OTC-Automaten bei Edeka, Video-Kabinen an der Tankstelle. Klingt utopisch? Mitnichten. Mit seinem Arzneimittelterminal in in Hüffenhardt könnte DocMorris in die Geschichte eingehen: Erst könnten Pillenautomaten erlaubt werden, dann die Apothekenpflicht fallen und schließlich auch das Fremd- und Mehrbesitzverbot seinen Zweck verlieren. Bei dem Streit in Baden-Württemberg geht es um nicht weniger als den Komplettumbruch des deutschen Apothekenmarktes.
Ein erster Fingerzeig könnte die Entscheidung des Regierungspräsidiums sein, beim Verbot des Automaten auf einen Sofortvollzug im Bereich der OTC-Medikamente zu verzichten. Man halte die Abgabe von Medikamenten am Automaten zwar grundsätzlich für rechtswidrig, beeilte sich ein Sprecher zu versichern und versprach, dass es im Verfahren kein Abweichen geben werde. Man müsse aber berücksichtigen, dass der Gesetzgeber unterschiedliche Gefährdungspotenziale sehe.
Prozesstaktik hin oder her: Was das Zugeständnis an DocMorris für die Apothekenpflicht bedeutet, liegt auf der Hand. Nun taucht das Visavia-Urteil des Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) wieder aus der Schublade auf. Im Sommer 2010 hatten die Leipziger Richter entschieden, dass die Abgabe von OTC-Medikamenten am Automaten an der Außenwand einer Apotheke und während der Öffnungszeiten rechtens ist – also solange sich der Kunde drinnen beraten lassen kann.
DocMorris stützt sich auf dieses Urteil und argumentiert, dass der Automat auch als eine Spielart des Versandhandels gesehen werden müsse. Risiken für die Gesundheit gebe es nicht, schließlich überwache pharmazeutisches Personal die Abgabe. Nicht ausgeschlossen, dass zumindest EU-Richter dieser Sichtweise folgen würden: Kein Marktteilnehmer darf diskriminiert werden, lautet das erste Gebot – und Versandapotheken haben bekanntlich keine Außenwand, zumindest nicht in Deutschland.
Wenn aber eine solche Denkweise salonfähig würde, bräuchte es auch keinen Automaten mehr. Warum sollten nicht genauso gut Mitarbeiter eines Drogeriemarkts oder Discounters als „menschliche Maschinen“ die Ware aus dem Lager holen und der Kontaktperson am Videobildschirm zur Kontrolle vorlegen. Und wenn es wirklich sein müsste, könnte auch noch eine Schleuse dazwischen geschaltet werden. Damit wäre ein entscheidendes wirtschaftliches Hemmnis aus dem Weg geräumt – immerhin kostet ein Kommissionierer das Vielfache eines Videobildschirms. Auch der Apothekenbus könnte in einem solchen Szenario wieder aus der Garage gefahren werden.
Die Apothekenpflicht wäre dann nur noch Makulatur – dann ginge es nicht mehr um Fragen wie „Eindruck einer Apotheke“, „ordnungsgemäße Versorgung“ oder „Betriebserlaubnis“. Die Apothekenbetriebsordnung würde komplett in den virtuellen Raum verlagert, in irgendeinem Rechenzentrum der Telekom verpuffen. Eine einzige Offizin an der deutsch-holländischen Grenze würde ausreichen, um flächendeckend – im ersten Schritt! – apothekenpflichtige Medikamente verkaufen zu können.
Das Fremdbesitzverbot hätte in einem solchen Szenario natürlich auch ausgedient. Wenn der angestellte Apotheker einer niederländischen Kapitalgesellschaft per Videoschaltung Medikamente zwischen Toilettenpapier und Kloreiniger freigeben darf, dann braucht es auch keine inhabergeführten Apotheken mehr. Dann wäre die Kette womöglich die bessere Alternative. Dann hätte der Versandhandel seinen Zweck erfüllt: als Rammbock den Apothekenmarkt aufzubrechen.
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