Die Abrechnung – Ende der Friedenspflicht Alexander Müller, 15.11.2014 09:57 Uhr
Die Rechenzentren der Apotheken haben sich in der Vergangenheit auf bestimmte Gebiete konzentriert – entsprechend der jeweils engagierten Apothekerverbände. Nur wenige private Anbieter waren bundesweit aktiv. Doch wie im Großhandel ist es jetzt auch mit der Gebietsaufteilung der Rechenzentren vorbei: Zunehmend wildern die „standeseigenen“ Abrechner in den einstigen Stammgebieten der Konkurrenz – mit Auswirkungen auf den Markt.
Früher war es sehr einfach: Es gab die Verrechnungsstelle der Süddeutschen Apotheker (VSA) im Süden, das Norddeutsche Apothekenrechenzentrum (NARZ) im Norden, dazwischen ARZ Haan und ARZ Darmstadt sowie in der Hauptstadt die kleinere Rezeptabrechnungsstelle Berliner Apotheker (RBA). Der Name war Programm.
Und heute? Das NARZ zählt – zusammen mit der Schwesterfirma AVN – die Bundesländer Bremen, Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen zu seinem „Einzugsgebiet“.
Die VSA ist über die zur Gruppe gehörende ALG ebenfalls längst nördlich des „Weißwurstäquators“ unterwegs, der Außendienst wurde jüngst sogar in Küstennähe gesichtet. Aus dem Akronym VSA wurde der Firmenname – das Wort „süddeutsch“ ist Vergangenheit. ALG ist mittlerweile bundesweiter Abrechner, offenbar aber mit besonders hoher Aktivität im früheren NARZ-Stammgebiet.
Intensiviert hat sich aber auch der Wettbewerb zwischen NARZ/AVN und dem ARZ Haan. Seit bei letzterem der Apothekerverband Westfalen-Lippe als Anteilseigner abgesprungen ist, wittern die Norddeutschen offenbar leichte Beute. Der Außendienst ist derzeit ziemlich aktiv in NRW unterwegs. In Schreiben an potentielle Neukunden wird sogar aus einem Mitgliederrundschreiben des AVWL zitiert. Darin äußert sich die Verbandsspitze positiv über das NARZ – das Rechenzentrum hatte dem AVWL mit der Clearingstelle ausgeholfen.
Das ARZ Haan wiederum hat seinen Vertrieb – klassisch waren NRW und Brandenburg – gezielt auf das NARZ-Gebiet ausgeweitet, mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt. Der Außendienst geht jetzt in Apotheken in Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
Die Stimmung zwischen den Rechenzentren kann man spätestens seit der „Daten-Affäre“ vorsichtig als abgekühlt bezeichnen. Weil die Datenschützer der Bundesländer den Handel mit anonymisierten Rezeptdaten unterschiedlich streng bewerten, fahren sich die Rechenzentren immer wieder gegenseitig in die Parade. Vor allem zwischen NARZ und VSA scheint das Tischtuch seitdem zerschnitten.
Die wachsende Konkurrenz gerade zwischen VSA/ALG und NARZ/AVN hat noch eine andere Vorgeschichte. Da war 2010 die Sache mit „Vorteil24“. Die DAV-Vorstände Fritz Becker und Monika Koch hatten effektvoll ihre Posten bei der VSA niedergelegt, weil das angeschlossene Softwarehaus Awinta die Technik für das umstrittene Pick-up-Konzept geliefert hatte.
Sachsen gehörte traditionell zum Einzugsgebiet der VSA. Koch wollte als Vorsitzende des Sächsischen Apothekerverbands (SAV) aber den Einfluss der Standesvertretung auf die Rezeptabrechnung sichern – und erhielt einen Posten beim NARZ. Ironie der Geschichte: Erst später kam heraus, dass ausgerechnet AVN die Rezepte für „Vorteil24“ abrechnete.
Die Entfremdung ist allgegenwärtig: Ende 2013 haben NARZ und ARZ Darmstadt das Gemeinschaftsprojekt CEDAG beendet. Das „Centrum für elektronische Datenverarbeitung im Gesundheitswesen“ war im Jahr 1999 gegründet worden, die Rechenzentren wollten gemeinsam neue Vorgaben des Gesetzgebers umsetzen. Viel mehr als eine gemeinsame Marketingplattform ist daraus aber nie geworden – CEDAG wurde aufgegeben und das ARZ Darmstadt brauchte ein neues Trust-Center.
Aktuell geht das Rechenzentrum die Konkurrenz aus anderer Richtung an: Das ARZ Darmstadt hat zu der Frage, ob die Abrechnung an Unterauftragnehmer delegiert werden darf, ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Die Darmstädter selbst sind davon natürlich nicht betroffen, andere Größen der Branche dagegen schon.
Früher mussten sich die Rechenzentren in ihren Gebieten ernsthaft nur mit dem privaten Konkurrenten AvP herumschlagen, der bundesweit agiert. Auch wenn die Düsseldorfer von der Konkurrenz gerne als „kommerzielles“ Rechenzentrum verunglimpft werden, müssen die Etablierten hinter vorgehaltener Hand eingestehen, dass AvP im Vertrieb einen verdammt guten Job macht. Und nicht zuletzt aus kartellrechtlicher Sicht mussten die „Standeseigenen“ für AvP dankbar sein.
Die scharfe Trennung zwischen „privat“ und „standeseigen“ ist heute ohnehin so verwischt wie die Einzugsgebiete: Beim ARZ Haan ist nach den Kammern aus NRW auch noch der AVWL ausgestiegen, der Verband Sachsen-Anhalt hat das NARZ verlassen, bei der VSA hat sich Struktur ebenfalls geändert: Die Firmengruppe hat jetzt einen Aufsichtsrat, einen Vorstand mit Vertretern der Apothekerverbände gibt es nicht mehr. Alleiniger Gesellschafter ist zwar noch immer der Apothekerverein FSA – die Apotheken bringen der Gruppe aber längst nicht mehr den Großteil des Umsatzes.
Der verstärkte Wettbewerb zwischen den Rechenzentren hinterlässt bereits Spuren im Markt. Nach einer stetigen Ausweitung des Einzugsgebiets ist jetzt vor allem das NARZ unter Druck geraten. Rund 200 Apotheken sollen angeblich gewechselt haben. Dem Vernehmen nach hält AVN jetzt mit Kampfpreisen dagegen.
Da sich die Leistungen der Rechenzentren weitgehend gleichen, geht es oft über den Preis: 0,22 Prozent des Umsatzes zahlen die Apotheken typischerweise für die Dienstleistung. Für Neukunden oder als Bleibeprämie werden aber auch schon einmal 0,18 Prozent mit einem oder mehreren freien Abrechnungsmonaten zusätzlich angeboten.
Zwar gewinnen auch Zusatzleistungen wie Hilfsmitteldatenbanken an Bedeutung, trotzdem verzweifeln die Rechenzentren immer wieder an der Discount-Mentalität ihrer Kunden. Schließlich zahle sich gute Qualität sehr wohl aus: Eine im Prüfverfahren des Rechenzentrums abgewendete Retaxation sei meist viel lohnender als eine geringfügig niedrigere Abrechnungsgebühr. Entziehen kann sich trotzdem keiner, mit der Friedenspflicht ist es vorbei.