Kwai lautete lange der Schlachtruf der Apotheker, wenn sie sich über untreu gewordene Hersteller empörten. Die moderne Variante davon heißt Sidroga, seit der gleichnamige Hersteller seinen Tee als Sidrosan auch in der Drogerie verkauft. Und ganz neu dazugekommen ist Frei Öl: Hersteller Walter Bouhon verkauft die Kosmetikmarke ab September bei dm. Darüber hat sich Apotheker Stephan Hartmann so geärgert, dass er die Kollegen zu einer gemeinsamen Protestaktion aufruft.
Hartmann, Jahrgang 1984, hat in Greifswald Pharmazie studiert und arbeitet seit 2011 in vierter Generation in der Stadt-Apotheke Rastatt. Seit 2012 führt er als Filialleiter die neu gegründete Rossi-Apotheke. Ab 2014 war er außerdem Mitglied der FDP, trat aber schon im Mai dieses Jahres wieder aus – aus Protest gegen das Wahlprogramm der Liberalen
Über die Abwanderung von Frei Öl in den Drogeriemarkt hat er sich nicht weniger geärgert: „Ich habe mich dazu entschlossen, es nicht wie in der Vergangenheit bei einem Protestschreiben an die Firma zu belassen, sondern aktiv meine Kolleginnen und Kollegen mit einzubeziehen“, so Hartmann. Zwar habe Frei Öl nachvollziehbar kommuniziert, dass man sich einem breiteren Markt öffnen müsse und ein jüngeres „Nicht-Apotheken-Publikum“ ansprechen möchte.
Unverständlich findet Hartmann aber, dass der Hersteller nicht vorher mit den Apotheken gesprochen hat: „Vielleicht haben wir ja auch ein Interesse an einer ‚jüngeren Zielgruppe‘ und vielleicht wären wir auch gerne dazu bereit gewesen, gemeinsam mit Frei Öl diese Kundengruppen zu erschließen“, schreibt der Apotheker an seine Kollegen. Die Familie Bouhon erwähne zudem nicht, dass die Drogeriemarktketten aufgrund der höheren Verkaufszahlen andere Preise anbieten können. „Wir kennen das ja schon aus der Vergangenheit, wie lange wir das treue Apothekenpublikum halten können, wenn ihre Kosmetik nebenan deutlich günstiger ist“, beklagt Hartmann.
Der junge Apotheker moniert diese „Gesamtstrategie“ – eine besondere Marke über die Apotheken mit guter Beratung groß werden zu lassen und sie dann aus der „Apothekenexklusivität“ zu entlassen und die Bekanntheit für eine große Marketingkampagne in Drogeriemärkten auszunutzen. Das sei „ebenso genial wie illoyal den Apotheken gegenüber“, findet Hartmann.
Und dann ruft er seine Kollegen zum Protest auf: „Zu lange und zu oft haben wir das jetzt schon mit uns machen lassen und zu viele große Marken haben uns schon auf diese Weise hintergangen. Es ist an der Zeit, endlich ein Exempel zu statuieren, um den Herstellern zu zeigen, dass wir so nicht länger mit uns umgehen lassen.“ Leider seien die Apotheker so uneins und so schlecht vernetzt, dass die Umsatzeinbrüche in den Apotheken nach solchen Aktionen weit unter den Befürchtungen der Hersteller geblieben seien.
Die Apotheker müssten jetzt Einigkeit und Zusammenhalt zeigen, fordert Hartmann. „Daher möchte ich Sie bitten, mich bei meinem Protest zu unterstützen und die Marke Frei Öl ab September 2017 aus der Frei- und Sichtwahl zu nehmen.“ Teil der Aktion ist ein Antwortfax, das er an die Apotheken geschickt hat. Darauf sollen die Kollegen angeben, ob sie Frei Öl aus der Frei- oder Sichtwahl nehmen oder darin belassen.
Bislang hat Hartmann nach eigenen Angaben schon mehr als 50 Schreiben aus Apotheken zurück bekommen. In keiner einzigen werde Frei Öl weiter unterstützt – im Gegenteil: „Viele Kollegen sind noch viel radikaler als ich und haben die Marke nicht nur aus der Freiwahl genommen, sondern komplett ausgelistet.“ Andere hätten „ab September“ durchgestrichen und „ab sofort!“ auf das Fax geschrieben. Bislang hat Hartmann das Fax nur an seinen eigenen Verteiler geschickt. Das sind die rund 40 „Lieblings-Apotheken“ aus dem Raum Gießen sowie ehemalige Studienkollegen. Jetzt möchte er noch mehr Apotheken erreichen und macht seinen Protest öffentlich. Wenn er mehr als 100 Antworten hat, will er die Faxe an Frei Öl schicken.
Der Hersteller hatte die Apotheker Mitte August selbst über den bevorstehenden Schritt informiert: „Wir wollen mit Ihnen als wichtigem Partner ehrlich kommunizieren. Uns ist bewusst, dass die Öffnung für neue Vertriebswege ein sensibles Thema ist, glauben aber fest daran, dass wir im Zusammenspiel mit einer starken Medienpräsenz sowie einer breiteren Verfügbarkeit die Markenbekanntheit steigern und somit auch die Umsätze in ihrer Apotheke fördern werden“, hieß es in dem Schreiben. Und weiter: „Wenn Frei Öl wächst, wachsen Sie also mit, denn je bekannter die Marke wird, desto mehr Potential bringt sie auch für den Abverkauf über Ihre Apotheke.“
Den Schritt hatte der Hersteller mit dem veränderten Einkaufsverhalten vor allem junger Frauen begründet. Die kauften ölbasierte Pflegeprodukte heute außerhalb der Apotheke, hatte Geschäftsführer Thomas Bauer erklärt. Dass die Aufgabe der Apothekenexklusivität bei den Apothekern nicht gut ankommen dürfte, darüber hatte sich Bauer keine Illusionen gemacht. Ob er mit einer Protestaktion wie der von Jungapotheker Hartmann gerechnet hat, ist eine andere Frage.
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