Kontingentierung: Jetzt spricht der AstraZeneca-Chef Patrick Hollstein, 27.10.2016 10:03 Uhr
Lieferengpässe sind ein Problem in der Apotheke, Kontingentierungen durch die Hersteller ein anderes. Vor allem die Originalhersteller teilen ihren Kunden bestimmte Mengen zu – die Apotheker klagen über Aufwand, Wartezeiten und schlechte Konditionen. Laut APOSCOPE, dem Apothekenpanel von APOTHEKE ADHOC, ist AstraZeneca der Hersteller, der die Pharmazeuten am meisten nervt. Im Interview erklärt Deutschlandchef Dirk Greshake, warum sein Unternehmen Apotheken im Direktgeschäft keine Rabatte geben kann und was die Politik unternehmen müsste, um das Problem zu lösen.
ADHOC: In den Apotheken fehlen immer wieder Produkte von AstraZeneca. Was ist los?
GRESHAKE: Mit der Änderung der Sichtbarkeit des Erstattungsbetrags für die Marktteilnehmer konnten wir bei bestimmten Medikamenten einen starken Anstieg der Nachfrage durch den pharmazeutischen Großhandel verzeichnen. AstraZeneca hat in dieser Zeit teilweise 70 Prozent mehr Arzneimittel ausgeliefert, als Nachfrage auf dem deutschen Markt bestand. Die Zahlen zeigen, dass der deutsche Markt von uns zu jedem Zeitpunkt mehr als ausreichend beliefert wurde. Dennoch kam es seit dem vergangenen Jahr zu einem außergewöhnlich starken Anstieg von Beschwerden von Apotheken und in Folge zu Bestellungen in unserem Notfallvertrieb – da kann etwas nicht stimmen.
ADHOC: Was vermuten Sie?
GRESHAKE: Wir haben keine andere Erklärung für die aktuelle Situation, als dass der Großhandel oder Apotheker die Ware in erheblichem Ausmaß in andere europäische Länder exportieren. Aufgrund der attraktiven Margen besteht dazu ein großer Anreiz. Zwar ist es dem Großhandel innerhalb der EU grundsätzlich erlaubt, Ware zu exportieren, aber auch er ist laut Gesetz verpflichtet, eine bedarfsgerechte und kontinuierliche Belieferung der Apotheken zu gewährleisten. Er hat gemeinsam mit den pharmazeutischen Unternehmen sicherzustellen, dass der Bedarf der Patienten in Deutschland gedeckt ist. Dies ist allerdings lediglich eine verallgemeinernde Annahme, da wir als Hersteller nicht die Möglichkeit haben, den Großhandel beziehungsweise einzelne Großhändler oder die Apotheken zu kontrollieren. Diese Aufgabe kommt den jeweiligen Landesbehörden beziehungsweise der Politik zu. Aus Sicht von AstraZeneca wird das Möglichste getan, um den deutschen Markt patientenbedarfsgerecht zu beliefern. Es ist uns ein Anliegen, die Versorgung der Apotheken und Patienten über den vollversorgenden Großhandel sicherzustellen.
ADHOC: Sie sagen, Deutschland sei eine Niedrigpreisinsel?
GRESHAKE: Durch das AMNOG-Verfahren hat sich das Preisgefüge für Arzneimittel in Deutschland stark verschoben. Im europäischen Vergleich befinden sich Arzneimittelpreise in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend am untersten Rand des Preisniveaus. Auch unser Diabetesprodukt Forxiga sowie das ACS-Präparat Brilique sind durch das AMNOG-Verfahren, die Nutzenbewertung und Preisverhandlungen gelaufen. Dabei wurden Erstattungsbeträge vereinbart, die unter dem europäischen Durchschnitt liegen. Unsere Antidiabetika sind im Ausland im Schnitt 50 Prozent teurer. In Großbritannien kosten sie sogar das Doppelte, weil Herz-Kreislauferkrankungen dort gesundheitspolitisch eine ganz andere Priorität genießen.
ADHOC: Warum ist das Problem bei Ihnen virulenter als bei anderen Herstellern?
GRESHAKE: Das hängt von den Indikationen und der geografischen Präsenz ab. Es scheinen jedoch auch andere Hersteller von der Situation ebenso betroffen zu sein, da das Thema bereits öffentlich zur Sprache gebracht wurde. Ein weiterer wichtiger Punkt ist natürlich auch die AMNOG-Preisgestaltung. Wir haben uns beispielsweise in der Indikation Diabetes in der Wirkstoffklasse der SGLT-2-Hemmer für einen Marktverbleib von Forxiga entschieden – obwohl der vereinbarte Erstattungsbetrag nicht unseren Preisvorstellungen für ein neu entwickeltes First-in-Class-Produkt entspricht. Doch es war uns wichtig, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes auch in Deutschland weiterhin Zugang zu diesem Medikament haben. Andere Hersteller haben sich in dieser Indikation und Wirkstoffklasse entschieden, ihr Produkt vom Markt zu nehmen.
ADHOC: Andere Branchen kommen mit Preisgefällen zurecht.
GRESHAKE: Andere Branchen haben keine gesetzliche Verpflichtung, Ware in den erforderlichen Mengen in einen Markt zu liefern, die sie anderswo besser verkaufen könnten. Die spezielle Situation im Pharmamarkt und die aus den nationalen Gesundheitssystemen resultierenden Preisunterschiede machen die Zwischenhändler zu potentiellen Profiteuren. Wir stehen bereits in engem Austausch mit der für uns zuständigen schleswig-holsteinischen Arzneimittelüberwachungsbehörde, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Zudem sind wir im Austausch mit den anderen Akteuren, zum Beispiel mit den Verbänden der Apotheker.
ADHOC: Und solange liefern Sie am Großhandel vorbei?
GRESHAKE: Der Notfallvertrieb ist eine Bestelloption für Apotheken, die im Notfall direkt von AstraZeneca beziehen können, sollten sie vom Großhandel die Medikamente nicht erhalten können. Der Notfallkanal ist ein logistischer Vertriebsweg, der von AstraZeneca nur unter hohem Aufwand und Kosten betrieben werden kann. Da die Nachfrage hier auf bis zu 1500 Bestellungen pro Tag angestiegen ist, wurde entschieden, Notfall-Anfragen an den professionellen Dienstleister Pharma-Mall auszugliedern. Trotz dieser Maßnahmen kommt es nach wie vor zu Beschwerden, dass AstraZeneca nicht ausreichend beliefert hat. Dies ist nicht berechtigt. Unser präferiertes Geschäftsmodell ist der Vertrieb über den Großhandel mit einem Notfallvertrieb, der wirklich nur für Notfälle genutzt wird. Wir sind sehr daran interessiert, für alle und insbesondere für die Versorgung der Patienten zufriedenstellende Lösungen zu erarbeiten.
ADHOC: Können Sie verstehen, dass sich Apotheker über Aufwand und fehlende Rabatte ärgern?
GRESHAKE: Selbstverständlich. Aber uns bleibt nichts anderes übrig, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen. Der Weg ist auch für uns extrem umständlich und teuer. Wir rechnen mit 10 Euro pro Lieferung, da sind Rabatte einfach nicht mehr möglich. Wie gesagt: Unser präferiertes Geschäftsmodell ist der Vertrieb über den Großhandel mit einem Notfallvertrieb, der wirklich nur für Notfälle genutzt wird.
ADHOC: Warum kontingentieren Sie auch bei der Auslieferung an Apotheken?
GRESHAKE: Wir sehen eine Verpflichtung, die Notfall-Versorgung für alle Apotheken sicherzustellen. Wenn wir einer Apotheke beispielsweise die bestellten 20 Packungen Forxiga für zwei Wochen geben würden, obwohl die Durchschnittsapotheke in Deutschland nur zwei Packungen im ganzen Monat benötigt, schaden wir den anderen Apotheken, die ebenfalls im Notfallkanal bestellen möchten. Grundsätzlich versuchen wir, mit viel Augenmaß die Patientenversorgung sicherzustellen.
ADHOC: Rechtfertigt Ihr Versuch, den Export zu stoppen, dass Patienten auf ihre Medikamente warten müssen?
GRESHAKE: Wir versuchen keineswegs den Export zu stoppen, sondern die Patientenversorgung unter allen Umständen sicherzustellen. Wir sind alles andere als glücklich mit der gegenwärtigen Situation. Wie ich aber hoffentlich erklären konnte, sind wir derzeit zu ungewöhnlichen Maßnahmen gezwungen, tun aber gleichzeitig unser Möglichstes, um den deutschen Markt patientengerecht zu beliefern. Uns wäre nichts lieber, als morgen wieder auf das alte System umzustellen. Dazu muss aus unserer Sicht aber die Politik handeln.
ADHOC: Wie könnte die Politik das Problem lösen?
GRESHAKE: Wir haben als Unternehmen schon vor einiger Zeit den Vorschlag gemacht, die Sichtbarkeit des Erstattungsbetrags einzuschränken und insbesondere den Rabatt nicht über die Handelsstufen durchzureichen, sondern – wie bei den Rabattverträgen üblich – rückabzuwickeln. Dies ist technisch möglich und würde das Problem vollständig lösen. Auf diese Weise kämen die Einsparungen dann nicht mehr beim Zwischenhändler, sondern tatsächlich bei den Kassen an. Das würde die Situation sofort entspannen, weil der große wirtschaftliche Anreiz ins europäische Ausland anstatt an die Patienten im eigenen Land zu liefern, wegfiele. Leider sehen wir in der aktuellen Gesetzgebung des GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetztes (AM-VSG) diesen Punkt nicht entsprechend adressiert. Über die aktuell diskutierte Lösung, nur den Erstattungsbetrag nicht öffentlich zu listen, wird dieses Problem nicht gelöst.
ADHOC: Die Kassen warnen vor der vielfältigen Folgen der Vertraulichkeit: Die Handelsspannen der Apotheken beispielsweise würden steigen.
GRESHAKE: Das könnte man doch leicht lösen. Da wurden auch mehrere Vorschläge bereits gemacht.
ADHOC: Kritisiert wird auch der immense Aufwand.
GRESHAKE: Der Aufwand wäre viel überschaubarer als bei den Rabattverträgen, weil viel weniger Produkte betroffen wären und der Betrag bei allen Kassen derselbe wäre.
ADHOC: Befürchtet wird schließlich, dass Ärzte ohne Kenntnis des realen Preises nicht mehr wirtschaftlich verordnen könnten.
GRESHAKE: Es werden sich auch noch weitere Argumente finden lassen. Aber für alles gibt es eine Lösung. Einfach aus rein ideologischen Gründen auf Transparenz zu pochen und dabei die Versorgungsrealität auszublenden, bringt doch nichts. So wie es derzeit läuft, kann es nicht weitergehen. Alle, die Verantwortung für die Versorgung haben, sollten nach einer Lösung suchen, statt die Vorschläge ihrer Vertragspartner direkt zu verwerfen.