Angreifer auf das Apothekensortiment Patrick Hollstein, 29.02.2016 08:00 Uhr
Ein Fleischer, ein Friseur und zwei Drogisten krempelten in den vergangenen 50 Jahren die deutsche Drogeriebranche um. Aus Fachgeschäften wurden Filialmärkte, Giftschränke wurden durch Leuchtregale mit Pflegeprodukten ersetzt. In den vergangenen Jahren wurde allenorts mit apothekenexklusiver Ware experimentiert. Auch wenn sich der Marktführer dm vorerst zurückzieht – die Begehrlichkeiten bleiben. Ein Archivbeitrag vom 29. Februar 2016.
Anton Schlecker startete 1967 zunächst als SB-Warenhaus am Stadtrand von Ehingen. Als der Metzgermeister acht Jahre später in Kirchheim unter Teck schließlich seinen ersten Drogeriemarkt eröffnete, hatten seine späteren Konkurrenten längst Fuß gefasst: Dirk Rossmann eröffnete 1972 in Hannover den „Markt für Drogeriewaren“. dm-Chef Götz Werner gründete ein Jahr später – nach der Pleite der elterlichen Drogerie in Heidelberg und einer Vor-Ort-Inspektion des Rossmann-Konzepts – sein erstes eigenes Geschäft in Karlsruhe.
Friseurmeister Erwin Franz Müller verkaufte sogar schon 1966 in seinem Haarsalon in Ulm Parfümerie-, Kosmetik- und Drogerieartikel. Zwei Jahre später eröffnete er als Konzessionär von Wertkauf einen „Friseursalon mit Drogerie“ in München. Ab 1973 hängte Müller die Schere komplett an den Nagel.
Der Wegfall der Preisbindung für Drogerieartikel im Jahr 1974 markierte den eigentlichen Startschuss der Drogeriemarktketten. Man kam sich kaum in die Quere, dm und Rossmann kauften zunächst sogar gemeinsam ein. Erst mit der Übernahme der Kaiser's Drogeriemärkte durch Rossmann im Jahr 2003 begannen sich die Gebiete zu überschneiden. Schlecker öffnete 1977 die 100. Filiale, dm ein Jahr später, Rossmann 1982. Die internationale Expansion begann in den 1990er Jahren.
2008 brachte es Schlecker europaweit auf mehr als 14.155 Filialen – davon 10.650 in Deutschland. Rund 50.000 Mitarbeiter erwirtschafteten einen Jahresumsatz von 7,42 Milliarden Euro. Im Jahr zuvor hatte der Branchenprimus noch die Drogerieketten drospa und „Ihr Platz“ mit rund 600 Geschäften übernommen.
Doch der Konzernchef hatte es versäumt, seine Filialen an die Bedürfnisse der Kunden anzupassen. Erstmals gab es damals rote Zahlen; die Gegenoffensive mit XL-Filialen und einem neuen Management kam zu spät. Am 23. Januar 2012 musste Schlecker als eingetragener Kaufmann Insolvenz anmelden. Der Konzern wurde weniger Monate später zerschlagen.
dm, Rossmann, Müller und Budnikowski aus Hamburg sind gut 50 Jahre nach ihrer Gründung immer noch überwiegend in Familienbesitz. Rossmann und dm hatten sich für ihre Expansion Partner und Geldgeber gesucht: Werner holte sich 1974 den damaligen Inhaber des Karlsruher Lebensmittelfilialisten Pfannkuch, Günther Lehmann, als Geldgeber an Bord. Heute hält Lehmann die Hälfte der Anteile, Werner hat seine Anteile in eine Stiftung eingebracht.
Weil sich die Kompagnons seitdem angeblich nicht mehr viel zu sagen haben, nahm der Firmengründer 1978 für die Expansion nach Österreich statt Lehmann seinen früherer Ruderpartner Günter Bauer mit ins Boot. Das Osteuropa-Geschäft wird seitdem in der Günter-Bauer-Straße 1 in Salzburg koordiniert. Neben dem deutschen Mutterkonzern und Bauer ist die Handelsgruppe Spar beteiligt.
An Rossmann ist seit 2003 der Hongkonger Handelskonzern A.S. Watson mit 40 Prozent beteiligt. Dessen Mutterkonzern Hutchison Whampoa, der rund ein Drittel der Marktkapitalisierung der Hongkonger Börse ausmacht und mehrheitlich im Besitz des Milliardärs Li Ka-shing ist, hatte zuvor die niederländische Drogeriegruppe Kruidvat gekauft, der wiederum ihre Rossmann-Anteile zuvor von Hannover Finanz übernommen hatte.
Auf Apothekenprodukte hatten es auf verschiedene Art alle Drogerieketten abgesehen: Schlecker verkaufte im Webshop nicht nur Produkte, die es „auch in der Apotheke“ gab. Der Konzern betrieb Pick-up-Stellen mit der hauseigenen Versandapotheke Vitalsana; unter der Marke gab es auch Eigenmarken. Nach der Pleite des Konzerns übernahm das Management; später kaufte Zur Rose den Mitbewerber.
dm hatte gemeinsam mit der Europa Apotheek Venlo (EAV) Pick-up überhaupt erst durchgeboxt, der Fall ging bis vor das Bundesverwaltungsgericht. Anfang 2013 löste Zur Rose die „Apo im dm“ ab; in den Päckchen der Versandapotheke tauchten die dm-Eigenmarken auf, in den Filialen der Drogierkette prangte das Apotheken-A. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) wehrte sich juristisch erfolgreich gegen dei Nutzung.
Müller kooperierte ab 2009 mit Mycare, bevor Anfang 2012 Volksversand an Bord kam. Doch schon wenige Monate später stellte die Versandapotheke ihren Betrieb ein und meldete Insolvenz an. Seit 2011 waren immer wieder Apothekenprodukte in den Regalen der Drogerie aufgetaucht. 2010 hatte die Kette sogar einen Vorstoß in den OTC-Bereich unternommen. Bei Rossmann löste DocMorris 2011 die Deutsche Internet Apotheke ab, bereits ein Jahr zuvor war das Gesundheitsregal mit Apothekenprodukten installiert worden. Budni kooperiert mit Partnerapotheken, die unter demselben Namen auftreten. Nach Ärger mit den Pharmazeuten hatte die Kette in Hamburg sogar Apothekenexklusives aus dem Regal genommen.
Archivbeitrag vom 29.2.2016