Sidroga/Sidrosan: Apotheker laufen Sturm Patrick Hollstein, 01.03.2017 09:54 Uhr
Wenn Hersteller aus der Offizin in den Mass Market wechseln, kommt das bei Apothekern nie gut an. Aktuell sorgt Sidroga für einen Sturm der Entrüstung. Der Marktführer unter den Teeanbietern in der Apotheke ist seit Kurzem mit elf Produkten bei der Drogeriekette dm gelistet. Auch andere Hersteller fahren zweigleisig, wissen sich aber geschickter zu tarnen. Sidroga beteuert, der Apotheke treu zu bleiben.
Seit einigen Wochen sind bei dm Produkte der Marke Sidrosan zu finden. Für den Newcomer hat die Drogeriekette in den Filialen eine komplette obere Regalschiene freigeräumt. Zum Sortiment gehören etwa ein Blasen- und Nierentee, ein Magen- und Darmtee, ein Leber- und Galletee, ein Schlaf- und Nerventee, ein Husten- und Bronchialtee, ein Gute-Nacht-Tee für Kinder sowie Einzeldrogen wie Kamille und Lindenblüten.
Fast alle Produkte der neuen Reihe sind als Arzneitee deklariert, die meisten zur Anwendung bei Erwachsenen und Kindern ab zwölf Jahren gedacht. Für den Fall, dass Nebenwirkungen auftreten, werden die Anwender in der Gebrauchsinformation an den Arzt verwiesen. Auch Meldungen direkt an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) seien möglich. Einen Hinweis auf den Apotheker gibt es nicht.
Viele Pharmazeuten reagierten schockiert: „Ich habe nach über 20 Jahren nun alle Produkte aus meinem Sortiment entfernt“, schreibt ein Kollege aus Nordrhein-Westfalen. „Geht echt gar nicht, dass Sidroga so offen Arzneitees über dm vertreibt“, kommentiert eine Kollegin. Andere Kommentare aus den sozialen Netzen lauten: „Issjawohlder Hammer!“ oder „Goodbye Sidroga!“
Am Firmensitz in Bad Ems ist der Frust auch schon angekommen. Marc Denker, seit Herbst in der Geschäftsleitung für den Bereich Marketing und Vertrieb zuständig, versucht zu entschärfen: „Wir wissen genau, wo eine umfangreiche, hochwertige und beratungsintensive Tee-Range hingehört: in die Apotheke, zu unseren langjährigen Partnern. Wir rücken keinen Millimeter von dieser Strategie ab.“
Als Hersteller könne man aber nicht negieren, dass es verschiedene Vertriebswege mit unterschiedlichen Kundenstrukturen gebe. „Wir wissen, dass wir in der Drogerie eine zusätzliche Käuferschicht erreichen können – denn auch in der Vergangenheit wurden Gesundheitstees schon von einer gewissen Klientel außerhalb der Apotheke verkauft.“
Unter der Prämisse, den Apotheken kein Geschäft abspenstig zu machen, sei es für Sidroga als Hersteller daher richtig, „mit der nötigen Differenzierung und Fairness“ beide Kanäle zu bedienen. Denker verweist auf die Unterschiede im Sortiment und in der Aufmachung: „Wir haben hier ein begrenztes Angebot sich selbst erklärender Teesorten, die allesamt auf Standardzulassungen beruhen.“ Solche Produkte seien ohnehin schon Normalität im Drogeriemarkt.
Die Apothekentees basierten auf individuellen Zulassungen; entsprechend seien die Produkte in der Zusammensetzung nur in Einzelfällen vergleichbar. Das 65 Produkte umfassende Sidroga-Sortiment werde systematisch beworben – so gesehen könnten über Sidrosan womöglich sogar Neukunden für die Offizin gewonnen werden.
Um die Marke nicht zu verwässern, habe man bewusst einen neuen Namen eingeführt und das Design angepasst. Pro Packung seien nur 15 Teebeutel enthalten, die in Kunststoff statt in Aluminium – also weniger hochwertig – verpackt seien. Mit 2,45 beziehungsweise 2,95 Euro ist der Tee aus der Drogerie laut Denker außerdem auf demselben Preisniveau je Beutel angesiedelt wie das Pendant aus der Apotheke. „Und das wird auch so bleiben.”
Man wolle auch nicht breit in den Markt gehen, versichert Denker: Sidrosan soll exklusiv bei dm erhältlich sein. In Bad Ems sieht man die neue Marke aber auch eine Maßnahme, um eine Abwanderung des apothekenexklusiven Teesortiments über den Graumarkt zu verhindern: Mit Sidrosan könnten eventuelle Begehrlichkeiten bedient werden. Der Schwesterfirma Siemens & Co. sei dieser Schritt bereits geglückt. Die Pastillen sind nicht unter dem Namen Emser im Mass Market zu finden, sondern unter Emsan beziehungsweise Emcur.
Dass Apotheker verärgert reagieren, bedauert Denker: „Wir sind sicher, dass die Apotheken keinerlei Kunden verlieren werden. Denn es handelt sich um ganz verschiedene Zielgruppen.“ Dass man als Hersteller unter demselben Namen wie in der Apotheke auftrete, sei womöglich nicht die beste Idee gewesen. Aber: „Wir wollen transparent sein und konstruktiv mit Kritik umgehen. Dazu gehört auch, das ein oder andere schwierige Zwiegespräch auszuhalten.“
Den Verweis auf die Konkurrenz, deren Außendienst sich die Situation bereits zunutze machen will, kann sich Denker nicht verkneifen: „Die Beispiele von Apothekenprodukten, die auf mehr oder weniger verschlungenen Wegen baugleich in der Drogerie landen, sind hinlänglich bekannt. Auch in unserem direkten Wettbewerb gibt es Anbieter, die sich nicht die Mühe machen, so genau zu differenzieren wie wir.“ Namen nennt er nicht, doch es ist bekannt, dass Goldmännchen zu H&S gehört und Bad Heilbrunner zu Hermes Arzneimittel. Bombastus und Salus treten ohnehin offen in beiden Vertriebskanälen auf.
Denker verspricht, dass die Apotheken auch in Zukunft wichtigster Partner für Sidroga bleiben sollen und dass man ein „verlässlicher Partner erster Güte“ bleiben werde. „Es gibt keinerlei Abstriche, was unser Commitment für die Offizin angeht.“ Im Gegenteil: Gerade werde der Außendienst um fünf auf 32 Köpfe aufgestockt; im zweiten Quartal würden neue moderne Teesorten eingeführt.
Sidroga und Siemens & Co. gehören wie Klinge zur Strathos-Gruppe, die wiederum der Strüngmann-Familie gehört. Der Teehersteller mit einem aktuellen Umsatz von 12,2 Millionen Euro war 2007 von der schweizerischen Siegfried-Gruppe übernommen worden. Derzeit arbeiten rund 150 Mitarbeiter für die Strathos-Gruppe in Deutschland.
Der Teemarkt in der Apotheke hat zuletzt an Schwung verloren: Nach Zahlen von IMS Health liegt das Umsatzvolumen seit 2013 stabil bei rund 75 Millionen Euro. Knapp ein Drittel entfällt auf Sidroga, ein weiteres Viertel auf H&S. Kleinere Anbieter sind Heumann-Tee (Zentiva), Bombastus und Midro.