„Aktionsbündnis Apotheken-Rettung“: Kanzleien werben um AvP-Kunden Tobias Lau, 20.10.2020 15:03 Uhr
„Das ist auch für einen erfahrenen Insolvenzverwalter kein gewöhnliches Verfahren“, sagte AvP-Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos eine Woche nach seiner Bestellung und meinte damit neben dem medialen Interesse vor allem die hohen Forderungen und die hohe Zahl der Gläubiger. Entsprechend werden auch außergewöhnliche Maßnahmen nötig, um bestmögliche Ergebnisse für die Gläubiger herauszuholen: In Berlin haben sich jetzt drei renommierte Kanzleien mit unterschiedlicher Expertise zusammengetan, um ein möglichst starkes Gläubigerbündnis zu schmieden.
„Es ist das alte Prinzip ‚teile und herrsche‘: Je kleiner die Interessengruppen sind, desto weniger haben sie zu sagen“, erklärt Professor Dr. Christian Dierks. „Sowohl der Insolvenzverwalter als auch das Gericht haben eine bestimmte Vorstellung von der Höhe der Forderungen. Wenn man als Einzelanwalt auftritt und sagt, dass man Forderungen in Höhe von 120.000 Euro vertritt, hat man weniger Gewicht als der Anwalt dutzender Apotheken mit Forderungen in Millionenhöhe. Das ist ein Anteil mit hoher Relevanz, der nicht ignoriert werden kann – wenn man eine bestimmte Größe erreicht, wird man beachtet.“
Dierks vertritt seit 25 Jahren auch Apotheken – bis 2017 mit Dierks+Bohle, seit 2018 mit seiner eigenen Kanzlei Dierks+Company – und hatte dementsprechend in den vergangenen Wochen einige Anfragen von Mandanten, die nun in der AvP-Schuldenfalle sitzen.
Schnell sei ihm jedoch klar geworden, dass es in dem Fall eines größeren Ansatzes bedarf. „Wir haben Expertise im Apothekenrecht, sind aber keine Insolvenzrechtsexperten.“ Also kontaktierte Dierks Professor Dr. Volker Römermann, einen der bundesweit renommiertesten Insolvenzanwälte und seit über 20 Jahren Vorstandsvorsitzender des Instituts für Insolvenzrecht. „Herr Römermann ist eine Kapazität auf seinem Gebiet, hat bereits mehrere Konzerne vertreten und einen der wichtigsten Kommentare im Gesellschaftsrecht verfasst. Wir haben uns dann zusammengesetzt und relativ schnell festgestellt, dass wir mit zwei oder drei Apotheken nicht entsprechend im Gläubigerausschuss sprechen können. Wir brauchen also mehr Mandanten – und einen weiteren Partner.“
So kam der dritte Player ins Spiel: die Kanzlei Gansel aus Berlin. Mit über 300 Mitarbeitern ist die nicht nur eine der größten Kanzleien in Deutschland, sondern auch die wichtigste Instanz für Massenschadensfälle. „In der Diesel-Affäre hat Gansel 27.000 Klagen in kürzester Zeit erstellt und anhängig gemacht“, sagt Dierks. „Das kann niemand sonst in Deutschland. Es lag also auf der Hand, ein Bündnis zu schmieden.“ Gemeinsam haben die drei Kanzleien deshalb am Dienstag offiziell das „Aktionsbündnis Apotheken-Rettung (AvP)“ aus der Taufe gehoben und wollen es nach eigenen Angaben zu einem „zentralen Interessenvertreter für betroffene Apotheken“ ausbauen.
Gemeinsam geht das Bündnis nun auf Mandantensuche. „Die betroffenen Apothekerinnen und Apotheker sind völlig unverschuldet in diese Situation geraten“, sagt Dierks. „Was sie jetzt brauchen ist eine kompetente Vertretung ihrer Interessen, damit ihr Geld nicht einfach im Insolvenzverfahren verschwindet. Genau dafür haben wir das Aktionsbündnis ins Leben gerufen. Mit der langjährigen Erfahrung unserer drei Kanzleien werden wir die Ansprüche bündeln und eine starke Position im Insolvenzverfahren aufbauen.“
Das Aktionsbündnis wirbt damit, allen betroffenen Apotheken die Durchsetzung ihrer Ansprüche ohne finanzielles Risiko zu ermöglichen. Dazu gebe es zwei Möglichkeiten: Entweder trägt eine eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung die Kosten der Rechtsverfolgung oder ein Prozessfinanzierer kann das vollständige Kostenrisiko übernehmen. Lediglich im Erfolgsfall müsse dann ein Teil des gewonnenen Anspruchs an den Finanzierer abgeben werden.
Auch Zusatzleistungen können Apotheken optional in Anspruch nehmen, etwa eine Beratung zur Liquiditätssicherung oder die anwaltliche Vertretung gegenüber Lieferanten. „Denn nur die Forderungen dem Insolvenzverwalter zu melden, greift in vielen Fällen zu kurz“, erklärt Dierks.
„Eine entscheidende Frage für das Fortbestehen des Betriebs ist oft die, wie der Forderungsausfall durchgereicht werden kann. Hier schauen wir uns die jeweiligen Verträge an und beraten die Apotheken. Das geht weiter bis zur Liquiditätssicherung und Fragen danach, was die Apotheke beispielsweise bei Verhandlungen mit dem Finanzamt tun kann.“ Diese Leistungen seien allerdings in der Regel nicht von der Rechtsschutzversicherung erfasst und können auf der Basis einer individuellen Honorarvereinbarung abgerechnet werden. Unabhängig von der Finanzierung erhielten die teilnehmenden Apotheken jedoch stets vollständige Kostentransparenz zu den einzelnen Schritten.
Eine besondere Herausforderung aufseiten der Juristen sind dabei die unterschiedlichen Vertragstypen, die das Abrechnungszentrum über die Jahre mit seinen Kunden abgeschlossen hat. „AvP hat über die Jahre eine Vielzahl verschiedener Vertragskonstellationen geschaffen. Diese komplizierte Struktur und die Verbindung aus Apotheken- und Sozialversicherungsrecht sind nicht einfach zu durchdringen. Jetzt kommt zusätzlich noch das Insolvenzrecht ins Spiel“, erklärt Römermann. „Knapp über zehn verschiedene Vertragstypen“ gebe es nach bisherigem Stand, hakt Dierks ein. Die Frage steht deshalb im Raum, inwiefern überhaupt alle Gläubigerapotheken mit einer Stimme sprechen können, falls deren Interessen sich unterscheiden. Dass es innerhalb der Gläubigergruppe zu Konflikten kommen könnte, glaube er hingegen nicht, sagt Dierks: „Wir werden nicht alle über einen Kamm scheren, sondern ganz spezifisch auch die Interessen der einzelnen Apotheken akribisch würdigen und durchsetzen.“
Das oberste Ziel der Aktion sei es vorerst, eine möglichst starke Position im Insolvenzverfahren aufzubauen, um die Ansprüche der geschädigten Apotheken bestmöglich durchzusetzen – je mehr Betroffene mit an Bord sind, desto größer ist der Einfluss im Insolvenzverfahren, beispielsweise im Gläubigerausschuss oder in der Gläubigerversammlung. Auch Verhandlungen mit den anderen Akteuren und dabei insbesondere dem Insolvenzverwalter sollen dadurch auf Augenhöhe stattfinden und eine wirksame Kontrolle der Vorgänge ermöglichen. „Der Anwalt muss die Stimme seiner Mandanten artikulieren und konkret fragen, welche Gelder wann wohin geflossen sind – und wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass das nicht hätte passieren dürfen, muss das angefochten werden. Unsere Aufgabe ist, das alles minutiös und lückenlos zu prüfen“, sagt Dierks. „Wir wollen den Kuchen, den es zu verteilen gilt, möglichst groß machen.“
Auf seiner Internetpräsenz hat die Kanzlei Gansel deshalb nun ein Online-Portal eingerichtet, in dem sich betroffene Apotheken für eine Vertretung registrieren können. Zur Eröffnung des AvP-Insolvenzverfahrens sollen in den nächsten Wochen zuerst die individuellen Ansprüche aller registrierten Apotheken geprüft werden. Anschließend wird die Geltendmachung dieser Ansprüche gegenüber dem Insolvenzverwalter vorbereitet. Im dritten Schritt sollen dann ab Dezember die Interessen der Apotheken im Gläubigerausschuss und in der Gläubigerversammlung vertreten werden – nach Hoffnung der drei Kanzleien möglichst von ihrem Aktionsbündnis.