Bei Prio One wählen Patientinnen ihr Antibiotikum per Klick selbst aus – ohne echten Arztbesuch, dafür mit Aufpreis. Die Plattform verkauft das Präparat plus Behandlungsgebühr deutlich über dem Festpreis. Da der Fragebogen ohne Warte- oder Ladezeiten direkt zur Bezahlung führt, bleiben noch ganz andere Fragen offen: Wo werden Ärzt:innen im Bestellprozess überhaupt eingebunden? Und wo ist das ausgestellte Rezept?
„Rezept & Antibiotika Online – Blasenentzündung online behandeln“, lautet das Motto von Prio One. Das Unternehmen verspricht, dass Erkrankte innerhalb von fünf Minuten eine Antibiotikum-Verordnung erhalten können, ganz ohne Wartezeit und Termin. Für eine Behandlungsgebühr von 18,99 Euro zuzüglich Medikament wird angeblich ein Rezept ausgestellt. Geliefert wird am nächsten Werktag, wenn die Bestellung vor 14 Uhr eingeht.
In der Theorie basiert die Rezepterstellung auf drei Schritten: Zunächst füllen Käuferinnen online einen medizinischen Fragebogen aus, in dem die Symptome und der allgemeine Gesundheitszustand abgefragt werden. So will Prio One überprüfen, ob ein Antibiotikum für die Behandlung geeignet ist. Anschließend analysiert eine Partnerärztin oder ein Partnerarzt die Angaben und stellt ein Rezept aus. Das Medikament wird dann direkt nach Hause geliefert. Zusätzlich erhält die Käuferin per E-Mail einen Trackinglink, mit dem die Lieferung nachverfolgt werden kann.
Mit einem Klick werden Interessierte zu einer Erhebung weitergeleitet: Bis zu 21 Fragen gilt es hier zu beantworten. Laut Prio One wurde der Fragebogen „mit erfahrenen, praktizierenden und forschenden Gynäkologinnen und Gynäkologen entwickelt“ und zielt darauf ab, relevante Informationen zu prüfen und Kontraindikationen auszuschließen.
Die Plattform fragt zu Beginn nach dem Geschlecht und lässt nur weibliche Personen weiterklicken. Danach folgen Fragen zu typischen Symptomen wie etwa häufigem Wasserlassen. „Du könntest eine chronische Blasenentzündung haben“, meint Prio One bei Übereinstimmungen zum Krankheitsbild. „Übliche Antibiotika wirken oft nicht, und eine individuelle Behandlung sowie die Abklärung von Ursachen ist wichtig. Um Komplikationen zu vermeiden, solltest Du einen Gynäkologen oder Urologen aufsuchen.“ Klickt man das Kästchen mit „Verstanden und trotzdem Fortfahren“ an, läuft die Befragung einfach weiter.
Anschließend ist ein Urinstix-Test erforderlich, dessen Ergebnisse jedoch ohne Nachweis eingegeben werden können. Auch weitere Symptome und Ausschlusskriterien wie Flankenschmerzen, Fieber oder Allergien können so beantwortet werden. Mit den richtigen Antworten erhält man letztlich das Rezept für das Präparat.
Missbrauch will die Plattform eigentlich durch ein dreistufiges Sicherheitskonzept verhindern. Automatisierte Prüfungen sollen auffälliges Verhalten wie ungewöhnliche Bestellmuster erkennen, ergänzt durch manuelle Überprüfungen durch Expertinnen und Experten. Dennoch können Interessierte nach Herzenslust ausprobieren, mit welchen Antwortmöglichkeiten der Fragebogen erfolgreich durchlaufen werden kann – ohne aus dem Vorgang geworfen zu werden. „Über unsere AGB verpflichten wir die Nutzenden zu wahrheitsgemäßen Angaben, deren Verletzung zum Ausschluss von unserem Service führt“, stellt die Plattform klar.
Darüber hinaus erklärt Prio One, dass bewusste Falschangaben einen Missbrauch darstellen. Dass es „in Ausnahmefällen“ dennoch zu Manipulationen kommen könne, ließe sich zwar „nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen“. Es „unterscheidet sich in dieser Hinsicht aber auch nicht vom analogen Behandlungsverhältnis, in dem es ebenfalls zu bewussten Falschangaben kommt, etwa um eine Krankschreibung oder eine Wunschverordnung zu erlangen.“ Bei verdächtigem Verhalten oder Kenntnis will Prio One betroffene Bestellungen stornieren und die Nutzerinnen Sperren, versichert das Unternehmen.
Nach dem Fragekatalog müssen Interessierte Name und Geburtsdatum angeben und bestätigen, keine falschen Angaben gemacht zu haben, das Medikament persönlich zu verwenden und die Packungsbeilage zu lesen. Prio One warnt: „Unsere Ärzte prüfen Deine Angaben manuell. Bei neuen Symptomen wie Schüttelfrost, Fieber, Erbrechen oder Flankenschmerzen suche bitte sofort einen Arzt auf.“ Anschließend heißt es: „Im nächsten Schritt kannst Du ein passendes Antibiotikum wählen.
Nicht Ärzt:innen, sondern die Patientin selbst sucht sich bei Prio One ihr Antibiotikum aus. Es stehen Fosfomycin Aristo und Fosfomycin-Uropharm zur Auswahl. Im Auswahlbildschirm sind dann aber keine weiteren Informationen verfügbar, die Verpackung wird klein angezeigt, der Schachtelaufdruck ist kaum lesbar. Die Patientin muss sich die Dosierempfehlung selbst erarbeiten, indem sie – wie versprochen – die Packungsbeilage gründlich studiert.
Mit einem Klick auf „weiter“ wird Mannose und Urinstix als Zusatzverkauf angeboten, und das Produkt landet nahtlos im Warenkorb. Bis dahin scheint weder ein E-Rezept erstellt noch eine ärztliche Prüfung erfolgt, da weder Einblendungen noch Ladezeiten auftreten. Prio One erklärt: „Die Angaben der Nutzenden werden medizinisch von unabhängigen sowie in der EU zugelassenen und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten gründlich geprüft und erfolgt vor Ausstellung des Rezepts. Wenn gesundheitliche Bedenken bestehen, wird das Rezept nicht verordnet.“
Der nahtlose Bestellprozess resultiere aus „der hohen Effizienz unseres Systems, das diese Schritte optimiert“. Einblick ins Rezept sei möglich, jedoch „in der Regel weder gewünscht noch erforderlich, da die Übertragung an eine Wunschapotheke QES-signiert und verschlüsselt per E-Mail direkt durch das System durchgeführt wird.“
Die Bezahlung ist folglich ohne weitere Ladezeiten möglich. Neben der Behandlungsgebühr wird der Preis für Fosfomycin angezeigt: Für Fosfomycin Aristo verlangt Prio One 30,30 Euro statt der apothekenüblichen 17,30 Euro. Das E-Rezept ohne Belieferung kostet 34,90 Euro. Zur Preisgestaltung erklärt Prio One: „Die von uns angebotenen Antibiotika werden ausschließlich von Apotheken bereitgestellt, die an unsere Plattform angebunden sind. Diese Apotheken sind für die Preisgestaltung der Arzneimittel verantwortlich. Als Plattform selbst nehmen wir keinen Einfluss auf die Preise der angebotenen Medikamente.“