Der nächste Lebensmittellieferdienst will in den Arzneimittelversand einsteigen: Nach Wolt, Knuspr & Co. arbeitet auch Lieferando an der Integration von Apotheken. In ein bis zwei Monaten werde es losgehen, sagt Nikolai Alemi von der Plattform Sanvivo, die für die Schnittstelle zwischen Bringdienst und Warenwirtschaftssystem verantwortlich ist. Geplant sei ein deutschlandweiter Roll-Out.
Sanvivo kooperiert bereits mit dem Bringdienst Wolt. Die Firma vermittelt Apotheken und sucht derzeit neue Partner für Städte wie Mainz, Duisburg oder Dresden. Insgesamt man in 85 Städten mit verschiedenen Projekten aktiv, sagt Alemi, der Apotheker und Mitgründer ist. Sein Vater betreibt in München die Senftenauer Apotheke, in der er angestellt ist.
Für die meisten Dienste ist es wichtig, alles liefern zu können.
Neuestes Projekt ist Lieferando. „Wir entwickeln das Konzept“, sagt Alemi. Gestartet wird in München und nach und nach sollen weitere Städte dazu kommen. Dafür sucht Alemi derzeit Apotheken und schreibt diese an, um sie zu überzeugen. Wie bei Wolt will auch Lieferando das Apothekensortiment auf die eigene Website holen. Die Nutzerinnen und Nutzer sollen dann nicht nur Pizza, Burger & Co., sondern auch ihre OTC-Arzneimittel über das Portal bestellen. „Für die meisten Dienste ist es wichtig, alles liefern zu können.“ Mit Blick in die USA betont er, dass man sich dort alles liefern lasse.
Alemi geht davon aus, dass sich diese Portale gegenüber reinen Apotheken-Bestell-Apps durchsetzen werden. „Außer der Stammkundschaft lädt sich niemand eine App herunter, die er vielleicht einmal im Monat benutzt und dort Arzneimittel bestellt. Aber bei Wolt oder Lieferando bewegt man sich täglich darauf. Diese Online-Kundschaft kommt gar nicht in die Apotheke.“ Die Nachfrage nach Bringdiensten sei besonders bei Geschäftsleuten, Touristen und jungen Menschen hoch. Fast die Hälfte der Lieferando-Nutzer:innen sind laut Firmenangaben zwischen 35 und 55 Jahre alt.
In Großstädten können für Apotheken im Schnitt zwischen 15 und 25 Bestellungen pro Tag zusammenkommen. Im Jahr kann Alemi zufolge dadurch ein Zusatzumsatz von 82.000 Euro erwirtschaftet werden. „Da passiert schon etwas und das ist für die Mitarbeiter natürlich schön, wenn sie sehen, dass sich es lohnt.“ Die teilnehmenden Apotheken wollten genau diese Online-Präsenz haben. Die Gebühren würden mit den Partnerapotheken individuell verhandelt und hingen von der Menge ab, die umgesetzt werde. Fix- oder Grundgebühren gebe es nicht.
Sanvivo vernetzt die Warenwirtschaft der Apotheken mit den Bestellsystemen der Lieferdienste. Die Apotheken können festlegen, welche Produkte sie anbieten. Besonders gefragt sind laut Alemi Erkältungspräparate, Durchfallmittel oder Mittel zur Verhütung. Auch Geschenke wie hochpreisige Kosmetik gehe insbesondere vor Valentinstag gut. Die Apotheke packt die Bestellung und die Lieferando-Fahrerinnen oder -Fahrer bringen sie bis zur Haustür.
Ansprechpartner für pharmazeutische Fragen soll die Apotheke sein, die mit Namen sichtbar bei Lieferando abgebildet ist. Logistikfragen erledigt Sanvivo. Auch die Einlösung des E-Rezepts über das Card Link-Verfahren soll perspektivisch möglich sein.
Gegründet wurde Lieferando 2009 und zählt damit zu den ersten Schnellbringdiensten. Seit 2014 gehört die Plattform zum niederländischen Konzern Just Eat Takeaway. Ausgeliefert wird in rund 60 deutschen Städten. Die Fahrer sind beim eigenen Lieferservice festangestellt.
Hinter Sanvivo stehen die Investoren Y Combinator aus den USA und Heal Capital aus Berlin. Die Amerikaner finanzierten bereits das Buchungsportal Airbnb und Dropbox sowie den Wolt-Mutterkonzern Doordash. Über ein Accelerator-Programm, also ein zeitlich begrenztes Förderungsprogramm, wurden laut Medienberichten 500.000 US-Dollar investiert. Auf der eigenen Website beschreibt Y Combinator seine Beteiligung als „Shopify for pharmacies in Europe“.
„Fast alle Apotheken in Europa sind per Gesetz lokale 1-Personen-Unternehmen. Und sie sind nicht bereit für Online-Bestellungen“, heißt es weiter, wenngleich eingeräumt, dass schon heute rund 120 Millionen Auslieferungen pro Jahr ohne digitale Tools stattfänden. Für Kundinnen und Kunden sei der Einkauf in der Apotheke unbequem: Medikamente seien oft nicht vorrätig, sodass man bis zu 24 Stunden warten müsse, Bestellungen liefen zumeist über Papierzettel oder Fax.
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