Antivertiginosa

Barmer macht Stimmung gegen Arlevert Patrick Hollstein, 17.10.2016 10:18 Uhr

Berlin - 

Wenn Patente fallen, purzeln die Preise. Den Krankenkassen kann es oft gar nicht schnell genug gehen; sie überbrücken die Zeit bis zur nächsten Ausschreibung mit Open-house-Verträgen. Bei Arlevert ist die Barmer GEK über das Ziel hinaus geschossen.

Mitte September schrieb die Kasse gezielt Ärzte an, die häufig Arlevert verordnen. Unter dem Betreff „Neu! Das erste Generikum“ informierte Detlef Böhler, Leiter Arzneimittel bei der Barmer, die Mediziner über die Markteinführung von „Vertigo Vomex plus Cinnarizin“.

Das Klinge-Produkt sei „das erste und wirtschaftliche Generikum“ zu Arlevert. Bei komplettem Austausch könne die Barmer rund 223.000 Euro pro Jahr sparen. Neben dem rund 10 Prozent niedrigeren Preis wurden die Einsparungen aus dem gerade gestarteten Open-house-Vertrag mit Klinge berücksichtigt.

„Im Rahmen Ihrer uneingeschränkten Therapie-Freiheit möchten wir Sie bitten, in Zukunft Vertigo Vomex plus Cinnarizin 40 mg/20 mg Tabl. aufgrund der wirtschaftlichen Vorteile zu berücksichtigen. Für Ihre Unterstützung der Wirtschaftlichkeits-Initiative der Barmer GEK bedanken wir uns sehr herzlich und stehen Ihnen selbstverständlich gerne für Fragen zur Verfügung.“

Bei Hennig fiel man aus allen Wolken. Mitte August habe man sich über einen Beitritt zum Vertrag rechtzeitig zum 1. September erkundigt, doch die Kasse habe abgelehnt, berichtet ein Sprecher. Auch der 15. September sei nach Auskunft der Sachbearbeiter nicht möglich gewesen. So trat Hennig mit Arlevert zum 1. Oktober bei.

„Als Herr Böhler sein Schreiben verschickte, muss ihm nicht nur klar gewesen sein, dass zwei Wochen später auch ein Vertrag mit uns existieren würde“, so der Sprecher. „Er muss auch gewusst haben, dass seine Kasse es war, die uns einen früheren Beitritt unmöglich gemacht hat.“

Bei Hennig kann man nicht nachvollziehen, warum die Kasse mit ihrem „sehr ungewöhnlichen Schreiben“ ohne Not die Ärzte verunsichert. In Flörsheim schätzt man, dass zwischen 20.000 und 40.000 Praxen postalisch informiert wurden, und sah sich genötigt, den Sachverhalt mit einem eigenen Schreiben richtig zu stellen.

Es gebe keinen Grund, von einer Arlevert-Verordnung Abstand zu nehmen, versicherte Geschäftsführer Dr. Kai Schleenhain. „Sichern Sie sich Ihre Therapiehoheit, indem Sie ab jetzt auch bei Arlevert das Aut-idem-Kreuz setzen. Die von uns geschlossenen Rabattverträge bedeuten für Sie, dass Verordnungen von Arlevert bei den Krankenkassen automatisch wirtschaftlich sind.“

Entsprechende Rezepte dürfen laut Schleenhain daher nicht zu einem Regress führen. „Warum also sollten Sie nun ein bisher unbekanntes Produkt verordnen?“ Das Schreiben endet mit der freundlichen Aufforderung: „Bleiben Sie uns treu!“

Bei der Barmer kann man die Aufregung nicht verstehen: Als Krankenkasse sei man laut Sozialgesetzbuch (SGB V) ausdrücklich dazu verpflichtet, die Ärzte zu informieren, wenn neue, vergleichbare Arzneimittel zu einem Präparat auf den Markt kommen. „Da im August absehbar war, dass es in wenigen Wochen das erste Generikum zu Arlevert geben würde, war ein Informationsschreiben unumgänglich“, sagt ein Sprecher. Dabei handele es sich um einen routinemäßigen Vorgang: Die Barmer informiere die Mediziner auch zu anderen Generika, die neu auf den Markt kämen.

„Mit unserem Schreiben ging es uns in keiner Weise darum, Ärzte zu verwirren. Ganz im Gegenteil, im Sinne einer bestmöglichen medizinischen Versorgung der Patientinnen und Patienten wollen wir über neue Sachstände zum Angebot an Arzneimitteln aufklären.“ Dazu habe man gezielt etwa 2500 Mediziner angeschrieben, die im vergangenen Jahr mehrfach Arlevert verordnet hätten. „Die Kosten hierfür bezogen sich hauptsächlich auf das Briefporto und lagen damit im sehr niedrigen vierstelligen Bereich.“

Man habe das Schreiben im Sommer aufgesetzt, da der Hersteller von Arlevert zu diesem Zeitpunkt kein Rabattpartner gewesen sei und zugleich ein Generikum kurz vor der Markteinführung gestanden habe.

Arlevert wird pro Jahr rund 740.000 Mal verordnet; aktuell hat das Konkurrenzprodukt von Klinge einen Marktanteil von rund 7 Prozent. Untern den Antivertiginosa haben Antihistaminika laut Arzneiverordnungsreport einen Anteil von 21 Prozent; hier entfallen 70 Prozent auf das Hennig-Produkt. 78 Prozent aller Verordnungen entfallen dagegen auf das Analogon Betahistin; hier hält Hennig mit Betavert knapp 20 Prozent. Wichtige Mitbewerber sind Stada/Aliud und Vasomotal Abbott/Mylan.