Apotheker unter Kartellverdacht Patrick Hollstein, 27.09.2016 10:27 Uhr
Das Bundeskartellamt ermittelt gegen die Pharmagroßhändler wegen des Verdachts, sich auf Kosten ihrer Kunden abgesprochen zu haben. Doch auch die Apotheker hatten die Wettbewerbshüter aus Bonn bereits mehrfach im Visier. In verschiedenen Verfahren wurden sogar Bußgelder verhängt. Es ging um einen vermeintlichen Boykottaufruf gegen Gehe, um Preisabsprachen mit OTC-Herstellern und um Kampfrabatte gegen easy.
Das wohl spektakulärste Verfahren stand im Zusammenhang mit der DocMorris-Übernahme durch Celesio. Im Juli 2007 durchsuchten Ermittler des Bundeskartellamts Büros der Landesapothekerverbände (LAV) Baden-Württemberg, Berlin, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein. Ihnen wurde vorgeworfen, zum Boykott gegen die Celesio-Tochter Gehe aufgerufen zu haben.
Gegen die Verbände in Düsseldorf und Schwerin ging die Behörde nicht weiter vor. Dagegen wurden zusätzliche Verfahren gegen ABDA-Verantwortliche eingeleitet. Im Juli 2009 wurden Bußgelder in Höhe von insgesamt 1,22 Millionen Euro verhängt. Die ABDA sollte 600.000 Euro zahlen, der LAV Baden-Württemberg 250.000 Euro, der Apothekerverein Berlin 200.000 Euro und der LAV Thüringen 100.000 Euro. Zusätzlich verhängte das Kartellamt gegen fünf Einzelpersonen Bußgelder in Höhe von insgesamt 70.000 Euro.
Auf die Widersprüche der Beschuldigten reagierte die Behörde dann nicht mehr, zu einem gerichtlichen Verfahren kam es nie. Im September 2011 wurden die Verfahren eingestellt – aus „Opportunitätsgründen“, wie ein Sprecher der Behörde damals sagte. Den Vorwurf, dass die Apotheker Opfer eines politisches Verfahrens geworden sind, wies man in Bonn zurück.
Bei der Einstellung ging es dem Sprecher zufolge vielmehr um verfahrenstechnische Gründe: Vor Gericht hätte man nachweisen müssen, dass die Beschuldigten vorsätzlich gehandelt haben. Beim Kartellamt sah man auch keine Notwendigkeit mehr, ein Zeichen zu setzen. „Die seinerzeit öffentlich ausgetragene Kontroverse im Hinblick auf die Diskussion um den Fortbestand der inhabergeführten Apotheke hat sich inzwischen beruhigt“, argumentierte der Sprecher.
In den Jahren davor hatte der damalige Präsident der Behörde, Dr. Bernhard Heitzer, das Thema immer wieder öffentlich gemacht: Im Sommer 2008 warf der spätere Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und heutige Bahn-Aufsichtsrat den Apothekern vor, aus Eigeninteresse gegen alternative Vertriebskanäle Sturm zu laufen: „Wir sind der Auffassung, dass die Argumente der Apotheken – Arzneimittelsicherheit und Schutz der Patienten – nur vorgeschoben sind und wohl eher dem Schutz des eigenen Geschäftes dienen.“
Nicht viel anders trat Heitzers Nachfolger Andreas Mundt auf. Im Februar 2010, ein halbes Jahr nach EuGH-Urteil und Bußgeldbescheid, ließ er nicht die Kartellverfahren einstellen, sondern warf der Koalition öffentlich Klientelpolitik zugunsten der Apotheker vor: „Ärgerlich finde ich, dass die neue Regierung die Pick-up-Stellen für Medikamente verbieten will“, sagte er der mittlerweile eingestellten Financial Times Deutschland. „Hier werden die Apotheker unnötig geschützt – zum Schaden der Verbraucher.“
Auch Celesio nutzte die öffentliche Vorverurteilung in eigener Sache: Im Geschäftsbericht für das Jahr 2008 – veröffentlicht im Frühjahr 2009, als noch nicht einmal die Bußgeldbescheide zugestellt waren – hieß es etwa zur Lage der Gehe: „Hier gelang es, die nach der Akquisition von Apotheke DocMorris vor allem aufgrund von Boykottaufrufen der Apothekerverbände verlorenen Umsätze kontinuierlich zurückzugewinnen.“
Das Kartellamt war nach eigenen Angaben von Celesio auf das Verhalten der Apotheker aufmerksam gemacht worden. Der Behörde zufolge hatte Gehe in den Monaten vor der DocMorris-Übernahme durch Celesio einen Marktanteil von 18 Prozent, der dann im Mai 2007 auf 16 Prozent und bis September auf unter 15 Prozent sank. Im Januar 2008 lag der Anteil demnach noch immer bei 15,5 Prozent.
Zuvor hatte sich das Bundeskartellamt bereits mit den OTC-Preisen auseinandergesetzt und gegen neun LAV, den Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) sowie fünf Hersteller Geldbußen in Höhe von insgesamt 465.000 Euro verhängt. Die Verbände und Unternehmen sollen Apotheker aufgefordert haben, nach der Freigabe der OTC-Preise die unverbindlichen Preisempfehlungen der Hersteller zu befolgen, anstatt in einen Preiswettbewerb zu treten.
Das Kartellamt bezog sich auf eine Reihe von Vortragsveranstaltungen, die die LAV Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gemeinsam mit dem BAH Ende 2003, also kurz vor der Freigabe der OTC-Preise durch das GKV-Modernisierunggesetz (GMG), in 24 deutschen Städten organisiert hatten. Auf diesen Veranstaltungen sollen Redner der Apothekerverbände und von Beratungsunternehmen mehreren tausend Apothekern nahe gelegt haben, vom Preiswettbewerb Abstand zu nehmen.
Außerdem sollen die Pharmahersteller Bayer, Boehringer, McNeil, Novartis sowie Procter & Gamble an der Organisation der Veranstaltungen beteiligt gewesen sein und ebenfalls die Apotheker kartellrechtswidrig dazu aufgefordert haben, unverbindliche Preisempfehlungen einzuhalten.
Die Beschlüsse der LAV, entsprechende Vortragsveranstaltungen in ihren Bundesländern durchzuführen, sowie die Beteiligung des BAH und der Hersteller verstießen nach Ansicht des Bundeskartellamtes gegen das Kartellverbot. Da die Veranstaltungsreihe jedoch bereits einige Jahre zurückliege und in eine Zeit falle, in der Preiswettbewerb im Apothekenbereich erst ermöglicht wurde, haben man geringe Bußgelder als Pflichtenmahnung für ausreichend gehalten, begründete das Kartellamt die vergleichsweise moderate Strafe. Man gehe davon aus, dass sich ähnliche Verstöße in Zukunft nicht wiederholen würden.
Parallel wurde Bayer im Mai 2008 zu einem Bußgeld in Höhe von 10,34 Millionen Euro verdonnert. Der Konzern habe OTC-Preise in Apotheken wettbewerbswidrig beeinflusst, in dem er mit etwa 11.000 Apotheken Zielvereinbarungen abgeschlossen habe: Für die „Positionierung der Bayer-Produkte als Premiumprodukte“ sei Apotheken ein zusätzlicher Rabatt versprochen worden. Dafür mussten sich die Apotheker laut Kartellamt an die unverbindliche Preisempfehlung halten. Zeitlich begrenzte Preisaktionen wurden demnach von Bayer geduldet, nicht jedoch Dauerniedrigpreise. Wegen des geringen Vorwurfs, der jeden einzelnen Apotheker treffe, sah man in Bonn von einer Verfolgung des ordnungswidrigen Verhaltens jedoch ab.
Zur selben Zeit mussten in Hildesheim acht Apotheker insgesamt 150.000 Euro Strafe zahlen, weil sie angeblich dem Discounter easyApotheke das Leben schwer machen wollten. Etwa 50 Apotheken – also offenbar alle der Stadt – hätten mit gemeinsamen Preisen für ausgewählte, nicht rezeptpflichtige Arzneimittel geworben und damit gegen das Kartellverbot verstoßen, argumentierte die Behörde.
Einige Apotheker befürchteten laut Kartellamt einen zunehmenden Preiswettbewerb. Um dieser Gefahr vorzubeugen, sollen sich die Apotheker zu einer Werbegemeinschaft zusammengeschlossen haben, die mit reduzierten, abgesprochenen Preisen für einzelne Arzneimittel warb. Auf diese Weise sollte easyApotheke offenbar der Markteintritt erschwert oder unmöglich gemacht und eine Ausweitung des Preiswettbewerbs zwischen den Hildesheimer Apotheken verhindert werden.
Den drei Apothekern, die die „Preisoffensive“ initiiert hatten, wurden nach Angaben des Kartellamts Bußgelder in Höhe von 25.000 Euro auferlegt. Fünf weitere Apotheker, die ebenfalls aktiv beteiligt waren, erhielten Bußgelder in Höhe von je 15.000 Euro. Verfahren gegen die weiteren beteiligte Apotheker wurden wegen deren geringen Tatbeitrags eingestellt.
Keinen Erfolg hatte im vergangenen Jahr Apotheker Lutz Steinfurth. Seine zwei easy-Apotheken in Heinsberg und Hückelhoven an der niederländischen Grenze wurden seit dem Wechsel zur Kooperation nicht mehr von der Noweda beliefert. Die Genossenschaft hat für sich bestimmt, nicht mit Apotheken zusammen zu arbeiten, die Mitglied bei DocMorris oder easyApotheke sind. Steinfurth beschwerte sich Anfang 2015 bei den Wettbewerbshütern, doch das Bundeskartellamt teilte ihm mit, dass es sich nicht mit vermeintlichen Lieferboykott des Großhändlers beschäftigen würde.
Ende 2014 wies das Kartellamt den Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) in die Schranken: Auf Druck der Wettbewerbshüter wurde eine Klausel des Arzneiliefervertrags zu Blutzuckerteststreifen ausgesetzt. Die Apotheker hatten in der Anlage des Vertrags vereinbart, dass die Krankenkassen keine anderen Leistungserbringer bewerben dürften.