Margenfresser in der Apotheke Alexander Müller, 16.12.2015 10:45 Uhr
Die Umsätze entwickeln sich prächtig, doch unter dem Strich bleibt in den Apotheken viel weniger übrig als erwartet. Denn der steigende Anteil an Hochpreisern schlägt sich im Wareneinsatz nieder. Je nachdem, wie genau Apotheker ihre Zahlen im Blick haben, kann es am Jahresende ein böses Erwachen geben.
Der Wareneinsatz einer durchschnittlichen Apotheke lag im vergangenen Jahr bei etwas über 75 Prozent. Wenn Apotheker in diesem Jahr ohne genaue Analyse des Warenlagers mit einem vergleichbaren Wert rechnen, werden sie Teile ihres vermeintlichen Gewinns vergeblich in der Bilanz suchen.
Der Grund ist, dass bei extrem teuren Arzneimitteln mit vier- bis fünfstelligen Apothekenverkaufspreisen der Rohertrag nicht mehr stimmt. Wegen der Fixpauschale im Apothekenhonorar liegt die Marge hier lediglich bei etwas über 3 Prozent. Je nach Größe der Apotheke können selbst einzelne Verordnungen den Rohertrag deutlich nach unten ziehen.
Die Hochpreiser werden fast immer nur bei Bedarf bestellt. Bei einer sogenannten Schätzwertinventur werden sie aber oft nicht berücksichtigt, da die Software den Wert des Lagers dabei selbst veranschlagt. Im schlimmsten Fall geht der Apotheker von vollkommen falschen Zahlen aus. Nur wenn monatlich eine komplette Inventur durchgeführt wird, lässt sich der Wareneinsatz korrekt bestimmen. Doch selbst dann kann es zu Verzerrungen kommen, wenn ein Hochpreiser vor dem Monatswechsel bestellt und danach abgegeben wurde. Ein Apotheker berichtet von seinem Erstaunen, als seine Filiale plötzlich defizitär gewesen sein sollte – bis er die Ursache fand.
An der Spitze der Hochpreiser liegen das Hepatitis-Medikament Sovaldi (Sofosbuvir) mit einem Apothekenverkaufspreis (AVP) von rund 17.800 Euro und das Krebsmittel Glivec (Imatinib) mit 10.100 Euro. Eine ganze Reihe von Arzneimitteln mit vierstelligen Verkaufspreisen folgen, darunter Revlimid (Lenalidomid), Humira (Adalimumab), Enbrel (Etanercept), die Interferone Rebif, Avonex, und Betaferon sowie Simponi (Golimumab).
Nach Zahlen des zur ABDA gehörenden Deutschen Arzneiprüfinstituts (DAPI) ist der Umsatzanteil hochpreisiger Arzneimittel in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. So machten Medikamente mit einem Preis über 250 Euro im Jahr 2011 noch 37,6 Prozent des Umsatzes aus, 2014 waren es 43,2 Prozent. Im laufenden Jahr dürfte sich der Anteil weiter erhöht haben.
Dieser Anstieg liegt zum Teil an den extrem hochpreisigen Arzneimitteln. Doch auch bei der Packungszahl ist der Trend zu beobachten: Die Hochpreiser machten beim Absatz 2,5 Prozent der Einheiten aus, nach 2,3 Prozent im Jahr 2011. Dominierend beim Absatz sind aber nach wie vor die günstigen Einheiten mit einem AVP unter 20 Euro, mit einem Anteil von 56,1 Prozent.
Nach ABDA-Statistiken kletterten die Umsätze in Apotheken von 39,9 Milliarden im Jahr 2010 zunächst jährlich um etwa 3 Prozent, 2014 dann um 5 Prozent auf 45,8 Milliarden Euro. Für das laufenden Jahr prognostiziert die ABDA sogar eine Steigerung um fast 7 Prozent auf einen Gesamtumsatz von dann 48,8 Milliarden Euro.
Die Apotheker profitieren von diesem Umsatzwachstum aber kaum, da ihr Honorar seit 2004 weitestgehend vom Arzneimittelpreis abgekoppelt ist. Der prozentuale Aufschlag beträgt 3 Prozent, bei den meisten Verordnungen ist das fixe Packungshonorar von 8,35 Euro von größerer Bedeutung.
Auch beim Einkauf haben die Apotheker Spielraum verloren, da die Großhandelsmarge bei 37,80 Euro gedeckelt ist. Entsprechend sind Hochpreiser in den Konditionenvereinbarungen der Großhändler fast immer vom vereinbarte Rabatt ausgenommen und werden pauschal vergütet. Ein Betrag von 20 Euro ist typisch, bei einem Arzneimittel im Wert von 5000 Euro aber kaum der Rede wert.
Den Großhändlern bleibt aber fast nichts anderes übrig, da die Hochpreiser aufgrund des Honorardeckels für sie sogar noch giftiger sind. Hier schlagen die Vorfinanzierungskosten voll durch, innerhalb weniger Wochen an Lager wird ein Hochpreiser damit defizitär.
Ein Apotheker verdient an einer Sovaldi-Verordnung immerhin noch etwas mehr als 500 Euro. Das ist von außen betrachtet ein guter Schnitt – solange sich die Apotheke die Bestellung leisten kann. Bucht der Großhändler früher ab, als die Krankenkasse das Rezept erstattet, muss die Apotheke das Arzneimittel vorfinanzieren. Hochpreiser werden damit vor allem für Apotheken mit schlechter Liquidität zum Problem: Die Marge wird von den Zinsen komplett aufgefressen. Hinzu kommt das teilweise existenzbedrohende Risiko einer Nulretaxation, wenn auf dem Rezept eine Kleinigkeit nicht stimmt.
Das alles führt in der Praxis dazu, dass Patienten mit teuren Rezepten teilweise an andere Apotheken verwiesen werden. Mit Folgen für die Apothekenstruktur: Große und liquide Apotheken können sich Hochpreiser leisten und vereinen immer mehr Umsatz auf sich. Die Entwicklung des Marktes geht seit einigen Jahren erkennbar in diese Richtung.