Alexa wird zum Apotheker, zumindest wenn es nach Amazon geht: Der Internetgigant hat ein Patent für eine neue Software erhalten, mit der der sprachgesteuerte Assistent selbstständig erkennen soll, ob der Nutzer krank ist oder wird – und ihm darauf basierend Produkte anbietet.
„Alexa, *hust*, ich habe Hunger *schnief*“, fragt die Frau aus dem Nebenzimmer. „Möchtest du ein Rezept für eine Hühnersuppe?“, fragt daraufhin der virtuelle Assistent. „Nein, danke“, erwidert sie. Doch Alexa hat noch mehr Vorschläge: „Ok, ich finde etwas anderes für dich. Übrigens, würdest du gern Hustenbonbons bestellen und sie innerhalb einer Stunde liefern lassen?“ Die Frau ist glücklich und bedankt sich bei dem Plastikkolben auf dem Tisch.
Die Szene entstammt keinem Werbefilm, sondern einer Illustration aus dem Patent „Voice-based determination of physical and emotional characteristics of users“ („Stimmenbasierte Feststellung körperlicher und emotionaler Eigenschaften von Nutzern“), das das US-Patentamt Amazon Technologies am 9. Oktober gewährt hat. Der Online-Versandkonzern aus Seattle will damit den Service für die Alexa-Nutzer erhöhen, eine neue Ertragsquelle erschließen und mehr relevante Kundendaten erheben. Dabei zielt das neue Feature explizit nicht nur auf den Verkauf von Hustenbonbons, sondern auch die Arzneimittelberatung.
Denn Alexa soll mit der neuen Software nicht nur feststellen können, ob jemand beispielsweise hustet – was ja technisch gar nicht so aufwendig wäre – sondern auch weniger auffällige Symptome wie einen trockenen Hals wahrnehmen und den Anwender dann basierend auf der Einbeziehung weiterer Nutzerdaten beraten können. Dabei sollen die neuen Algorithmen laut Patentbeschreibung gar in der Lage sein, indirekte Rückschlüsse zu ziehen und darauf aufbauend Vorschläge zu machen, auch wenn ein Nutzer noch gar nicht akut erkrankt ist. Ganz konkret wird dabei als Anwendungsgebiet auch die Einspielung von hochgradig personalisierter Werbung erwähnt.
So ist im Patent eine Situation beschrieben, in der ein Nutzer nach dem Wetter fragt. „Heute ist Schneeregen bei Temperaturen zwischen 0 und -7 Grad zu erwarten“, antwortet Alexa darauf. Aus der Kombination einer veränderten Stimme und der aktuellen Witterung soll die Software nun den Schluss ziehen können, dass beim Nutzer wahrscheinlich eine Erkältung im Anmarsch ist. „Übrigens, ich höre, dass du einen trockenen Hals hast. Hast du Interesse daran, Erkältungsmedikamente zu kaufen oder weitere Informationen zu erhalten?“, fragt die Computerstimme.
Bestätigt das der Nutzer, soll der virtuelle Assistent damit beginnen, Produkte vorzuschlagen und dabei Hersteller, Preis und Kundenbewertungen vorzustellen. Welche Produkte dem Nutzer dabei vorgeschlagen werden, hängt dann auch davon ab, welche sonstigen Daten zur Filterung anwendbarer Zielkriterien zur Verfügung stehen. Amazon nennt in der Patentschrift Alter, demographische Daten und Browserverlauf.
Doch nicht nur Erkältungs- und andere Bagatellkrankheiten soll der Algorithmus erkennen können, sondern auch schwerwiegendere emotionale Veränderungen wie Depressionen. Dazu wird der normale Stimmverlauf gespeichert und als Normalwert festgelegt. Abweichungen von diesem soll das System dann erkennen können. Wer also über längere Zeit traurig klingt, dem kann Alexa eventuell irgendwann noch vor den nächsten Menschen den Rat geben, sich Hilfe zu suchen – theoretisch zumindest. Denn ob der patentierte Algorithmus angesichts der – selbst für US-Verhältnisse – massiven Datenschutzbedenken je auf den Markt gebracht wird und wenn ja, wann, steht bisher noch nicht fest.
Der Einsatz der Technologie könnte aber der nächste Mosaikstein in Amazons mutmaßlicher Strategie sein, den Arzneimittelmarkt zu erobern. Bereits seit mehreren Jahren wird darüber spekuliert, was genau der Megakonzern vor hat. Unter dem Arbeitstitel „1492“ hatte er bereits verschiedene Optionen durchgeplant und auch erste Pilotprojekte gestartet, beispielsweise Ende 2016 die Lieferung von OTC-Medikamenten im Großraum Seattle mit dem Schnelllieferdienst Prime Now, die in Zusammenarbeit mit der Apothekenkette Bartell Drugs erprobt wurde.
Der bisher größte Paukenschlag war die Übernahme der Versandapotheke Pillpack Ende Juni dieses Jahres. Pillpack ist spezialisiert auf die Betreuung von Patienten, die Arzneimittel auf Rezept bekommen: Die Firma stellt die Medikamente zusammen, verblistert sie tag- und stundengerecht und organisiert den Versand. Außerdem verfügt Pillpack über eine ausgefeilte Software zur zeitgerechten Versandsteuerung.
Damit brachte Amazon zuallererst die Apothekenriesen in den USA in Zugzwang, auch wenn zumindest Walgreens-Patriarch Stefano Pessina das bestritt. Die beiden dominierenden Apothekenkonzerne – Walgreens Boots Alliance (WBA) und CVS – beschleunigen seitdem ihre Digitalisierung: Allein in den letzten Monaten starteten sie Telemedizinangebote, Kooperationen mit dem chinesischen Amazon-Pendant Alibaba und ein neues Pick-up-Projekt in Zusammenarbeit mit der Supermarktkette Kroger.
APOTHEKE ADHOC Debatte