„Absurde Rabatte“ und Knebelverträge

Angezeigt von Apothekern: Kartellbehörde ermittelt gegen McKesson

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Berlin -

Die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) ermittelt gegen Herba Chemosan und seinen Mutterkonzern McKesson Europe. Der Großhändler wurde offenbar von seinen eigenen Kunden angezeigt: Eine Gruppe von Apotheken und „Unternehmen aus dem Pharmahandelsbereich“, die nach eigenen Angaben wirtschaftlich abhängig von McKesson sind, haben bei der BWB eine Beschwerde eingereicht, die APOTHEKE ADHOC vorliegt. Darin werfen sie dem Branchenprimus ein schmutziges Spiel vor: Er stehe an der Spitze eines Großhandelskartells, das durch künstlich erzeugte Lieferengpässe die Preise hochtreibe, um dann die Apotheken mit „absurden Rabatten“ an sich zu binden. Vorstandschef Dr. Andreas Windischbauer ist dabei auch persönlich im Fadenkreuz der Kartellwächter.

Die Rollenaufteilung zwischen Herstellern, Großhändlern und Apotheken besteht in Österreich nicht mehr – das beklagen zumindest Marktteilnehmer gegenüber der Wettbewerbsbehörde. Die wollen im Dunkeln bleiben, weil sie nach eigenen Angaben selbst wider Willen Teil des Systems und von Herba Chemosan abhängig sind. Dessen Mutterkonzern McKesson hat der Beschwerde zufolge nämlich alle Register des unlauteren Wettbewerbs gezogen: „Eine Vermischung dieser Rollen, eine horizontale wie vertikale Marktbeherrschung der Pharmagroßhändler über zahlreiche Handelsgesellschaften und Apotheken-Beteiligungen sowie der Arbitrage-Handel zwischen den Ländern stellen die Situation dar“, so die Beschwerde.

Dass sich die Apothekerschaft in der Alpenrepublik an der Macht der Großhändler stört, ist nicht neu: Zwar ist auch in Österreich der Fremdbesitz verboten, allerdings sind Beteiligungen bis zu 49 Prozent erlaubt. Apotheken mit Großhandelsbeteiligung werden dann als KG betrieben: Der Apotheker haftet als Komplementär, der Investor ist als Kommanditist am Kapital beteiligt. Viele Inhaber stören sich, offen oder verdeckt, schon seit längerem an den Darlehen, Bürgschaften sowie Liefer- und Beraterverträgen, mit denen die Großhändler versuchen, die Apotheken langfristig an sich zu binden.

Und nicht nur das: Vielerorts sehen sich Großhändler dem Vorwurf ausgesetzt, über Stohmannkonstruktionen die wahre Macht in den Betrieben zu haben: Denn bis zu zehn Jahre nach Übernahme dürfen Investoren sogar 75 Prozent der Anteile halten. Der österreichische Apothekerverband beklagt Fälle, in denen kurz vor Ablauf der zehn Jahre der Inhaber wechselte – der Großhändler aber derselbe blieb.

An dieser Praxis ist Herba Chemosan der Beschwerde zufolge über ein Netz an Tochtergesellschaften massiv beteiligt: Die Beteiligungsgesellschaft Admenta – die 2008 auch hierzulande im Vorgriff auf das EuGH-Urteil schon Kaufverträge mit Apothekern schloss – ist mit geringen Anteilen von 2600 bis 7500 Euro als Kommandantist in elf Apotheken vertreten. 34 weitere Apotheken hat die ehemalige Genossenschaft über die Tochterfirma HC an sich gebunden. Hier liegen die Anteile zwischen gerade einmal 1000 und bis zu 90.000 Euro – bewegen sich aber ebenfalls zumeist im niedrigen vierstelligen Bereich. Aber auch direkt ist Herba Chemosan der Schrift zufolge an sechs Apotheken beteiligt – mit Anteilen zwischen 145,35 Euro und 49.000 Euro.

Hinzu komme ein schwer durchschaubares Netz aus zahlreichen persönlichen Beteiligungen der Vorstände in verschiedenen Gesellschaften. So sei Windischbauer, der das Unternehmen gemeinsam mit Dr. Andreas Janka und Maximilian von Künsberg Sarre führt, auch als natürliche Person Kommandantist an mehreren Apotheken sowie Gesellschafter der Firma Mediclass. „Warum ein Vorstand eines Milliardenumsatz-Unternehmens nebenher noch an mehreren Apotheken beteiligt ist oder diese sogar als natürliche Person führt, die nicht zum Konzern zu gehören scheinen, erschließt sich uns nicht auf den ersten Blick“, so die Beschwerdeführer. „Dass sich daraus unabhängig von den kartellrechtlichen Untersuchungen eine ganze Reihe an Interessenkonflikten mit der Vorstandstätigkeit für die Herba ergeben könnte, ist wohl auch für McKesson Europe interessant.“

Die Beschwerdeführer zeichnen das Bild einer verschworenen Gemeinschaft zum Zweck der gegenseitigen Bereicherung. Denn die persönlichen Beteiligungen hätten einerseits den Vorteil, „dass damit zum Teil die Einflussnahmen gestärkt werden, weiter Boni steuerlich vergeben werden können und drittens eine starke Bindung der einzelnen Personen an das Gesamtsystem erfolgt, sodass diese mit dem System so verwoben sind, dass ein Ausstieg oder ein Aufzeigen von Marktmissbrauch immer auch gleich den eigenen persönlichen Ruin zur Folge hätte und somit sehr stark auch ein Abhängigkeitsnetz gebildet wird“.

Die säuberlich aufgeführten und rechtlich nicht zu beanstandenden Beteiligungen sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs. „Von dieser Übersicht jedoch nicht erfasst sind die große Masse der Apotheken, die mit den Beschwerdegegnern (welche als ‚Finanzierungspartner‘ agieren) langjährige Knebel-Lieferverträge abschließen müssen, um überhaupt Zugang zum Warensortiment zu erhalten.“ Denn das habe System: Herba Chemosan und seine mutmaßlichen Kartellpartner würden nämlich in zwei Schritten vorgehen: Erst legen die Mutterkonzerne – konkret McKesson Europe – Länderkontingente an Arzneimitteln fest, und zwar stets unterhalb der bestehenden Nachfrage. Den derart künstlich verknappten Markt würden sie dann als Hebel nutzen, die Apotheken an sich zu binden.

Denn in einem zweiten Schritt, so der Vorwurf, werden die Apotheken über „limitierte Preis- und selbst hergestellte Zutrittshürden“ vertraglich geknebelt: Die Preise werden hochgetrieben und ein gewinnbringendes Wirtschaften nur dann möglich, wenn eine langfristige Bindung zu den Kartellgroßhändlern eingegangen wird. Deren Instrument: „absurde Rabatt-Aktionen“, bei denen sie den Apotheken 50 bis 90 Prozent Nachlass gewähren. Als Beleg liegen der Beschwerde Screenshots solcher Rabatte bei: „Antibiotika-Aktionen“ mit 50 Prozent Nachlass sind da beispielsweise dokumentiert, aber auch 50 Prozent auf Antidepressiva oder eine 60-Prozent-Rabattaktion beim Cholesterinsenker Ezetimib.

Die Preis- und Lieferbedingungen würden einen Marktzugang also nahezu unmöglich machen, wenn man sich nicht fest an einen Großhändler bindet. Der wiederum nutze seine Preis- und Rabattbedingungen missbräuchlich zur Preissteuerung und insbesondere zur Kontrolle der Vertriebswege. „In der Außenwirkung entsteht dann der Eindruck, es herrsche ein solch harter Kostendruck, Preiskampf oder Wettbewerb beziehungsweise der Eindruck, eine Apotheke ließe sich gar nicht gewinnbringend führen; tatsächlich ist das aber falsch, denn erst die künstliche Verknappung in Verbindung mit Knebelverträgen durch die Beschwerdegegener führt zu dieser Situation.“

Die in der Beschwerde aufgeführten Beispiele sind nicht mehr als Beispiele – die Dunkelziffer an Knebelverträgen, Treuhandschaften und dergleichen liege weitaus höher und könne nur durch Maßnahmen der BWB wie Hausdurchsuchungen festgestellt werden. Die hat tatsächlich bereits Ermittlungen gegen Herba Chemosan aufgenommen, wie eine Sprecherin auf Anfrage bestätigt: „Die Ermittlungen laufen und aus ermittlungstaktischen Gründen können wir uns nicht weiter zu dem Fall äußern.“ Hoffnungen auf Ergebnisse in naher Zukunft macht die Behörde allerdings nicht. Denn im Moment frisst die Coronakrise auch dort die Kapazitäten: Absolute Priorität habe im Moment die Kontrolle der Einhaltung des Wettbewerbsrechts bei der Beschaffung von Schutzausrüstung, so die BWB.

Und Kapazitäten könnten gebraucht werden. Denn die Beschwerde bezieht sich nicht ausschließlich auf die ehemalige Genossenschaft Herba Chemosan, die zwar Geschäftsbeziehungen zu 89 Prozent der österreichischen Apotheken hat, ein solches Modell aber bei einem Marktanteil von 43 Prozent nur schwer allein durchsetzen könnte. Vielmehr werfen die Beschwerdeführer der McKesson-Tochter vor, Teil eines Großhändlerkartells zu sein. Es bestehe der begründete Verdacht, dass sich die sechs größten Unternehmen – neben Herba Chemosan sind das Jacoby GM, Kwizda, Pharmosan, Richter und Phoenix – den Markt untereinander aufteilen, indem sie Preise und Rabatte untereinander absprechen.

Dazu hätten sie mutmaßlich auch ein Forum: die Firma Datacare, eine gemeinsame Tochtergesellschaft jener sechs Unternehmen zur Datenpflege des Großhandels. Die Beschwerdeführer vermuten darin allerdings einen Vorwand, denn „es besteht der begründete Verdacht, dass die beteiligten Unternehmen die Daten der Gesellschaft für ein gemeinsames kartellrechtswidriges Vorgehen dahingehend nutzen, sich mittels Sichtbarkeit der Warenströme, des Absatzes und der Preispolitik den Markt aufzuteilen und auf dieser Ebene kartellrechtswidrige Absprachen treffen“.

Herba Chemosan selbst will sich zu den Vorwürfen gegen das Unternehmen auf Anfrage nicht äußern: „Da wir von der Bundeswettbewerbsbehörde bis jetzt nicht kontaktiert worden sind, kennen wir den Inhalt der Beschwerde nicht und können daher auch nicht Stellung beziehen“, so ein Sprecher.

Dass die Kartell-Vermutung nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, wollen die Beschwerdeführer der BWB aufzeigen, indem sie auf deren eigenes Gutachten verweisen. 2018 hatte die Behörde nämlich die Großhandelsbranche unter die Lupe genommen und dort bereits selbst arge Missstände kritisiert: Demnach verfügen allein die drei stärksten Unternehmen über einen Marktanteil von 75 bis 85 Prozent.

Problematisch sei jedoch vor allem der Anteil der Großhändler am Umsatz der öffentlichen Apotheken: Ein Kartellgerichtsurteil hat dabei bereits 2003 eine kritische Grenze von 3 Prozent Anteil am Gesamtumsatz aller öffentlichen Apotheken im Land festgelegt – ab da sei der Einfluss des Großhandels wettbewerbsrechtlich problematisch. Bereits vor zwei Jahren befand die BWB, dass der diese 3-Prozent-Hürde überschritten habe und kritisierte ähnliche Praktiken wie nun die Beschwerdeführer. Zumeist würden 50 bis 90 Prozent des Gesamtbedarfs einer Apotheke bei nicht kündbaren Vertragslaufzeiten von 10 bis 15 Jahren von einem einzigen Großhändler bezogen, inklusive Mindestabsatz.

Durch diese vertraglichen Vereinbarungen werde über die Beteiligungen hinaus ein massiver Einfluss auf das Bestellverhalten der Apotheken ausgeübt, befand die BWB: „Anhand der im Rahmen der Branchenuntersuchung erhobenen Informationen kann davon ausgegangen werden, dass sich der Anteil dieser den Einfluss stärkenden Warenbezugsvereinbarungen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Apotheken bereits im Bereich von 20 bis 30 Prozent bewegt.“

Aus Sicht der Beschwerdeführer ist nun vor allem jene 3-Prozent-Grenze bereits um ein mehrfaches überschritten. Auf die 1370 Apotheken in Österreich gerechnet, liege nämlich allein Herba Chemosan mit seinen direkten und indirekten Beteiligungen über die Tochterfirma HC bereits bei 2,91 Prozent. Rechnet man die Apotheken von Admenta hinzu, kommen man auf über 3,6 Prozent – und das ist nur das Umfeld der McKesson-Töchter. Daraus ergebe sich auch der Grund für das komplexe Beteiligungs- und Firmennetz, konstatieren die Beschwerdeführer: „Das gesellschaftsrechtliche Verschachteln dieses Umstandes zeigt, dass man sich bei der Herba sehr genau darüber im Klaren ist, was man tut.“

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