Das kam gar nicht gut an bei den Angestellten: Kurz vor Weihnachten ließ die Drogeriekette dm die Bombe platzen, im kommenden Jahr in den Arzneimittelbereich einsteigen zu wollen. In den Filialen regt sich Widerstand, die Schwingungen sind gestört bei Deutschlands führendem Esoterikkonzern.
Seit mittlerweile 20 Jahren schielte man in Karlsruhe auf die Apotheken. Erst wurden die Filialen zu Pick-up-Stellen umfunktioniert, außerdem wurde Apothekenkosmetik in die Regale gepackt. Doch der erhoffte Erfolg blieb aus: Die Kundinnen und Kunden interessierten sich nicht für die nicht ins Umfeld passenden Marken, die Angestellten fanden es einfach nur nervig, zwischen den immer wieder abreißenden Lieferströmen die Lücken aufzufüllen. Und die Bestellterminals von EAV (heute Shop Apotheke) waren sogar noch erklärungsbedürftiger als die Fotoautomaten.
2016 zog der Konzern erst einmal die Reißleine und listete die „bekannte Apothekenkosmetik“ wieder aus. Nur einige wenige freiverkäufliche Vitamin- und Hustenpräparate aus der Offizin wurden weiter im Gesundheitsregal platziert. Zumindest ein Hauch von Apotheke sollte über die schwierige Zeit helfen. Außerdem wurden Azubis weiter regelmäßig auf die Expopharm gekarrt; zur Ausbildung gehört wohl auch die Lektion, wie der Apothekenmarkt eigentlich funktioniert.
Jetzt, so hat es Konzernkönig Christoph Werner entschieden, ist die Zeit für einen neuen Anlauf gekommen. Immerhin hatte man doch der ganzen Welt gezeigt, dass man mit 500 vorübergehenden Testzentren nicht nur Geld verdienen, sondern auch einen Beitrag leisten kann. „Hier bin ich Mensch, hier lös ich ein“, könnte das neue Motto von dm werden, auch wenn Rezepte wegen einer planerischen Panne vorerst nicht ins Auge gefasst werden. Der Name steht dann auch nicht mehr für „Drogeriemarkt“, sondern für „Deine Medikamente“.
Werners Argumentation geht wie folgt: Der Apothekenmarkt ist krank und braucht einen übermächtigen Konzern als Retter. Einen Quasimonopolisten, unter dessen Schwingen man Zuflucht suchen kann. Mit E-Rezept, Telemedizin und ausgefeilter Versandlogistik ließe sich das Ganze doch viel einfacher gestalten, so sein Heilsversprechen. Ohne Schnickschnack wie persönliche Beratung vor Ort, Notdienst oder ein Vollsortiment.
„Bankdienstleistungen sind notwendig, Bankfilialen sind es nicht“, muss sich Bill Gates in diesem Zusammenhang von Werner zitieren lassen. Ein gewagter Vergleich, immerhin ist doch sein eigenes Geschäftsmodell der Betrieb von Filialen mit einem ebenso spitzen wie einheitlichen Sortiment an möglichst lukrativen Standorten. Und nicht zu vergessen: Arztpraxen und Apotheken sind es, die auch auf dem Land die Versorgung sichern.
Aber von solchen kleinen Ungenauigkeiten lässt sich ein Prophet in eigener Sache nicht ausbremsen. Jedenfalls sind Werner und seine Strategen derzeit im Dauereinsatz, um Politik und Kassen ihre Botschaft einzuflüstern und sie von der Notwendigkeit einer Liberalisierung des Apothekenmarktes zu überzeugen. Und damit die Branche sich schon einmal an die „dm-Apotheke“ gewöhnen kann, sollen ab dem kommenden Jahr auch Medikamente im Webshop erhältlich sein. Im Logistikzentrum im tschechischen Bor laufen die Vorbereitungen.
Doch nicht nur von den Herstellern, die ihre Ware nicht an einen übermächtigen Drogeriemarkt verscherbeln und schon gar nicht neben den Eigenmarken platzieren wollen, gibt es Widerstand. Ausgerechnet in der eigenen Belegschaft kommt es völlig überraschend zur Meuterei – und das kurz vor Weihnachten.
Denn was Werner nicht bedacht hat: Unter den rund 60.000 Angestellten in den Filialen sind viele Frauen und Mütter, die genau wissen, was sie an der Apotheke vor Ort haben. Die im Gegensatz zu Werner eine Vorstellung davon haben, dass Drogisten- oder Einzelhandelsausbildung mit Sachkundenachweis nicht dasselbe wie Pharmaziestudium oder PTA-Ausbildung sind. Und die genau wissen, dass der Job bei dm vor allem im Abkassieren oder Auffüllen der Regale besteht und die Übergabe von Fototüten noch das Persönlichste ist, was man in diesem Hamsterrad leisten kann.
Und so kommt es 2025 zu allerlei einfallsreichen Boykottaktionen: Gesundheitsregale werden mit Absperrbändern abgeklebt, Anzeigenseiten aus dem Kundenmagazin Alverde herausgetrennt und so weiter und so fort. Man darf gespannt sein. Und träumen. Ist doch bald Weihnachten. Schönes Wochenende!
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