Studie: AWB manipulieren Ärzte Alexandra Negt, 27.06.2020 09:35 Uhr
Anwendungsbeobachtung (AWB) gehört zum Geschäft der Pharmahersteller. Das Ziel der Datenübermittlung: Bessere Einsichten in die Wirksamkeit. In der Praxis ändert die Vereinbarung zwischen Arzt und Hersteller das Verschreibungsverhalten, denn der Mediziner erhält Geld für die Bearbeitung. Zudem kritisieren Experten, dass die erhobenen Daten unzureichend und demnach wenig zielführend seien. Über eine aktuelle Studie berichtet die Süddeutsche Zeitung (SZ).
Wie hoch der Umfang der Anwendungsbeobachtung (AWB) und die daraus resultierende Entlohnung ist, ist unterschiedlich. Zum Teil müssen nur kurze Fragebögen ausgefüllt werden. Inhaltlich handelt es sich laut Kritikern um eine lückenhafte Datenerhebung weit ab von studienähnlichen Designs. Zu den Kritikern gehört beispielsweise die Transparency, der Organisation sind die AWB seit Längerem ein Dorn im Auge. Denn neben der Datenerhebung würden die Konzerne auch immer das Ziel des geänderten Verschreibungsverhaltens verfolgen: Ärzte sollen stets das gleiche Präparat verordnen. Dass diese Strategie funktioniert und Ärzte in ihrer Therapieauswahl beinflussbar sind, das zeigt jetzt erstmals eine Studie, die im Fachjournal „PLOS Medicine“.
8 Prozent häufiger verordnet
Wissenschaftler von der Uniklinik Freiburg und der Uniklinik Mainz haben untersucht, welche Auswirkungen AWB auf das Verschreibungsverhalten des Arztes haben. Hierzu werteten sie Daten von rund 7000 Ärzten aus. Im Ergebnis verordneten die Mediziner die Arzneimittel, mit denen sie an einer AWB teilnahmen, tatsächlich vermehrt. Demnach verordnen Mediziner, die an einer AWB teilnehmen, das entsprechende Medikament im Durchschnitt um 8 Prozent häufiger, berichten Cora Koch und Klaus Lieb, zwei der Studienautoren.
Befragung mit nachhaltigem Effekt
Pharmakonzerne investieren jährlich mehrere Millionen Euro in die Ausarbeitung solcher Beobachtungsbefragungen, da scheint eine Steigerung um 8 Prozent zunächst wenig, so Lieb gegenüber der SZ. Man müsse jedoch die Gesamtbeträge der Ausgaben für Medikamente in Deutschland betrachten – diese lägen im Milliardenbereich. Demnach gehe es auch bei wenigen Prozent um große Summen. Das interessante: Der Effekt war nachhaltig, so wurde das Arzneimittel, zu dem es die AWB gab, auch ein Jahr nach Beendigung noch um 7 Prozent häufiger verordnet als andere alternative Medikamente. Das könnte natürlich auch an dem Effekt liegen, dass einmal gut eingestellte Patienten bei dem Medikament bleiben. Erhält der Mediziner positive Rückmeldung seiner Patienten, so könnte dieser Effekt zusätzlich zu einer gehäuften Verordnung führen.
AWB häufig aber ungern kommuniziert
Die Studienautoren wollten auch herausfinden, ob diese Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Arzt eine große Rolle spielt und fragten bei einer nicht näher genannten Kassenärztlichen Vereinigung (KV) nach: Demnach fanden 2019 insgesamt 438 AWB zu 358 Medikamenten statt. 18.500 Ärzte waren daran beteiligt – manche von ihnen nahmen an mehreren Befragungen teil und wurden doppelt gezählt. Verhalten die Reaktion der Pharmafirmen auf Anfrage der SZ: Die meisten Konzerne äußern sich nicht zu dem Thema. MSD Sharp & Dohme und Grünenthal betonen, dass AWB „eine wichtige Rolle“ bei der Arzneimittelforschung spielen und „ausschließlich dem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn dienen“. Aus älteren Untersuchungen ist bekannt: 2014 nahm jeder zehnte niedergelassene Arzt an einer AWB teil. Damals erhielten rund 17 .000 Mediziner durchschnittlich 669 Euro pro Patient.
Studienautoren sehen Risiko
Für Koch stellt diese Art der Kommunikation zwischen Hersteller und Arzt auch ein Risiko für den Patienten dar, da falsche Anreize geschaffen werden. „Die größte Gefahr sehen wir darin, dass neue und teure Medikamente, mit denen weniger Erfahrungen vorliegen und die möglicherweise noch unbekannte Nebenwirkungen haben, statt älterer, bekannter Medikamente verschrieben werden und damit Patienten schaden könnten“, sagte sie gegenüber der SZ. Auch Koch, der Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ist, sieht die Datenerhebungen kritisch: „Die AWB sind häufig von schlechter Qualität.“ Er geht noch einen Schritt weiter: „Die Anwendungsbeobachtungen gehören jetzt definitiv endlich abgeschafft.“
AWB sind meldepflichtig
AWB werden meistens nach der Zulassung eines Medikamentes durchgeführt und gelten schon länger als potenzielles Einfallstor für Schmiergeldzahlungen. Daher sind die Hersteller beziehungsweise die von ihnen beauftragten Forschungsinstitute verpflichtet, alle AWB nicht nur gegenüber dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), sondern auch dem GKV-Spitzenverband und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) anzuzeigen. Dabei müssen laut Arzneimittelgesetz (AMG) unter anderem Ort, Zeit, Ziel und Beobachtungsplan sowie die teilnehmenden Ärzte und die Art und Höhe der an sie gezahlten Honorare gemeldet werden. Der KBV müssen sogar die die mit den Ärzten geschlossenen Verträge übermittelt werden.