Arzneimittelfälschungen

Omeprazol: Tatort Apotheke Patrick Hollstein, 12.04.2014 08:42 Uhr

Berlin - 

Im Skandal um gefälschtes Omeprazol warten die beiden Hauptbeschuldigten auf ihren Prozess: Jürgen Andreas J. sitzt in U-Haft in Stuttgart, Kay J. in Tübingen. Mehr als eine halbe Million Packungen sollen die beiden 55 und 51 Jahre alten Brüder hergestellt, zehntausende in die reguläre Lieferkette eingeschleust haben. Umschlagplatz für die Ware waren die Geschäftsräume einer ehemaligen Apotheke in Norddeutschland.

Anfang der 1980er Jahre studiert Jürgen J. Pharmazie in Kiel. „Große Bugwelle“, charakterisiert ihn ein Kommilitone von damals. Schon kurz nach dem Staatsexamen bekommt J. 1984 die Möglichkeit, die Medio-Apotheke in Wahlstedt zu übernehmen, in der er gerade erst als Angestellter angefangen hat. Denn sein damaliger Chef setzt sich – angeblich wegen Problemen mit dem Finanzamt – nach Australien ab, wo er Jahre später bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen wird.

Doch J. steht auf große Autos, namentlich auf Ferraris. Dutzendweise stehen die teuren Sportwagen auf dem Parkplatz, zum Verkauf, aber auch für den Eigenbedarf. Der Legende nach bricht das System zusammen, als einem Azubi seiner Hausbank zufällig auffällt, dass einer der Wagen doppelt beliehen ist. Als im April 1991 das Konkursverfahren eröffnet wird, ist J. abgetaucht.

Doch Jahre später ist er immer noch in der Branche aktiv – als Importeur und Zwischenhändler mit wechselnden Firmenidentitäten. In Hamburg, aber auch in anderen Städten in Norddeutschland wie Rostock und Schwerin meldet er immer neue Firmen an. Die Namen klingen unauffällig und wechseln häufig: Medi-Gro und Medi-Pharm, Pharmazipp und Zippharma sind Beispiele.

Für den Import nutzt J. Kontakte nach Polen, so bringt er sogar eine eigene Serie an Schnupfenmitteln auf den Markt. Vor allem aber ist er im Graumarkt aktiv: „Die haben Klinikware in großem Stil ausgeeinzelt“, sagt ein ehemaliger Bekannter.

In den Firmenunterlagen taucht J. selbst nur selten auf; meist schickt er Andere vor. Er ist eher, wie die Staatsanwaltschaft es später umschreiben wird, der „faktische Geschäftsführer“. Oder handelt gleich im Namen „erfundener“ Unternehmen.

2008 kehrt J. ins Apothekengeschäft zurück. Er gründet eine Firma mit dem Namen Apocent, die ein Internetportal für den Versandhandel mit Arzneimitteln auf die Beine stellen soll. Von der Logistik bis zum Inkasso soll das Unternehmen auch das operative Geschäft abwickeln, auch eine Großhandelserlaubnis soll beantragt werden.

J. mietet in einem Gewerbegebiet in Henstedt-Ulzburg, 40 Kilometer nördlich von Hamburg, eine Halle an. Im vorderen Teil wird die gleichnamige Offizinapotheke eingerichtet. Inhaber wird aber nicht J. selbst, sondern eine Approbierte, die heute als Angestellte in einer anderen Apotheke arbeitet und nicht mehr über die alten Zeiten sprechen möchte.

Schon nach drei Jahren schließt die Apotheke, am Markt hat der Name keine Bekanntheit erlangt. Doch das Treiben in der Lagerhalle geht weiter, erinnern sich Nachbarn.

Wie aus den Unterlagen der Staatsanwaltschaft hervorgeht, hat J. bereits im Mai 2008 bei einem spanischen Lohnhersteller Omeprazol-Kapseln produzieren lassen, die jetzt von einem Kurierdienst aus dem benachbarten Nahe angeliefert werden.

Unter der Aufsicht von Kay J. wird nun in den Räumlichkeiten die Ware aus Spanien in handelsübliche Plastikflaschen umverpackt und mit Aufklebern sowie Beipackzetteln versehen. Als Druckvorlage für die Umkartons dienen Originalpackungen, auch Chargennummern und Haltbarkeitsdaten werden übernommen.

Derweil kümmert sich Jürgen J. um den Vertrieb. 54.024 Packungen gefälschter Omeprazol-Präparate von Ratiopharm, Hexal und KSK verkauft er zwischen August 2012 und Februar 2013 über EasyFarma, eines der Unternehmen aus seinem Netzwerk, an Cito Med.

Bei dem Zwischenhändler aus Bickenbach südlich von Frankfurt ist man „gutgläubig“, schließlich arbeitet man seit Jahren mit dem Geschäftspartner zusammen. Auch die Rabatte seien nicht ungewöhnlich gewesen, sagt Geschäftsführer Manfred Barz heute. So gelangen die Plagiate schließlich an den Pharmagroßhandel und in die Apotheken.

Ende 2012 fallen den Behörden zufolge erstmals gefälschte Packungen auf, Mitte Februar ruft das Regierungspräsidium Tübingen zwei Chargen von Omeprazol Ratiopharm zurück. Dann geht alles schnell: Anfang März 2013 werden in ganz Deutschland 39 Niederlassungen und Geschäftsräume von Pharmagroßhändlern durchsucht. Die Lieferlisten führen die Ermittler zu Cito Med und schließlich zu Jürgen und Kay J.

Die beiden Brüder werden Mitte März von der Hamburger Polizei festgenommen. In dem Lager in Schleswig-Holstein werden große Mengen an Medikamenten, Verpackungsmaterial und Geschäftsunterlagen sichergestellt.

Insgesamt könnten laut Staatsanwaltschaft in Henstedt-Ulzburg bis zu 600.000 Packungen gefälschter Ware hergestellt worden sein. Mindestens sechs weitere Personen, so vermuten die Ermittler, könnten in den Fall verwickelt sein. Es ist der größte Fälschungsskandal bislang im deutschen Arzneimittelmarkt.