapitals. Nur wenige Wochen später traten beide zurück. Einen historisch niedrigen Wert erhielt 2018 der ehemalige Chef der Deutschen Börse, Carsten Kengeter, mit 24 Prozent - allerdings war er bereits zuvor wegen umstrittener Aktiengeschäfte zurückgetreten.
Bei Bayer hatte es im Jahr 2002 wegen des Lipobay-Skandals - im Zuge dessen Bayer den Cholesterinsenker, der im Zusammenhang mit mehreren Todesfällen stand, vom Markt nehmen musste - für den damaligen Vorstand „nur“ etwa 90 Prozent Zustimmung gegeben. Schon dieser Wert galt als extrem schlecht.
Das verheerende Abstimmungsergebnis am Freitag zeigt, wie viel Vertrauen der Kauf des umstrittenen US-Konzerns Monsanto die Führungsriege des Agrarchemiekonzerns bei ihren Aktionären gekostet hat. Bei der 13-stündigen Bayer-Hauptversammlung in einem Bonner Kongresszentrum waren zahlreiche Großaktionäre mit der Chefetage hart ins Gericht gegangen. Mit Blick auf Imagekratzer durch die Klagewelle wegen angeblicher Krebsrisiken des Unkrautvernichters Glyphosat in den USA und den rapiden Kursverfall der Bayer-Aktie an der Börse sagte etwa Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW): „Nie zuvor hat ein Dax-Konzern Reputation und Wert so schnell eingebüßt - das ist ein Schande.“
Kritik kam auch vom Analysten Janne Werning von der Fondsgesellschaft Union Investment: „Die Bayer-Führung hat die Rechtsrisiken des Monsanto-Deals offenbar völlig unterschätzt.“ Seit 2018 hat Bayer in den USA zwei Gerichtsschlappen hinnehmen müssen, der Konzern wurde zu hohem Schadenersatz an Krebskranke verurteilt. Dagegen geht Bayer aber in Berufung. Insgesamt müssen sich die Leverkusener, die 2018 den Konkurrenten und Saatguthersteller Monsanto übernommen hatten, in den USA mittlerweile 13 400 Schadenersatzklagen wegen Glyphosat stellen - und die Zahl dürfte weiter steigen.
Baumann beteuerte erneut, dass Glyphosat „bei sachgerechter Anwendung ein sicheres Produkt“ sei. Mit Blick auf die krebskranken Kläger in den USA sagte der Manager: „Glyphosat-basierte Produkte sind nicht der Grund für ihre schweren Erkrankungen.“ Man dürfe angesichts der Kurseinbußen zwar nichts beschönigen, dennoch sei der Monsanto-Kauf auf lange Sicht der richtige Schritt gewesen.Man habe die Übernahme vorab gründlich geprüft, sagte der Manager. Aber war es überhaupt möglich, die Rechtsrisiken vorher genau einzuschätzen? Aktionäre meldeten Zweifel an - Monsanto sei auch börsennotiert gewesen, möglicherweise durften die US-Amerikaner in den Übernahmeverhandlungen gar nicht alle Karten auf den Tisch legen. Baumann ließ auch diesen Vorwurf abperlen - die Tiefenprüfung des Unternehmens (Due Diligence) sei „marktüblich“ gewesen.
Während in das Bonner Kongresszentrum WCCB rund 3600 Aktionäre gekommen waren, protestierten vor den Türen des Gebäudes bis zu 700 Demonstranten am Morgen lautstark - darunter vor allem junge Menschen aus der „Fridays for Future“-Bewegung.
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