Droht Chaos in Apotheken?

AOK-Rabattverträge: Hersteller schließen sich zusammen Patrick Hollstein, 24.08.2023 10:35 Uhr

Die AOKen haben neue Rabattverträge geschlossen – ungeachtet der Lieferengpässe. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Ungeachtet der Lieferengpässe haben die AOKen neue Rabattverträge geschlossen – und zwar für nicht weniger als 109 Wirkstoffe und Kombinationen. Dabei haben sich in mehreren Fällen Hersteller zu Bietergemeinschaften zusammengeschlossen, die eigentlich in einem Wettbewerbsverhältnis stehen. Ob es dadurch ab 1. Februar einfacher für Apothekenteams und Patientinnen und Patienten wird oder komplizierter, darüber gehen die Meinungen noch auseinander.

Seit jeher gehen bei den Rabattverträgen Zuschläge nicht nur an einzelne Hersteller, sondern auch an sogenannte Bietergemeinschaften, die oftmals rechtlich in Gestalt einer GbR auftreten. Allerdings handelt es sich dabei in der Regel um Konzernverbünde: Hexal/1A treten etwa gemeinsam auf, ebenso Ratiopharm/AbZ oder auch Heumann/Heunet. Für die Versorgung spielt das für gewöhnlich keine Rolle, ärgerlich ist mitunter nur, dass die Apotheken erst kurz vor Inkrafttreten erfahren, welche der Schwestermarken tatsächlich abzugeben ist.

Konkurrent als Gemeinschaft

Bei der aktuellen AOK-Ausschreibung treten jedoch bei vier Wirkstoffen auf einmal vollkommen unterschiedliche Hersteller gemeinsam auf.

Fentanyl

  • Aristo + Hexal + Zentiva
  • Aliud/Stada
  • Hennig + Heumann + Viatris + Puren

Formoterol

  • Teva/Ratiopharm + Orion
  • Aliud/Stada
  • Zentiva + Aristo + Viatris

Levetiracetam

  • Amarox
  • Puren
  • Zentiva, Basics (je nach Gebietslos)
  • Heumann + Ever

Morphin

  • Teva/Ratiopharm
  • Heumann/Heunet
  • Ethypharm + Krewel Meuselbach

125 Aufmachungen, 1 Fachlos

Geschuldet sind die ungewöhnlichen Allianzen der Tatsache, dass die AOK – übrigens als einzige Krankenkasse – verschiedene Darreichungsformen in ein Fachlos gesteckt hat. So sind bei Fentanyl sowohl Matrixpflaster als auch Tabletten enthalten – den Wirkstoff gibt es in 125 verschiedenen Aufmachungen, die durch die AOK also zusammen ausgeschrieben wurden. Nicht nur gibt es die Tabletten in vier verschiedenen Wirkstärken und unterschiedlichen Packungsgrößen. Hinzu kommen die Pflaster, die selbst bei identischer Freisetzungsrate eine unterschiedliche Wirkstoffbeladung haben können, sodass sie nicht gegeneinander ausgetauscht werden dürfen. So gibt es 24 verschiedene Stärken (Wirkstärken und Beladungsmenge je Pflaster) – und das dann in verschiedenen Packungsgrößen.

Um alleine zum Zuge kommen zu können, müssten die Hersteller also ein unglaublich komplexes Portfolio anbieten. Manche Varianten haben aber nur einen sehr geringen Absatz, sodass sie für die Unternehmen nicht attraktiv sind. „Und somit ist der Markt sehr zersplittert, jeder hat seine Nische“, sagt Julian-Kai Ellermeier, Leiter Tender Management bei Aristo. „Damit man die Lose der AOK bedienen kann, tun sich hier große Bietergemeinschaften zusammen, weil jeder einzelne keine Chance hätte.“

Schon früher gab es ähnliche Konstellationen, etwa bei Budesonid, wo sich etwa Infectopharm, Chiesi und Meda/Mylan (heute: Viatris) beziehungsweise Orion oder auch Hexal, Aliud und Meda/Mylan zusammengetan hatten, um den Markt bedienen zu können. „Andere Kassen handhaben das anders und splitten die Lose auf, wodurch keine oder kleinere Bietergemeinschaften zusammenkommen“, so Ellermeier.

AOK sieht keine Probleme

Und wie funktioniert nun die Abgabe in der Apotheke? Dürfen alle Produkte abgegeben werden oder kann es passieren, dass je nach Variante oder auch nur Packungsgröße ein anderer Hersteller abgegeben werden muss?

Eine Übersicht, welche PZN bei welchen Wirkstoffen abgegeben werden muss, gibt es nicht. Die federführende AOK Baden-Württemberg sieht auch gar kein Problem: „Da Substitutionshinweise in der Apothekensoftware stets artikel- und keineswegs herstellerbezogen erfolgen, wäre eine Problemargumentation diesbezüglich auch für Marktkenner überraschend.“

Nachfrage also bei einem weiteren „Marktkenner“, der ein Stück weit Entwarnung gibt: Bei der Ausschreibung seien die Beschaffungsbedarfe nach Wirkstoff-Beladungsgruppen geordnet. Die Produkte der Hersteller in der Bietergemeinschaft könnten also zum Schluss nicht allesamt abgegeben werden. „Aber der Austausch erfolgt ausschließlich gegenüber Pflastern mit derselben Beladungsmenge, das macht schon Sinn.“ Auch innerhalb eines Präparates seien alle Dosisstärken und Packungsgrößen drin, so dass der Patient hier keine weitere Umstellung habe.

Umstellung im Februar

Einen Überblick verschaffen können sich die Apotheken aber erst im Januar, wenn die neuen Rabattverträge tatsächlich in die Software eingespielt werden. Und dann drohen womöglich dennoch Diskussionen mit Patientinnen und Patienten oder den Praxen, wenn eine Umstellung erforderlich ist. Aktuell sind etwa bei Fentanyl bundesweit Hexal, Zentiva und Aristo die Vertragspartner der Kasse – zumindest für sie geht es also in die Verlängerung, wobei durch die Umstellung neue Anbieter hinzukommen.

Insgesamt sind 26 Lose im Mehrpartnermodell ausgeschrieben, der große Rest sind Exklusivverträge. Mit dabei sind Wirkstoffe wie Salbutamol, die aktuell von Lieferengpässen betroffen sind. Die neuen Verträge gelten ab Februar und haben eine Laufzeit von zwei Jahren. Allerdings gilt je Kombination aus Fachlos und Gebietslos eine vertraglich vereinbarte Höchstmenge – wird diese vor Ablauf der Vertragslaufzeit erreicht, endet die Vereinbarung.