Die Entscheidung der EU-Kommission, natürliche CBD-Extrakte als Betäubungsmittel zu betrachten, hat die kontroverse Debatte um den Wildwuchs auf dem CBD-Markt neu befeuert. Opfer einer möglichen Richtungsänderung könnten vor allem diejenigen sein, die es am wenigsten verdient haben: seriöse Anbieter pharmazeutisch hochwertiger CBD-Produkte. Die wollen nicht mehr mit halbseidenen Glücksrittern in einen Topf geworfen werden und gehen deshalb jetzt in die Offensive: Drei große Cannabisunternehmen wollen kommende Woche unter dem Namen „Pro CBD“ einen Verband gründen, der nicht nur ihren Ruf retten, sondern auch der Lobbyarbeit für eine bessere Cannabispolitik dienen soll. Denn Ideen für eine bessere Regulierung haben sie bereits.
Es ist ein Satz, wie man ihn nicht so oft hört: „Wir würden uns wünschen, besser reguliert zu werden“, sagt Finn Hänsel. Der zuvor als Start-up-Guru bekannt gewordene Unternehmer hat 2018 die Sanity Group gegründet und sie mit der Marke Vaay zu einem der prominentesten Anbieter von CBD-Produkten in Deutschland gemacht. Schaut man sich Auftritt und Portfolio an, wirkt sie weniger wie ein Arzneimittelunternehmen als vielmehr wie ein Anbieter von Lifestyle-Produkten. Das ist auch so gewollt. Gleichzeitig legen Hänsel und sein Unternehmen aber großen Wert auf die pharmazeutische Qualität ihrer Produkte – mit den Herstellern dubioser CBD-Öle, wie sie vielerorts verkauft werden, wollen sie deshalb auf keinen Fall über einen Kamm geschoren werden.
Genau das werden sie aber oft, denn die rechtliche Situation ist äußerst komplex, der noch junge Markt ist nach außen hin von Goldgräberstimmung geprägt und das spiegelt sich nicht nur in der öffentlichen Debatte wider, sondern auch in der Wahrnehmung vieler Politiker und Regulatoren. „Wir müssen als Markt Selbstreinigungskräfte entwickeln“, fordert Hänsel deshalb und ist mit zwei weiteren Branchenschwergewichten zur Tat geschritten.
Kommende Woche gründet die Sanity Group gemeinsam mit Aphria und Cannacare den Branchenverband „Pro CBD“. Bei den drei Gründungsmitgliedern solle es aber ebenso wenig bleiben wie bei den hehren Ankündigungen. „Wir planen, mehr Teilnehmer aufzunehmen und haben auch schon Kandidaten im Blick, wollen dabei aber selektiv sein und nur zweifelsfrei seriöse CBD-Anbieter in unseren Reihen haben“, sagt Hänsel. „Das stellen wir in Schritt eins durch eine Selbstverpflichtung sicher. Wer dagegen verstößt, wird ausgeschlossen.“
Mit dem Verband wollen die Gründungsunternehmen drei Hauptziele verfolgen: die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, aber auch bei Apothekern, Ärzten und Geschäftskunden durch Aufklärung zu verbessern; aktiv auf Politik und Verwaltung zuzugehen, um eine bessere, sinnvollere Regulierung einzufordern; sowie eigene Expertise in dem Bereich zu bündeln, die auch an den richtigen Stellen wahrgenommen wird. „Wir möchten proaktiv mit Stakeholdern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft in den Dialog treten und eine starke Stimme unserer Branche sein“, erklärt Hänsel. Der Idealfall: Bei Verbändeanhörungen in Gesetzgebungsverfahren wird irgendwann „Pro CBD“ vor dem Gesundheitsausschuss sitzen und erklären, wo es bei der Regulierung hakt, und vor allem wie es besser gemacht werden kann. Denn in allen Bereichen ist noch Luft nach oben.
Den gesamten Markt will Hänsel dabei keineswegs freisprechen, ansonsten gäbe es ja auch keinen Bedarf nach dem Verband. „Ich habe das schon zuvor im Tech-Bereich gesehen: Sobald ein neuer Markt entsteht, kommen immer auch schwarze Schafe, die sehen, dass es zwei, drei erfolgreiche Unternehmen gibt, und dann auf den Zug aufspringen“, sagt er. Momentan gebe es im Markt ungefähr ein Drittel seriöse Unternehmen und zwei Drittel unseriöse – also solche, deren Qualitätstandards nicht stimmen, die sich mit den Besonderheiten des Wirkstoffes CBD gar nicht auskennen und die im Zweifelsfalle das Heilmittelwerbegesetz (HWG) oder die Health-Claims-Verordnung nicht kennen oder sie einfach ignorieren. „Nehmen wir nur das Thema Testimonials: Wir bekommen auch großartiges Feedback von unseren Kunden, aber wir sind uns bewusst, wie sensibel man damit umgehen muss und dass man das nicht einfach als Marketinginstrument verwenden kann.“
Auf der anderen Seite wachse die Branche aber auch aus den Kinderschuhen heraus, betont Hänsel. Es sei „ein Zeichen dafür, dass ein Markt erwachsen wird“, wenn seriöse Anbieter rechtlich und geschäftlich sauberer arbeiten, trotzdem erfolgreicher als ihre unseriösen Mitbewerber sind und dann so die schwarzen Schafe aus dem Markt drängen können. „So langsam trennt sich die Spreu vom Weizen. Es ist aber wichtig, dass das auch von der Politik gesehen wird“, sagt Hänsel. „Hier ist seriöse Aufklärung und ein sachlicher Dialog wichtig, da derzeit manche Regulatoren den Markt noch nicht richtig verstehen und dann die Büchse der Pandora mit dem Hammer wieder schließen wollen, statt den Markt vernünftig zu ordnen.“
Stattdessen gelte, was auch in anderen Branchen zutrifft: Regulation wird dann am besten ausgestaltet, wenn die Betroffenen auch ein Wörtchen mitzureden haben. Und Hänsel hat zum Thema CBD-Regulation einiges zu erzählen, er will nämlich nicht nur kritisieren, sondern auch seine eigene Vision einer verantwortungsvollen Marktregulation vermitteln. Pro CBD tritt ein für eine Trennung nach pharmakologischer Wirkung, wie sie in anderen Branchen bereits selbstverständlich ist: Ist sie vorhanden, handelt es sich um ein Arzneimittel, das in die Apotheke gehört, ist sie nicht vorhanden, handelt es sich um ein Lebens- oder Nahrungsergänzungsmittel.
„Baldrian oder Koffein sind da Beispiele für eine gute Regulierung: Kaffee und Cola kann jeder im Supermarkt kaufen, Koffeintabletten gibt es nur in der Apotheke. Beides kann sowohl als Nahrungsmittel oder Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt gebracht werden als auch als Arzneimittel“, sagt Hänsel. Es fordert, dass Grenzwerte festgelegt werden, die eine vernünftige Zuordnung ermöglichen. „Meiner Meinung nach kann man mit einer guten Regulierung eine gute Koexistenz von Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln schaffen.“ Darüber hinaus müsse die Qualitätssicherung besser reguliert werden. Man müsse zu einer Situation kommen, in der CBD-Präparate genauso routiniert durch die Behörden kontrolliert werden wie beispielsweise Vitaminpräparate: Es darf gewisse Schwankungen geben, aber die müssen fest definiert sein. „Mit so einer Regulierung würde niemandem wehgetan, weder Ärzten noch Apothekern und erst recht nicht den Anwendern.“
Doch momentan sieht es ganz anders aus, die Debatte im Gesundheitswesen und in der Politik läuft komplett entgegen dieser Vision – siehe die Diskussion um die vorläufige Auffassung der EU-Kommission. „CBD hat keine bewusstseinsverändernde oder betäubende Wirkung, das ist wissenschaftlicher Konsens. Daher ist die Einordnung von CBD als mögliches Betäubungsmittel nicht korrekt“, sagt der 38-Jährige. Von den vielen Cannabinoiden, die die Cannabispflanze enthält, wirke nur eines nach heutigem Stand bewusstseinsverändernd, nämlich THC. Das aber habe mit CBD-Öl-Produkten rein gar nichts zu tun. „Diese Unkenntnis führt hierzulande zu Unsicherheit und damit zu einer Angst, was alles passieren könne, wenn man zu viel freigibt. In den USA oder Großbritannien wird das Thema viel differenzierter betrachtet.“ Gleichzeitig wehrt er sich gegen die pauschale Wahrnehmung, aufgrund der überraschenden Haltung der EU-Kommission stehe eine Einstufung von CBD als Betäubungsmittel kurz bevor: „Die EU hat und hatte nie vor, CBD als Cannabinoid pauschal als Betäubungsmittel einzustufen“, sagt Hänsel.
Auch hier sieht er ein Tätigkeitsfeld des zu gründenden Verbands. „Da herrscht viel gefährliches Halbwissen. Da muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden.“ So sei der Vertrieb von CBD ohne eine Novel-Food-Zulassung entgegen der landläufigen Auffassung nicht per se illegal. Auch wenn die Kommission selbst nur pauschal von CBD spricht, seien nur Vollspektrum-Extrakte gemeint und die Frage, wie mit diesen Extrakten umzugehen ist, die auch Restmengen THC enthalten. Aber hier ist nicht CBD der treibende Faktor und dementsprechend weitestgehend irrelevant. „Es geht um die Restmenge von THC, die enthalten sein darf. Während die WHO hier 0.2 Prozent vorschlägt, sieht die EU derzeit eine Grenze von 0.0 Prozent vor, was heute nur synthetische Cannabinoide leisten können.“
Außerdem sei der Katalog der EU, der aussagt, dass konzentrierte oder isolierte CBD-Extrakte Novel Food sind und daher auf Verkehrsfähigkeit geprüft werden müssen, rechtlich gar nicht bindend. Auch die Frage, ob normale Vollextrakte, die natürlich CBD enthalten, überhaupt darunterfallen, sei nie geklärt worden. „Hier herrscht selbst in der Fachwelt Uneinigkeit und das BVL hat sich dazu bis heute nicht im Detail dazu geäußert. Weiterhin ist die Umsetzung dieser Richtlinie den Mitgliedsstaaten überlassen“, so Hänsel. Das BVL habe 2019 dargestellt, dass in der Auffassung der Behörde kein Fall vorläge, in dem CBD heute verkehrsfähig wäre. „Hier wurde nie definiert, welche Art von CBD. Auch ist das BVL kein gesetzgebendes Organ – die Stellungnahme ist lediglich beratender Natur.“
Wie sie diese Auffassung interpretieren und umsetzen, sei den lokalen Behörden überlassen, die das auch bis heute unterschiedlich interpretieren – siehe der Beschluss der Stadt Köln, CBD-Präparate aus dem Handel zu verbannen. Und selbst der beziehe sich nur auf konzentriertes oder isoliertes CBD, so Hänsel. Andere Länder wie die Niederlande und Großbritannien hätten die Novel-Food-Richtlinie schon immer weicher ausgelegt. „Hier sehen wir eine wichtige Aufgabe des Verbandes, wissenschaftlich fundierte Informationen zu liefern, damit die Behörden sachgerechte Entscheidungen treffen können. Die derzeitige unterschiedliche Genehmigungspraxis ist sowohl aus Verbrauchersicht als aus Sicht der Unternehmen ausgesprochen unbefriedigend.“
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