Pessina übernimmt die Macht

Berlin -

Wer übernimmt wen? Diese Frage habe sich Kritiker im Zusammenhang mit dem Kauf von Alliance Boots durch die US-Apothekenkette Walgreens immer wieder gestellt. Wenige Wochen vor der außerordentlichen Hauptversammlung, auf der über die komplette Übernahme entschieden werden soll, wird bekannt, dass nicht Walgreens-Chef Greg Wasson, sondern Boots-Patriarch Stefano Pessina die Nummer 1 wird. Vorübergehend jedenfalls.

Zwischen Weihnachten und Neujahr müssen die Aktionäre auf einer außerordentlichen Hauptversammlung entscheiden, ob sie noch einmal Milliarden US-Dollar für die komplette Übernahme ausgeben. Mehrere gewerkschaftsnahe Pensionsfonds kritisieren den hohen Preis – und warnen vor einer Übermacht der Europäer.

An der Spitze des Konzerns sollte eigentlich Wasson stehen. Pessina sollte als Vize die Verantwortung für Strategie sowie Fusionen und Akquisitionen übernehmen. Im Vorstand waren außerdem mehrere Manager von beiden Konzernen vertreten. Alliance-Handelschefin Ornella Barra sollte für das Großhandelsgeschäft und das Apothekengeschäft außerhalb der USA verantwortlich bleiben.

Doch jetzt teilte der Konzern überraschend mit, dass Wasson nach dem Abschluss der Transaktion ausscheiden wird. An seiner Stelle wird Pessina Konzernchef – gleichzeitig soll die Suche nach einem neuen CEO begonnen werden.

Dass Pessina nicht auf Dauer die formale Nummer 1 bleiben wird, gilt als sicher. Denn der 73-Jährige zieht lieber im Hintergrund die Fäden, statt sich an vorderster Front um das Tagesgeschäft zu kümmern. In den USA dürfte die Nachricht trotzdem für eiskaltes Entsetzen sorgen, ist doch spätestens jetzt klar, wer beim globalen Pharmahändler das Sagen hat.

Erst umarmen, dann einverleiben: So funktioniert das „Prinzip Pessina“ seit Jahren. Wann immer sein Unternehmen für die Übernahme eines Konkurrenten zu klein war, schloss der italienische Nuklearingenieur Allianzen – die Macht übernahm er hinterher. So geschehen bei Alliance Santé, Alliance UniChem und Alliance Boots.

Bei Walgreens Boots Alliance ist Pessina künftig mit 16 Prozent der Aktien größter Anteilseigner. Der Italiener hat sich regelrecht in das Unternehmen geschlichen: Den ersten Teil des Deals schloss er mit Wasson und dem Rest des Managements im Alleingang; nur über die komplette Übernahme dürfen die Aktionäre jetzt formal mit entscheiden. Auch wenn Pessina mit seinen Stimmrechten keine Entscheidungen im Alleingang treffen kann, so ist er doch der mit Abstand größte Aktionär. Der Rest der Aktien befindet sich komplett in Streubesitz.