Rita und ihr Ritalin Dr. Kerstin Neumann, 16.02.2016 10:17 Uhr
Den richtigen Namen für ein Medikament zu finden, ist eine Kunst. Er muss gut klingen und leicht eingängig sein, gleichzeitig darf es keine Verwechslung mit anderen Präparaten geben. Das wird bei der zunehmenden Zahl von Produkten auf dem Markt immer komplizierter. Bei Arzneimitteln, die schon lange auf dem Markt sind, lässt sich die Bezeichnung in der Regel leicht herleiten. Aber auch die meist schwierig auszusprechenden Namen neuer Arzneimittel haben oft einen tieferen Sinn.
Meditonsin ist so ein Fall: Hersteller Medice hat die Indikation in den Namen seines homöopathischen Komplexmittels eingebracht. Während „Medi“ auf den Hersteller selbst schließen lässt oder wahlweise auch nur auf den Status als Medizin hinweist, steht der zweite Namensteil für die Tonsillen, also die Mandeln, die bei Erkältungen oft einer der Infektionsorte sind.
Bei MSD Sharp & Dohme gibt es ebenfalls gleich mehrere Arzneimittel mit tiefsinniger Bedeutung. Das Antiemetikum Emend ist eine Zusammensetzung aus Emesis und Ende – und weist damit unmissverständlich auf die gewünschte Wirkung hin. Auch beim Haarwuchsmittel Propecia findet man Hinweise auf die Indikation: Der zweite Wortteil stammt vom Fachbegriff für Haarausfall, der Alopezie (lateinisch „alopecia“), „pro“ weist auf die positive Wirkung hin. Und auch das Verhütungsstäbchen Implanon NXT hat eine tiefere Bedeutung: Es handelt sich um ein hormonhaltiges Implantat der „N(e)XT Generation“.
Krankenhausmedikamente und Diagnostika besitzen oft lateinische Namensteile. Das soll das Fachpersonal ansprechen. Das Röntgenkontrastmittel Orabilix (Bunamiodyl) beispielsweise weist in seinem Namen sowohl auf die Darreichungsform als auch auf den Anwendungsort hin: Das oral anzuwendende Präparat wird vor allem bei Gallenspiegelungen eingesetzt. Die lateinische Bezeichnung für Galle lautet „bilis“.
Andere Hersteller bedienen sich aus völlig anderen Lebensbereichen und versuchen so, bestimmte Assoziationen für ihre Medikamente hervorzurufen. Actavis hat sich für sein Bezafibrat-haltiges Arzneimittel für den Namen Cedur entschieden. Der Name kommt aus der Musik: Die Tonart C-Dur soll für Vitalität und Lebensfreude stehen und damit ähnliche Effekte für den Lipidsenker suggerieren.
Das ADHS-Mittel Ritalin erhielt seinen Namen durch seinen Entdecker Leandro Panizzon: Ihm fiel auf, dass seine Ehefrau Rita unter der Einnahme von Methylphenidat viel besser Tennis spielen konnte. Durch diese Erkenntnis entdeckte er den konzentrationsfördernden und antriebssteigernden Effekt von Methylphenidat – und benannte das Medikament nach seiner Gattin.
Der Klassiker Aspirin scheint auf den ersten Blick keine Verbindung zu seinem Wirkstoff oder der Indikation zu haben. Doch Hersteller Bayer hat sich bereits bei der Markteinführung vor mehr als 100 Jahren viele Gedanken über den Namen gemacht: Nur das A stammt aus dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure. Die Endung „–spirin“ steht für die Spire. Unter diesem Namen war früher das Mädesüß bekannt, welches ebenfalls Salicin enthält.
Unternehmen nehmen heutzutage häufig die Hilfe von Marktforschern in Anspruch. Die Experten beziehen sich oft auf eigene Studien: Buchstaben, die im allgemeinen Sprachgebrauch wenig verwendet werden, haben einen hohen Wiedererkennungswert und sind daher beliebt. Q, X, Y und Z sind daher oft Namensteile der Neueinführungen. X und Z werden außerdem mit einer guten Wirksamkeit assoziiert, fanden die Marktforscher heraus. Kein Wunder also, dass zunehmend Namen wie Xtandi, Xigduo oder Xyzall auftauchen.
Mitunter kommen die Experten dann auch zu vergleichbaren Resultaten: Beim Gerinnungshemmer Xarelto (Rivaroxaban, Bayer) ist der Faktor Xa als Angriffspunkt ebenso im Namen zu finden wie das englische Wort für „verlässlich“, reliable. Der japanische Hersteller Daiichi Sankyo hatte sich bei der Einführung von Lixiana Anfang 2015 offenbar dieselben Gedanken gemacht. Der Präfix „Li“ stammt aus reliable, die Buchstaben X und A stehen für den Blutgerinnungsfaktor Xa. Sogar die Farbgebung der Packung ähnelt sich: Die Farben Magenta und violett sollen sowohl bei Xarelto als auch bei Lixiana Stärke, Sicherheit und Vertrauen symbolisieren.
Der Traum von einem global verwendbaren Namen kann allerdings schnell platzen, wenn die Zulassungsbehörden nicht mitspielen: Die FDA hatte Lixiana nicht genehmigt; in den USA wird Edoxaban daher unter der Bezeichnung Savaysa vermarktet. In der Regel werden daher gleich mehrere Vorschläge eingereicht; Hersteller wie Grünenthal versuchen gar nicht erst, einen tiefere Bedeutung in die Bezeichnung zu bringen.
Wer ein Präparat in Deutschland auf den Markt bringen will, soll nach der gemeinsamen Richtlinie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zumindest innerhalb eines gewissen Rahmens über die Marke entscheiden können. Einige Grundsätze müssen dabei beachtet werden: Verwendet man Teile aus Wirkstoffnamen, Darreichungsform oder Herstellernamen, darf die Firma nicht an erster Stelle stehen. Einzelne Buchstaben sind ebenso wenig erwünscht wie Zahlen, sofern diese nicht eindeutig mit dem Arzneimittel in Zusammenhang stehen. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) geht für Medikamente im zentralen Zulassungsverfahren sogar noch weiter.
Im Unterschied zum Markennamen werden Wirkstoffe heutzutage nach Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) benannt. Ältere Moleküle tragen noch Phantasienamen, die mit einer modernen Nomenklatur wenig zu tun haben. Einer dieser Klassiker ist Insulin: Der Name ist von dem Wort „Insel“ abgeleitet und weist auf den natürlichen Produktionsort hin, die Langerhans’schen Inseln. Diese wiederum wurden nach ihrem Entdecker, dem Arzt Paul Langerhans, benannt.
Heute ist der Wirkstoff obsolet, früher war Diacetylmorphin aber ein begehrtes Arzneimittel: Die Substanz wurde um 1900 zunächst als Hustensaft für Kinder vermarktet, wurde aber bald als Allheilmittel gegen Schmerzen, Depressionen und sogar Krebs gefeiert. Bayer nannte das Produkt seiner „heroischen“ Wirkung wegen Heroin. Erst in den 1930er Jahren wurde das Mittel staatlich stärker kontrolliert – die Karriere von Heroin als Arzneimittel hatte damit schnell ein Ende.