Pillen, Pampers und Parfüms Patrick Hollstein, 06.07.2015 15:20 Uhr
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien gibt es einen starken pharmazeutischen Mittelstand. Angelini ist ein Beispiel für jene inhabergeführten Unternehmen, die sich gegen Großkonzerne behaupten und sogar selbst exportieren. Dabei machen Arzneimittel nur einen Teil des Geschäfts aus: Das Unternehmen aus Rom ist ein klassischer Gemischtwarenladen.
1919 gründet Francesco Angelini in Ancona eine kleine pharmazeutische Fabrik, die er 1940 ausbaut. Nach dem Krieg ist er mit dem richtigen Produkt zur Stelle: Er importiert das erste B12-Produkt nach Italien, das er unter dem Handelsnamen Dobetin auf den Markt bringt. Weil Anämien damals sehr verbreitet sind, findet das Mittel reißenden Absatz.
Gemeinsam mit seinem Sohn Igino verlegt er in den 1950er Jahren den Firmensitz nach Rom. 1958 steigt er mit der neu gegründeten Tochterfirma Fater in die Konsumgüterbranche ein. Im selben Jahr kommt Tachipirina auf den Markt – bis heute gehört das Paracetamol-haltige Erkältungsmittel zu den Top 3 im italienischen OTC-Markt.
1964 stirbt der Firmengründer, sein Sohn übernimmt die Leitung des Unternehmens. Zu dieser Zeit gelingen die firmeneigenen Labore die ersten Produktentwicklungen: Der Hustenstiller Oxolamin kommt im Original von Angelini, genauso wie das Antidepressivum Trazodon, der als Glaukommittel verwendete Alphaantagonist Dapiprazol und der Entzündungshemmer Benzydamin, der unter dem Handelsnamen Tantum verde auch in Deutschland erhältlich ist.
Als Ibuprofen 1984 in Großbritannien aus der Rezeptpflicht entlassen wird, erkennt Angelini das Potenzial: Ein Jahr später kommt unter der Handelsmarke Moment eine Varianten für die Selbstmedikation auf den Markt, die bis heute erfolgreich ist.Parallel beginnt die internationale Expansion: Angelini kauft Pharmafirmen in Spanien (1979), Portugal (2000) und Indien (2004). Die Vertriebspartner in Österreich/Osteuropa und Griechenland werden 2007 und 2008 übernommen. Auch in den USA, in Pakistan und in der Türkei ist das Unternehmen aktiv. Insgesamt gibt es Niederlassungen in 17 Ländern; der Auslandsanteil liegt heute bei 50 Prozent.
Allerdings macht die Pharmasparte nur die Hälfte des Gesamtumsatzes von 1,4 Milliarden Euro aus. 1993 gelingt Angelini ein Meistercoup: Der italienische Hersteller holt bei seiner Tochterfirma Fater den US-Konsumgüterkonzern Procter & Gamble (P&G) an Bord. Das Joint Venture ist mit P&G-Marken wie Pampers Marktführer in dem Bereich.
Nicht nur die Produkte selbst, sondern auch der Herstellungsprozess wird vermarktet: 1975 stellt Angelini die maschinelle und computergestützte Produktion von Damenbinden vor; noch heute ist die Tochterfirma Fameccianica weltweit führend in der Planung, Konstruktion und Installation von integrierten Produktionslinien für die Sanitärindustrie.
Abseits des Pharma- und Konsumgütergeschäfts steigt der Hersteller 1993 auch in die Lebensmittelbranche ein und kauft Weingute. Jährlich werden heute 1,5 Millionen Flaschen abgefüllt. Auch Öle und gepökeltes Fleisch gehören zum Sortiment.
Kurz darauf wird mit der Herstellung und dem Vertrieb von Parfüms ein weiteres Luxusgut integriert. Die Zusammenarbeit läuft mit der spanischen Firma Idesa Parfums und dem Münchener Unternehmen ITF, das Angelini 2013 komplett übernimmt.Der Hersteller beschäftigt rund 4000 Mitarbeiter und produziert alleine in Italien an drei Standorten. In Ancona werden feste, flüssige und halbfeste Arzneiformen, Kosmetika und Medizinprodukte hergestellt, die Wirkstoffproduktion befindet sich in Aprilia, das Desinfektionsmittel Amuchina wird in Casella bei Genua produziert. Seit 1993 steht mit Francesco Angelini der Enkel des Firmengründers an der Spitze, der von Beruf Apotheker ist.