Hexal 2.0 Patrick Hollstein, 25.02.2015 08:45 Uhr
Wenn über die Verschiebungen im Generikamarkt gesprochen wird, dann geht es meist um die Konkurrenz aus Fernost, die nach ein oder zwei Zuschlägen ebenso schnell verschwindet wie sie gekommen ist. Doch mit Aristo hat sich in den vergangenen Jahren in Berlin ein neuer Anbieter etabliert, der nach Deutschland jetzt die europäischen Märkte ins Visier nimmt. Hinter dem Unternehmen steht die Strüngmann-Familie, die vor exakt zehn Jahren mit dem Verkauf von Hexal an Novartis ein Vermögen gemacht hatte.
Bereits 2001 übernahmen Dr. Andreas und Dr. Thomas Strüngmann den Hersteller Lindopharm mit Sitz in Hilden. Verkäufer war der Privatgroßhändler „von der Linde“, der nach mehreren Jahrzehnten plötzlich Interessenkonflikte mit anderen Herstellern befürchtete. Bei dem Unternehmen hatte kurz zuvor Stephan Walz als Geschäftsführer angefangen; als klar war, dass Lindopharm nicht mit Hexal verkauft werden würde, machte sich der Apotheker an den Ausbau des neuen Geschäfts.
Anfang 2006 wurde zunächst das Berliner Traditionsunternehmen Steiner Arzneimittel (Sedariston, Sogoon) gekauft, im Sommer desselben Jahres folgte Pharma Wernigerode (Kamillan, Parodontal, Imidin). Pünktlich zum Ablauf des dreijährigen Wettbewerbsverbots, das die Strüngmanns mit Novartis vereinbart hatten, gründete Walz 2008 in Berlin den Generikahersteller Aristo. Die Gelegenheit war günstig: Nachdem Klosterfrau 2006 die Marken des Herstellers Lichtwer übernommen hatte, erwarb Walz aus der Konkursmasse die leer stehenden Produktionsanlagen im Norden der Stadt.
Den großen Wachstumsschub brachten dann die Rabattverträge: Nach Lindopharm beteiligte sich auch Aristo an den Ausschreibungen; mittlerweile ist die Firmengruppe bei allen großen Kassen vertreten. Größte Produkte waren 2013 Simvastatin mit Erlösen von 28 Millionen Euro, Cefurax mit elf Millionen Euro, Carbamazepin mit 5 Millionen Euro sowie Eferox und Ondansetron mit vier beziehungsweise drei Millionen Euro.
Dank der Rabattverträge verdoppelten sich die Umsätze im Rx-Bereich zuletzt im Jahrestakt; allerdings zehrten die Investitionen die Gewinne der vergangenen Jahre zu einem großen Teil auf. Mehr Ertrag wirft das OTC-Geschäft ab, das mit rund 20 Millionen Euro auf Basis der Apothekenverkaufspreise (AVP) allerdings nur einen Bruchteil der Produktverkäufe von 130 Millionen Euro ausmacht. Vor allem in den neuen Bundesländern sind die Produkte bekannt.
Drittes Standbein ist die Lohnherstellung. Insgesamt hat die Firmengruppe vier Produktionsstandorte, zwei in Berlin, einen in Hilden und einen in Wernigerode. Seit 2011 gehört auch der spanische Lohnhersteller Medinsa zur Gruppe, der auf feste orale Arzneiformen spezialisiert ist und für so ziemlich jedes größere Generikaunternehmen produziert. Auch bei Cefuroxim gilt Aristo als führender Anbieter. Lindopharm gilt als Vorreiter bei der Herstellung von Stickpacks.
Die interne Logistik wird über den 2009 übernommenen Hersteller Esparma (Espumisan) mit Sitz in Magdeburg abgewickelt, an dem sich zuvor der indische Hersteller Wockhardt verhoben hatte. Insgesamt arbeiten heute mehr als 800 Mitarbeiter für die Firmengruppe, darunter 30 im Apotheken- und 75 im Arztaußendienst.
Auf der Strecke geblieben ist bislang das Auslandsgeschäft. Vor allem im Nahen Osten war Walz seit Jahren immer wieder unterwegs, doch über gelegentliche Aufträge ist Aristo noch nicht hinausgekommen. Die Idee eines Werks im Iran ist vom Tisch, dafür sind jetzt Produkteinführungen sind auch für andere europäische Ländern geplant.
Geschäftsführer von Aristo sind heute Dr. Stefan Koch (Marketing/Vertrieb), Anton Karremann (Finanzen), Dr. Kristian Ruepp (Geschäftsentwicklung/Zulassung/F&E) sowie Dr. Sabine Brand (Produktion/Qualitätskontrolle). Den Kontakt zur Politik hält der ehemalige Klosterfrau-Geschäftsführer und Vorsitzende des Branchenverbands BAH, Hans-Georg Hoffmann.
Nicht Teil der Gruppe sind Sidroga/Emser sowie Neuraxpharm, die ebenfalls der Strüngmann-Familie gehören, aber eigenständig von Olaf Hirsch und Dr. Eva-Maria Karow in Bad Ems beziehungsweise von Olaf Krause in Langenfeld geführt werden.
Insgesamt wirft das neue Pharmageschäft der Strüngmanns pro Jahr Erlöse von rund 200 Millionen Euro ab. Spielgeld, möchte man fast meinen: Die Hexal-Gründer haben nämlich die Vision, ihre Karriere mit einem eigenen Originalprodukt zu krönen. Verluste von mehr als einer halben Milliarde Euro haben sich nach den Engagements bei den Biotechfirmen 4SC, Ganymed, Glycotope, Nexigen und Medigene bereits angestaut.
Immerhin gab es 2012 erste Erfolge zu vermelden: 2012 sicherte sich der Pharmakonzern Merck Sharp & Dohme (MSD) für 110 Millionen Euro die weltweiten exklusiven Lizenzrechte für das mehrere Präparate zur Behandlung des humanen Zytomegalie-Virus (HCMV) der Firma AiCuris. Werden weitere Entwicklungs-, Zulassungs- und Vermarktungsziele erreicht, gibt es zusätzlich bis zu 332,5 Millionen Euro. Außerdem wird das Biotech-Unternehmen am Umsatz beteiligt.