In der Woche des „Cyber Monday“ – immer der Montag vor Thanksgiving – starten Online-Shops traditionell mit besonderen Rabattaktionen in das Weihnachtsgeschäft. Für Apotheker, die mit Amazon kooperieren, fühlte sich das aus den USA importierte Marketing-Event in diesem Jahr eher nach einem Cyber-Angriff an. Quasi über Nacht wurden sie auf der Plattform als OTC-Händler gesperrt. Ein Versehen offenbar. Der Vorfall zeigt aber, welchem Risiko sich Einzelhändler aussetzen, die sich mit dem Versandriesen einlassen. Ein Kommentar von Alexander Müller.
Gestern Abend um kurz vor 10 erhielt ein Apotheker eine E-Mail von Amazon, dass seine Angebote am Morgen gelöscht würden. Für den Apotheker ein Schock: Zwar ist der Handel über den „Marketplace“ nicht sein Kerngeschäft, trotzdem hängen bei ihm bereits Arbeitsplätze daran. Wenn sich das Ganze jetzt als Versehen herausstellen sollte, wäre er mit dem Schrecken davon gekommen – seine Schlüsse könnte er trotzdem daraus ziehen.
Es gehört bislang zur Strategie von Amazon, fremde Händler auch dann auf der Plattform zu belassen, wenn Konkurrenzprodukte im eigenen Sortiment sind. Dem zugrunde liegt weniger der edle Gedanken eines möglichst fairen Wettbewerbs, diese Form des Plattformkapitalismus hat sich für Amazon einfach am besten bewährt. Immerhin verdient der Konzern so ohne großen Aufwand an jeder Bestellung mit, und das nicht schlecht.
Und viele machen mit, einfach weil die Reichweite der Plattform in so absurde Höhen vorgedrungen ist, dass sich die horrenden Provisionen für die Händler trotzdem rentieren können. Aber jeder Deal, jedes Päckchen bleibt ein Geschäft von Amazons Gnaden.
Und seine Gunst kann der Konzern jederzeit wieder entziehen. Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln mussten das vor einiger Zeit erfahren. Als es rechtliche Unklarheiten wegen der Kennzeichnung gab, nahm Amazon vorübergehend überhaupt keine neuen Produkte mehr auf. Wehe dem, der eine Neueinführung oder sein ganzes Geschäft auf diesen Partner gestützt hatte.
Es gibt keine Garantie, dass Amazon seine derzeitige Strategie bis in alle Ewigkeit oder über jedes Sortiment ewig weiterverfolgt. Juristische Einschätzungen der Rechtsabteilung können sich ändern, Marktverhältnisse ebenfalls. Vielleicht kauft sich Jeff Bezos eine Versandapotheke, vielleicht gründet er eine eigene. Vielleicht lässt er andere auf seiner Plattform mitspielen, vielleicht nicht alle, oder nicht mit allen Produkten. Es ist die alte Geschichte vom Huhn, das jeden Tag gefüttert wird und nicht damit rechnet, dass ihm eines Morgens der Kopf abgeschlagen wird.
Wenn Apotheker und andere Einzelhändler denken, sie könnten sich über eine Allianz mit Amazon retten, ist das ein gefährlicher Irrglaube. Amazon will niemanden retten, keine Branche, keinen Berufsstand. Schon vor 500 Jahren hat Machiavelli die Fürsten davor gewarnt, sich mit dem Mächtigsten der Mächtigen zu verbünden. Irgendwann wird man zertreten. Allerdings gehört es mit Blick auf die heutigen Verhältnisse zur traurigen Wahrheit, dass es für die alternative Strategie – viele Kleine verbünden sich gegen den Großen – schon zu spät sein könnte.
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