Arzneimittelfälschungen

Urteil: Reimporteure haften für Lieferanten

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Berlin -

Wann sind Arzneimittel gefälscht? Wenn sie tatsächlich illegal hergestellt wurden oder wenn Originalware manipuliert wurde, argumentieren die Reimporteure. Aus Sicht der Behörden reicht es dagegen aus, dass eigentlich verkehrsfähige Präparate die legale Lieferkette vorübergehend verlassen haben. So erklärt sich auch die hohe Zahl an entsprechenden Rückrufen in den vergangenen Jahren. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) hat jetzt entschieden, dass Reimporteure auch für ihre Lieferanten gerade stehen müssen.

Echte Fälschungen sind in Deutschland nach wie vor selten; meist handelt es sich um Originalware, die entweder von nicht autorisierten Händlern gekauft oder sogar gestohlen und in die reguläre Lieferkette geschleust wurde. Während die Behörden der Meinung sind, dass solche Medikamente grundsätzlich nicht verkehrsfähig sind, fühlen sich die Reimporteure zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Mit einem Beschluss bringt das OVG NRW die Branche jetzt in Bedrängnis. Demnach können die für die Überwachung zuständigen Institutionen Ware aus dem Verkehr nehmen lassen, wenn diese in den vorgelagerten Vertriebskanälen von nicht autorisierten Händlern weiter verkauft wurde. Dazu reicht ein abstrakter Gefährdungstatbestand aus; konkrete Gefahren müssen nicht nachgewiesen werden.

Im konkreten Fall ging es um Orifarm: Der Reimporteur aus Leverkusen hatte Arzneimittel aus Rumänien bezogen, die ursprünglich von Apotheken ohne erforderliche Großhandelserlaubnis zurück in die Lieferkette gebracht worden waren. Dies ist in Rumänien verboten. Aufgeflogen war der Fall, weil aus demselben Umfeld in drei Fällen äußerlich erkennbare Fälschungen von Arzneimitteln entdeckt worden waren.

Nachdem die rumänischen Behörden den Rückruf angeordnet hatten, informierte der Lieferant seinen deutschen Abnehmer. Orifarm nahm den entsprechenden Warenbestand in Quarantäne und beantragte im Januar 2015 die Freigabe der gesperrten Ware: Bei einer Überprüfung sämtlicher betroffener Arzneimittel seien keine äußerlich erkennbaren Mani­pulationen und Abweichungen festgestellt worden, hieß es. Doch die Bezirksregierung Köln lehnte die Freigabe ab.

Laut Arzneimittelgesetz (AMG) können die zuständigen Behörden das Inverkehrbringen von Arzneimitteln untersagen, wenn „erforderliche Erlaubnis zum Betreiben eines Großhandels […] nicht vorliegt“. Wie zuvor bereits das Verwaltungsgericht (VG) Köln kommt auch das OVG im Eilverfahren zu dem Ergebnis, dass dieser Tatbestand „bereits dann erfüllt ist, wenn irgendjemand im Rahmen eines häufig über mehrere Großhändler erfolgenden Arz­neimittelver­triebs keine Erlaubnis zum Betrieb eines Großhandels hat, wobei der Großhändler ohne die entsprechende Erlaubnis auch in einem anderen Mitgliedstaat der EU an­sässig sein kann“.

Anders ließe sich aus Sicht des OVG ein wirksamer Gesundheitsschutz angesichts der komplexen Lieferwege auch nicht garantieren. „Die Gefahr, dass Arzneimittel darunter sind, die aufgrund nicht ord­nungsgemäßer Behandlung qualitätsgemindert sind, ändert sich nicht etwa da­durch, dass diese nunmehr (über mehrere Zwischenschritte) bei einem Groß­händler ange­langt sind, der über die entsprechende eigene Genehmigung verfügt und sie auch von einem Großhändler mit Genehmigung erworben hat. Ebenso ver­hält es sich hin­sichtlich der Gefahr des Einschleusens gefälschter Arzneimittel.“

Die Richter verweisen auch auf eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001, deren Zweck es sei, einheitliche Voraussetzungen für den Großhandel mit Arzneimitteln zu schaffen. „Zur Gewährleistung, dass Aufbewahrung, Transport und Handha­bung der Arzneimittel unter angemessenen Bedingungen erfolgen, und zur Be­kämpfung von Fälschungen muss das gesamte Vertriebsnetz im Arzneimittelbereich einer Kontrolle zu unterliegen.“

2011 seien angesichts des „besorgniserregen­den Anstiegs gefälschter Arzneimittel, die auch in die legalen Lieferketten gelangen und eine außerordentliche Bedrohung für die menschliche Gesundheit darstellen“, die Anforderungen noch einmal verschärft und zusätzliche Eingriffsmöglichkeiten sowie Sank­tionen bei Verstößen eingeführt worden.

Laut AMG können die Behörden den Rückruf eines Arzneimittels anordnen, wenn das Arzneimittel nachweislich nicht nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln hergestellt ist oder nicht die geforderte Qualität aufweist. Alternativ kann der der begründete Verdacht, dass das Arzneimittel schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen, einen Rückruf rechtfertigen.

Der Verdacht war in diesem Fall konkret genug: „Unter Berücksichtigung des Vertriebswegs sowie der Tat­sache, dass im Rahmen dieser Lieferkette bereits in drei Fällen gefälschte Arznei­mittel ent­deckt worden sind, kann weder ausgeschlossen werden, dass sich noch weitere ge­fälschte Arzneimittel da­runter befinden, noch dass sich darunter qualitäts­geminderte Arzneimittel befinden.“

Die Argumentation vom Orifarm, dass eine Qualitätsbeeinträchtigung ausgeschlossen sei, weil auch die rumänischen Apotheken Fachkenntnisse hinsichtlich Lagerung und Transport von Arzneimitteln hätten, ließen die Richter nicht gelten. „Sowohl die Apotheken als auch die daran in der Liefer­kette anschließenden Großhändler haben sich aus wirtschaftlichen Gesichts­punkten bewusst über geltendes Recht hinweggesetzt. Schon deshalb kann nicht ausge­schlossen werden, dass sie auch andere arzneimittelrechtliche Vorschriften – etwa solche zur Lagerung und zum Transport – missachtet haben.“

Im Übrigen sei immer noch unklar, von wem die Apotheken die Arzneimittel bezogen hätten. „Daher kann auch die Beteiligung weiterer Dritter an der Lieferkette ohne erforderliche Groß­handelsgenehmigung nicht ausgeschlossen werden – auch nicht, dass diese gerade keine entsprechenden Fachkenntnisse haben.“

Den Richtern zufolge reichen die Anforderungen an den Betrieb eines Großhandels über die eines Apo­thekenbetriebs hinaus: „Durch die erforderlichen Räumlich­keiten, Anlagen und Einrichtun­gen, sachverständige Personen sowie über das in den Leitlinien […] für die gute Vertriebspraxis von Humanarzeimitteln gere­gelte ver­pflichtende Qualitätssicherungssystem in Verbindung mit der behördlichen Überwa­chung wird die Qualität und Unversehrtheit des gelieferten Pro­dukts gewähr­leistet.“

Orifarm hätte nachweisen müssen, dass von den sich in Quarantäne befindenden Arzneimitteln keinerlei Gefahren für die Arzneimittel­sicherheit ausgingen, so die Richter weiter. Die durchgeführten äußerlichen Über­prüfungen seien dabei nicht ausreichend. „Sie können weder belegen, dass sich unter den Arzneimitteln nicht solche befinden, die hinsichtlich der Zusammensetzung gefälscht sind noch solche mit beachtlichen Qua­litätsminderun­gen. Beides ist nur zuverlässig auszuschließen, wenn eine Inhalts­ana­lyse jedes ein­zelnen Arzneimittels durchgeführt wird, womit es aber gleichzeitig un­brauchbar ge­macht wird.“

In den vergangenen Jahren waren mehrfach Arzneimittel zurückgerufen worden, weil sie aus illegalen Quellen stammten. Für die größte Aufmerksamkeit hatte in Italien gestohlene Klinikware gesorgt. Auch aus Spanien, wo Apotheken Medikamente nur an Patienten abgeben dürfen, wurden Probleme gemeldet.

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Paul-Ehrlich-Institut (PEI) vertreten den Standpunkt, dass außerhalb der legalen Lieferkette vertriebene Medikamente per se nicht verkehrsfähig sind. „Wir können bei gestohlener Ware nicht garantieren, dass die Transportkette eingehalten wurde“, sagte eine PEI-Sprecherin schon im April 2014.

Die Reimporteure sind dagegen der Meinung, dass Arzneimittel selbst dann legal bezogen werden, wenn sie aus Rückkäufen von Apotheken in Ländern stammen, in denen der inverse Handel verboten ist. Es bestehe keinerlei Anlass, Apotheker und Patienten „vorsorglich“ zu verunsichern, argumentierte der Branchenverband VAD, nachdem das PEI vor illegal gehandelten Arzneimitteln aus Spanien gewarnt hatte.

Die Rechtslage ist aus Sicht der Parallelhändler alles andere als eindeutig: Diebstähle wie in Italien seien zunächst ausschließlich Sache der Originalhersteller und allenfalls zivil- und straf-, aber nicht arzneimittelrechtlich relevant. Wenn, wie von den Behörden vertreten, schon die gestohlene Ware ohne irgendeine Manipulation als nicht verkehrsfähig zu betrachten sei, hätte es entsprechende Warnhinweise direkt nach dem Verschwinden geben müssen.

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