Pharmakonzerne

AstraZeneca: Außendienst ausgetrickst Julia Pradel, 07.01.2016 13:17 Uhr

Berlin - 

Wenn in größeren Unternehmen Umstrukturierungen anstehen, sieht es für die Beschäftigten oft schlecht aus. Um die Folgen abzumildern, muss in solchen Fällen ein Sozialplan aufgestellt werden. Als AstraZeneca 2014 seinen Diabetes-Außendienst schloss, gab es kein solches Konzept. Mit einem Kniff soll der Konzern versucht haben, um die geforderte Rücksichtnahme herumzukommen. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein stellte sich auf die Seite des Betriebsrates.

Im Herbst 2014 schuf AstraZeneca 21 neue Stellen als „Manager Netze und Strukturen“ (MNS), die an ehemalige Pharmareferenten des Außendienstes vergeben wurden. Diese sollten die „größten und wichtigsten Diabetes-Schlüsselkunden“ betreuen. Anschließend wurde der komplette bisherige Außendienst geschlossen und an einen externen Anbieter ausgelagert. Die verbliebenen 285 Pharmareferenten wurden gekündigt.

Der Betriebsrat protestierte gegen die Maßnahme. Aus seiner Sicht hätten die 21 Mitarbeiter nicht ohne Weiteres versetzt werden dürfen, da diese Aufgabenumverteilung direkt mit der geplanten Schließung des Außendienstes zusammenhänge, hieß es. Gegen die Versetzung legte der Betriebsrat Widerspruch ein.

Das wollte die Geschäftsführung nicht akzeptieren. Dort erklärte man, dass es sich bei der Versetzung der Mitarbeiter und der Schließung des Diabetes-Außendienstes um zwei unabhängige Vorgänge handele, die „nur zufällig zeitgleich“ erfolgten. Beim Arbeitsgericht Elmshorn kam der Konzern im vergangenen Frühjahr mit dieser Argumentation noch durch – das Landesarbeitsgericht kippte im Herbst allerdings die Entscheidung der Vorinstanz und gab dem Betriebsrat recht.

Die Versetzung der 21 Pharmareferenten und der anschließende Stellenabbau seien „untrennbar miteinander verbunden“, entschieden die Richter. Und der Betriebsrat sei berechtigt, seine Zustimmung zu einer personellen Maßnahme zu verweigern, wenn die Besorgnis bestehe, dass in ihrer Folge Mitarbeiter gekündigt würden oder andere Nachteile erlitten.

Dafür entscheidend sei, dass ein relevanter Zusammenhang zwischen der mitbestimmungspflichtigen Maßnahme und den befürchteten Nachteilen bestehe. Diesen sahen die Richter im konkreten Fall: Nur die Schaffung der 21 MNS-Positionen habe es ermöglicht, den eigenen Außendienst zu schließen und die Tätigkeit auszulagern und gleichzeitig die wichtigen Kunden weiter durch eigenes Personal zu betreuen.

Darüber hinaus stellten die Richter fest, dass alle Pharmareferenten persönlich und fachlich für die Tätigkeit als MNS-ler geeignet gewesen wären. Die Tätigkeit sei nahezu inhaltsgleich und im Wesentlichen gleich dotiert. Umschulungsmaßnahmen und Einarbeitungszeiten seien nicht nötig gewesen.

Dass sie gekündigt wurden, ist aus Sicht der Richter nicht allein dem Wegfall ihres Arbeitsplatzes geschuldet, sondern unmittelbare Folge der Bevorzugung anderer Arbeitnehmer. Da die Pharmareferenten aber nichts von der Umstrukturierung gewusst hätten und die neuen Stellen nicht höher dotiert gewesen seien, habe für sie kein Anlass bestanden, sich darauf zu bewerben.

Arbeitnehmer hätten jedoch Anspruch auf eine korrekte Sozialauswahl, stellten die Richter klar. Der Arbeitgeber dürfe eine Kündigung auch nicht mit einer Situation rechtfertigen, die er selbst geschaffen habe. Als solche sah das Landesarbeitsgericht die Umstrukturierung des Außendienstes. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Rechtsbeschwerde wurde zwar nicht zugelassen – AstraZeneca hat jedoch bereits Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Da das Verfahren somit noch läuft, will sich der Hersteller noch nicht zu dem Streit und den möglichen Folgen für den Außendienst äußern.

Das Landesarbeitsgericht hat sich im vergangenen Jahr bereits mit einem anderen Aspekt des Streits befasst: Als der Betriebsrat von den geplanten Stellenkürzungen erfuhr, wurde er zur Geheimhaltung verpflichtet. Der Vorsitzende Frank Gotzhein kritisierte im „Spiegel“, dass dadurch eine echte Interessenvertretung deutlich erschwert werde. Vor Gericht bekam der Betriebsrat schließlich recht: Das Landesarbeitsgericht stellte im Mai fest, dass kein Geschäftsgeheimnis vorlag.