Interview Ulrich Ströh (MVDA)

„Es braut sich etwas zusammen“

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Berlin -

Als Kooperation ist der Marketing Verein Deutscher Apotheker (MVDA) vor allem den wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder verpflichtet. Doch bei wichtigen Themen ist das Präsidium auch mit berufspolitischen Einlassungen zur Stelle – der Verbund mit 3500 Mitgliedern sieht sich in seinem Positionspapier als wichtiger Treiber bei der Weiterentwicklung des Apothekenmarktes. Der ABDA ihren politischen Alleinvertretungsanspruch streitig machen will der MVDA nicht. Im Gegenteil: Wenn Führung und Basis nicht bald zueinander finden, droht der Berufsstand laut Vizepräsident Ulrich Ströh überrollt zu werden.

ADHOC: Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der ABDA?
STRÖH: Standespolitik ist Ergebnispolitik. Und mit den Ergebnissen der politischen Arbeit kann man derzeit nicht zufrieden sein. Es ist ein fatales Signal, wenn man angesichts steigender Umsätze nicht den Mut hat, ein gesundes Honorar einzufordern. Man streicht mitten im Strom die Segel und setzt sein Boot der Strömung aus. Das ist unverantwortlich.

ADHOC: Die Vorzeichen waren angeblich zu schlecht.
STRÖH: Das Bild von der politischen Rallyefahrt, das sich die ABDA zu zeichnen bemüht, trifft es nach meiner Überzeugung nicht. Bei jedem Rennen macht man sich vorher Gedanken, wie man die Streckenabschnitte am besten zu nehmen hat. Ein solches Logbuch ist bei der ABDA derzeit nicht vorhanden.

ADHOC: War die ABDA früher erfolgreicher?
STRÖH: Mag sein, aber die Probleme waren früher auch geringer. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Apotheker noch nie über ihre Standesvertretung in der Offensive waren – mit Ausnahme der Unterschriftensammlung gegen DocMorris vielleicht. Apotheker sind in der Masse nicht kampagnen- beziehungsweise strategiefähig, das kann man der ABDA zwar in Teilen, aber nicht alleine vorwerfen.

ADHOC: Also ist die Basis schuld?
STRÖH: Zum Teil. Wenn die Gemeinde dem Pfarrer den Rücken kehrt, kann er so viel predigen wie er will. Viele Kollegen haben sich von ihrer eigenen Standesvertretung abgewendet und auf ihre Apotheke konzentriert. Da muss sich niemand wundern, wenn die ABDA nicht funktioniert und die Apotheker nicht gehört werden.

ADHOC: Ist Friedemann Schmidt der Geistliche in Ihrem Bild?
STRÖH: Er sollte es sein, ja. Es ist doch kein Geheimnis, dass Menschen geführt werden wollen. Herrn Schmidt ist es aber bislang nicht gelungen, eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Es gibt in seinem Programm keine Fixpunkte, keine Leuchttürme.

ADHOC: Das Leitbild überzeugt sie nicht?
STRÖH: Wenn ich die Basis mobilisieren und die Politik für mich begeistern will, muss ich klare Ziele definieren und den Weg dorthin abstecken. Das ABDA-Leitbild ist – bei aller inhaltlichen Berechtigung – eine absolut unverbindliche Absichtserklärung mit einer Zeitachse bis 2030. Nach anderthalb Jahren gut gemeinter Arbeit ist das Ergebnis vollkommen verfehlt.

ADHOC: Warum trauen sich die Apotheker nicht mehr zu?
STRÖH: Weil noch nicht einmal ein offener Diskurs über die Veränderungen im Apothekenmarkt stattfindet. Es gibt Versandapotheken, es gibt Verbünde – doch es findet keine Debatte darüber statt, wie sich die unterschiedlichen Interessen abbilden lassen. Die ABDA ist in ihrem Elfenbeinturm fast schon eine Parallelstruktur – die übrigens genauso wenig ein Gesicht hat wie viele ihrer anonymen Chat-Kritiker.

ADHOC: Haben Sie sich denn um einen Dialog bemüht?
STRÖH: Ich habe Herrn Schmidt um ein Gespräch gebeten und bis heute keine Antwort erhalten. Das ist schon ein merkwürdiges Verständnis von Standesvertretung. In der Apotheke muss ich mich auch mit kritischen Kunden unterhalten und ihnen zuhören. In der Regel sind das die wertvollsten Kontakte.

ADHOC: Warum bringen Sie sich nicht über Kammer oder Verband ein?
STRÖH: Vor circa 15 Jahren hat der damalige Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes, Hermann S. Keller, mir die Gretchenfrage gestellt: Welchen Hut haben Sie auf – MVDA oder LAV? Heute sind wir zwar ein Stück weiter, aber vielfach ist die ABDA nach wie vor nicht zeitgemäß. Bei 34 Mitgliedsorganisationen reden zu viele Bedenkenträger mit, zu viele Bremser, die alle Projekte gnadenlos verzögern.

ADHOC: Das nennt sich Demokratie.
STRÖH: Ich finde nicht, dass die ABDA die demokratischste aller Strukturen ist. Nehmen Sie den anstehenden Apothekertag: Da sitzen genau jene Vorstände, die überhaupt kein Interesse an einer kritischen Diskussion haben. Was soll das? Solange die ABDA in ihren alten Strukturen verharrt, wird sie die Basis nie für sich gewinnen können.

ADHOC: Also abschaffen?
STRÖH: Auf keinen Fall! Wir brauchen eine starke Standesvertretung. Niemand sollte Interesse an einer Spaltung haben. Aber wir brauchen keinen Dogmatismus, sondern eine offenere Geisteshaltung, um die vielen Herausforderungen bewältigen zu können. Die Ärzte haben eine ruppige Streitkultur und treten trotzdem im großen Ganzen geschlossen auf – erfolgreich übrigens. Wir sollten uns dringend ein Beispiel nehmen.

ADHOC: Welche Rolle soll der MVDA spielen?
STRÖH: Wir sehen uns komplementär zur ABDA als Impulsgeber. Wir sind viel flexibler, um kleine Schritte zu gehen und Sachen einfach einmal auszuprobieren. Die ABDA muss heute auf das langsamste Glied warten. Wenn man dagegen zuließe, dass sich Dinge entwickeln, wäre man als Berufsstand viel handlungsfähiger. Wir wollen das Schnellboot um den großen Tanker sein.

ADHOC: Um dann Erster zu sein.
STRÖH: Wir wollen einen Wettbewerb um Qualität – da spielen wirtschaftliche Motive genauso eine Rolle wie politische. Wir sind aber nicht die wilden Angreifer, die nach Selektivverträgen gieren. Der Kollektivvertrag ist absolut zweckmäßig, wir sehen uns derzeit nicht als Vertragspartner. Wir wissen, wie schnell man im politischen Spiel benutzt wird, und haben keinerlei Ambitionen, beispielsweise im Wirtschaftsministerium über das Honorar zu streiten. Das ist der Job der ABDA.

ADHOC: Mit dem Sie nicht zufrieden sind.
STRÖH: Apotheker können insgesamt viel besser vorankommen, wenn sie gezielt auf verschiedenen Ebenen aktiv sind. Es bleibt ihnen auch gar nichts anderes übrig: Wenn sie ihren Markt nicht weiterentwickeln, wird es irgendwann jemand anderes tun. Bislang haben die Apotheker allzu oft nur reagiert. Sie dürfen sich als Berufsgruppe das Steuer nicht aus der Hand nehmen lassen.

ADHOC: Warum müssen Apotheken sich überhaupt verändern?
STRÖH: Weil sich abzeichnet, dass die Grundversorgung nur noch zum niedrigsten Preis stattfinden darf. Sofern es die wirtschaftliche Lage überhaupt zulässt, werden künftig allenfalls Innovationen gesondert vergütet. Also müssen wir dabei sein.

ADHOC: Die Apotheker sind die einzigen, die die Apotheker dabei haben wollen.
STRÖH: Wir müssen uns eben besser verkaufen. Lobbying ist auch Handwerk, so einfach ist das. Es gibt verschiedene Bereiche, die zu uns passen und obendrein wirtschaftlich attraktiv sind. Medikationsmanagement und Prävention sind keine Raketenwissenschaft. Man muss nur endlich einmal anfangen und Ergebnisse liefern, dann finden sich auch die Wege.

ADHOC: Wie geht das?
STRÖH: Wir haben täglich mehr als vier Millionen Kundenkontakte, wir bedienen 18.600 Rabattverträge und helfen den Kassen dabei, vier Milliarden Euro zu sparen. Mehr Gutmenschentum geht nicht – daraus lässt sich doch eine Story machen. Leider fehlt es auch noch an Persönlichkeiten. Die Apotheker haben keine Galionsfigur, die ABDA zeigt keinen Biss und ihre Kritiker verstecken sich oftmals im Netz hinter Pseudonymen.

ADHOC: Wie ernst ist die Lage?
STRÖH: Es gibt derzeit keine großen politischen Gefahren, aber es braut sich etwas zusammen. Es gab in der Vergangenheit zu viele Versäumnisse. Meist haben wir die Kurve gekriegt, aber diese Nachlässigkeit rächt sich jetzt. Es sind die Kleinigkeiten, die allmählich kumulieren.

ADHOC: Klingt ziemlich düster.
STRÖH: Wir stehen nicht am Abgrund. Noch haben wir die Chance, das Terrain abzustecken und die künftige Entwicklung ohne Hektik selbst zu steuern. Dabei müssen wir auch finanzielle Kompromisse machen, die uns nicht unbedingt gefallen – Stichwort Finanzierung des Notdienstes. Wir müssen den Umklammerungsring durchbrechen. Sonst werden die Folgen mehr als dramatisch sein.

ADHOC: Inwiefern?
STRÖH: Ich habe in meinen 30 Berufsjahren 110 Pharmaziestudenten ausgebildet und muss heute sagen: Wir haben dem Nachwuchs, der heute übrigens viel ethischer geprägt ist als früher, derzeit keine Perspektive zu bieten – weder finanziell noch inhaltlich. Beides hängt unmittelbar zusammen, denn man wird die heilberufliche Seite nicht mit Leben erfüllen können, wenn die wirtschaftliche nicht stimmt. Solange die Honorarfrage nicht gelöst ist, gibt es keinen Spielraum bei den Tarifen der Mitarbeiter; die Absetzbewegung in Richtung Industrie wird sich noch beschleunigen. Wir müssen schleunigst die Kurve kriegen, sonst bekommen wir riesige Probleme – zuerst auf dem Land, dann flächendeckend.

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