Däinghaus: Aegate ist pleite Patrick Hollstein, 16.06.2017 15:23 Uhr
Anderthalb Jahre ist es her, dass DocMorris-Gründer Ralf Däinghaus sich zurückmeldete: Als Chief Strategy Officer (CSO) und Deutschlandchef sollte er dem britischen Datendienstleister Aegate ins Geschäft verhelfen, später übernahm er den Posten des CEO. Jetzt musste er mitteilen, dass das Unternehmen abgewickelt wird. Während das die deutschen Apotheken kalt lässt, muss sich DocMorris nach einem neuen Projektpartner umsehen.
Per E-Mail teilte Däinghaus seinen Geschäftspartnern mit, dass Aegate am 5. Juni einen Insolvenzantrag gestellt hatte. Offenbar war es dem britischen Unternehmen nicht gelungen, im Zusammenhang mit der EU-Fälschungsrichtlinie auch nur in einem Mitgliedstaat einen offiziellen Auftrag zu ergattern.
Dabei waren die Ausgangsvoraussetzungen gar nicht schlecht: Aegate war einer von drei Vertragspartnern der European Medicines Verification Organisation (EMVO) für die Umsetzung der EU-Fälschungsrichtlinie. Ab 9. Februar 2019 dürfen nur noch verschreibungspflichtige Arzneimittel in den Verkehr gebracht werden, die eine individuelle Seriennummer tragen und die erkennbar unversehrt sind. Im Februar 2016 wurde der Delegierte Rechtsakt im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Damit begann für die Hersteller, Großhändler und Apotheken die dreijährige Umsetzungsfrist.
Während für die Umsetzung die Mitgliedstaaten verantwortlich sind, leistet EMVO auf organisatorischer und technischer Ebene wichtige Vorarbeit. Auf europäischer Ebene arbeiten die Pharmaverbände EFPIA und Medicines for Europa, der Verband der Reimporteure EAEPC sowie der Großhandelsverband GIRP und der Apothekerverband PGEU zusammen.
2015 hatte EMVO Rahmenverträge mit drei technischen Dienstleistern geschlossen, zu denen neben der Bertelsmann-Tochter Arvato und Solidsoft Reply auch Aegate gehört. Beauftragt werden müssen die Firmen durch die Arbeitsgruppen in den Mitgliedstaaten. Nach der Aegate-Pleite sollen nun die Anbieter Tracelink und Kamsoft als neue Vertragspartner von EMVO an Bord genommen werden.
In Deutschland war der Zug für Aegate bereits abgefahren, denn bei Securpharm ist als technischer Dienstleister Arvato an Bord. Trotzdem hatte Aegate mit DocMorris einen Kunden gewonnen, der den ganz überwiegenden Teil seiner Bestellungen nach Deutschland liefert. „Als modernste Apotheke Europas ist es für uns selbstverständlich, dass wir auch Vorreiter bei der Umsetzung der Fälschungsschutzrichtlinie sind, um unseren Patienten höchstmöglichen Schutz beim Arzneimittelkauf zu bieten“, sagte Chefapotheker Professor Dr. Christian Franken vor einem Jahr. „Das System von Aegate bietet auch bei unserer hohen Anzahl an Authentifizierungsabfragen höchste Sicherheit und lässt sich reibungslos in unsere bestehenden pharmazeutischen Prüfprozesse integrieren.“ Nun muss sich die Versandapotheke nach einem neuen Partner umsehen.
Kritiker warfen Aegate vor, die technische Infrastruktur zu nutzen, um aus dem System Daten abzuzweigen und kommerziell zu vermarkten. Tatsächlich berichteten europäische Beobachter von einem aggressiven Kurs, den das Unternehmen eingeschlagen hatte. Zwar wurde bei EMVO und Securpharm lange über die Verwaltung der Daten verhandelt, um einen Missbrauch zu verhindern. Doch in Belgien und Italien sollen bereits Verträge aufgetaucht sein, mit denen sich die Apotheken den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Aegate unterwerfen und damit der Weitergabe von Daten zustimmen sollten. In Griechenland soll die Firma sogar versucht haben, sich Exklusivrechte für die aus dem System gewonnen Informationen zu sichern.
Auch in Deutschland war Aegate auf Partnersuche – auch ohne Projektpartner bei Securpharm zu sein. Im Sommer 2015 lud die Firma nach Frankfurt zum „Ecosystem Partner Symposium“. Vorgestellt werden sollte ein neuer, lukrativer Geschäftszweig: „Aegate wird Ihnen Umsatzmöglichkeiten vorstellen, die über die Authentifizierungsdienstleistung innerhalb unseres Systems hinausgehen“, hieß es. „Für Ihren Dienst an der erhöhten Patientensicherheit werden Ihnen Umsatzbeteiligungen direkt vom Hersteller bezahlt.“
Aegate versprach eine Kompensation für die zusätzlichen Kosten sowie einen monatlichen Bonus für alle Apotheken, die das Modul nutzen. Das Aegate-Modell laufe seit Jahren erfolgreich und komme täglich in mehr als 20.000 Medikamentenausgabepunkten in unterschiedlichen europäischen Ländern zum Einsatz, hieß es. „Der Umsatz und der positive Effekt für die Apotheker wie auch für den Dienstleistungserbringer, hat für einen erheblichen Zugewinn beider Parteien gesorgt.“
Aegate ging auf die Unternehmensberatung PA Consulting zurück, die sich auf technische Dienstleistungen spezialisiert hatte. Zur Verbesserung der Patientensicherheit sollte ein System geschaffen werden, mit dem sich Medikamente verifizieren lassen. 2004 führte das Unternehmen eine dreimonatige Studie mit 44 Apotheken und sechs Pharmaunternehmen durch. Gezeigt werden sollte, dass falsch ausgewählte, illegale, abgelaufene und gefälschte Medikamente zum Zeitpunkt der Abgabe mit minimaler Unterbrechung des Verlaufs der täglichen Apothekenkette, identifiziert werden können.
Ein Jahr später wurde das Pilotprojekt in den USA wiederholt, diesmal beteiligten sich mehr als 40 Apotheken im Bundesstaat New York. 2006 war die Entwicklung abgeschlossen. Im selben Jahr schloss Aegate eine Kooperation mit dem belgischen Apothekerverband APB, die es ermöglichte, das System vollständig in die bestehenden EDV-Systeme zu integrieren.
2007 folgte der Markteintritt in Griechenland, 2008 in Italien. 2015 wurden schließlich Büros nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden, Spanien, Polen, Skandinavien, Tschechien und Frankreich eröffnet.
Seitdem gab es nicht nur eine Kooperation mit der Druckerei Domino, sondern auch mit dem Softwarehersteller Axway. Dadurch ließen sich seit 2009 Sendungen rückverfolgen und Stammbäume aufzeichnen. Ab 2011 arbeitete Aegate aktiv an der Ausgestaltung der Fälschungsrichtlinie mit. 2013 übernahmen Finanzinvestoren die Firma.