Ärzte und Hersteller gegen Nebenwirkungen.de Tobias Lau, 15.08.2019 12:20 Uhr
Das Start-up Medikura erfreut sich mit Nebenwirkungen.de, seinem Portal zur Meldung unerwünschter Arzneimittelwirkungen, stetigen Wachstums – und erhält nun Gegenwind. So hält die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) gar nichts von dem Modell und schießt in einer Stellungnahme scharf gegen das Portal. Auch der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) scheint mindestens verwirrt vom Vorgehen der Münchner. Geschäftsführerin Dr. Friderike Bruchmann sieht ein Missverständniss. Für die Kritik der AkdÄ findet sie allerdings deutliche Worte: Sie zeichnet ein Bild von antiquierten Strukturen, die sich aus Eigennutz gegen digitale Innovationen stellten.
Das Münchner Start-up hat sich zum Ziel gesetzt, die Meldung von Nebenwirkungen durch Patienten zu erleichtern und so deren Zahl und damit letztlich die Datengrundlage zu verbessern. Damit fischt es gewissermaßen im selben Teich wie die AkdÄ. Die hält entsprechend wenig von dem Geschäftsmodell. Deutschland verfüge bereits über „ein gesetzlich etabliertes und wirksames System, um Nebenwirkungen zu erfassen“, so die AkdÄ. „Die Beteiligten an diesem System sind untereinander vernetzt, ihre Aufgaben sind durch gesetzlich verankerte Vorschriften festgelegt, deren Erfüllung kontinuierlich überprüft wird.“
Das mag prinzipiell stimmen, erwidert Bruchmann. Doch deswegen sei das System noch lange nicht so wirksam wie behauptet, wendet sie ein. „Das jetzige Meldesystem führt zu einem Underreporting von 95 Prozent“, erklärt sie auf Anfrage. „Die AkdÄ macht inhaltlich einen richtig tollen Job, aber das jetzige System ist nicht für die ganze Gesellschaft skalierbar. Da fehlen Technologie, Convenience und User Experience. Man könnte auch sagen, das System als solches funktioniert nicht und wir machen es funktionabel.“ Auch für die sonstigen Kritikpunkte der AkdÄ habe sie kein Verständnis.
So sieht die Kommission ein Problem in der privatwirtschaftlichen Ausrichtung des Start-ups. „Die Verarbeitung und Vermittlung von sensiblen medizinischen Daten von einzelnen Patienten im Zusammenhang mit der Arzneimittelsicherheit durch ein gewinnorientiertes Unternehmen der Datenverarbeitung wird von der AkdÄ abgelehnt“, heißt es da. Auch sei unklar, welche zusätzlichen Kosten für die öffentliche Gesundheit entstehen, wenn private Unternehmen Nebenwirkungsmeldungen innerhalb des bestehenden Systems weitervermitteln. Es sei für die AkdÄ nicht ersichtlich, welchen Nutzen Medikura zum bestehenden System beisteuere: „Die Arzneimittelsicherheit ist ein Anliegen der öffentlichen Gesundheit. Sie sollte in den Händen öffentlicher und nicht gewinnorientierter Organisationen verbleiben, wobei die Arzneimittelhersteller dabei ihre gesetzlich festgelegten Aufgaben zu erfüllen haben.“
Bruchmann hält das für vorgeschobene Argumente, erzählt sie. „Jemandem zu unterstellen, dass er gewinnorientiert arbeitet, ist etwas, das man dem Großteil der Gesundheitsbranche vorwerfen könnte, angefangen bei der Versorgung der Patienten“, so die promovierte Betriebswirtin. Die Anspielung auf möglicherweise steigende Kosten geht ihrer Auffassung nach völlig an der Realität vorbei. „Was wir machen, ist, Prozesse zu digitalisieren, automatisieren, intelligent umzustrukturieren und zu optimieren“, sagt sie. „Das kann per definitionem Kosten nur senken.“
Doch die AkdÄ argumentiert nicht nur mit Kosten, sondern auch Sicherheit. Im Arzneimittelrecht sei im Gegensatz zu den Auditierungen bei Herstellern keine staatliche Kontrolle für Unternehmen wie Medikura geregelt. „Auch wir müssen auditiert werden, um mit Arzneimittelherstellern zusammenzuarbeiten“, wendet Bruchmann ein. Es scheint allerdings, als seien die momentan auch nicht allzu gut auf Bruchmanns Unternehmen zu sprechen. Am Mittwoch griff der BAH das Thema auf: Medikura habe gegenüber Herstellern angegeben, dass die Seite mittlerweile „offiziell von Behördenseite anerkannt“ worden sei, berichtet der Herstellerverband. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hätten auf Anfrage klargestellt, dass es keine offizielle Anerkennung im Sinne einer Akkreditierung gebe.
Das mag stimmen, räumt Bruchmann auch hier ein. Nur beruhe die Anfrage auf einem Missverständnis: „Es stimmt, dass keine offizielle Akkreditierung vorliegt – die brauchen wir auch gar nicht.“ Medikura habe das gegenüber Arzneimittelherstellern niemals behauptet. „Es wurde aber behördenseitig mitgeteilt, dass die Plattform einen solchen Bekanntheitsgrad erreicht hat, dass Hersteller die Meldungen entgegennehmen müssen und bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten aktiv bemüht sind, diese zu überprüfen.“ Nicht mehr und nicht weniger sei behauptet worden.
Doch auch da endeten die Missverständnisse anscheinend noch nicht. Der BAH habe nämlich von seinen Mitgliedsunternehmen „kürzlich erfahren, dass Medikura momentan sehr bestrebt ist, die Pharmakovigilanz-Systeme pharmazeutischer Unternehmen umzustellen“, so der Verband. Das Start-up habe gegenüber den Herstellern angegeben, es sei eine Umstellung von deren Systemen notwendig, um einen ordentlichen Ablauf der Weiterleitung und Erfassung der Nebenwirkungsmeldungen seitens der Hersteller zu ermöglichen. Auch das habe man nie behauptet, beteuert Bruchmann. „Wir wollen nicht deren Systeme umstellen, sondern haben unseres umgestellt“, sagt sie. „Wir haben unsere Weiterleitung der Meldungen auf die digitale Infrastruktur upgegradet.“ So seien die Meldungen bisher als Pdf-Dateien an die Unternehmen geschickt wurde, kämen nun jedoch als Link. „Wir sind ein IT-Dienstleister, wir machen keine Pharmakovigilanz.“
Während die Kritik des BAH laut Bruchmann auf Missverständnissen beruht, sieht sie bei der AkdÄ vielmehr einen Konflikt der Generationen: „Die AkdÄ hat Angst, dass wir sie überflüssig machen“, sagt sie. „Solche Akteure blockieren aus Angst vor Veränderung junge Gründer, die das Gesundheitssystem verbessern wollen.“ Bereits vor anderthalb Jahren habe sie der AkdÄ Gespräche und sogar eine kostenlose Einbindung in die Meldeplattform Nebenwirkungen.de angeboten – darauf sei die aber niemals eingegangen.
Dass das Start-up vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und der EU gefördert wird, spreche hingegen eine eigene Sprache. „Diese Förderung würden wir nicht erhalten, wenn wir kein nachhaltiges Geschäftsmodell hätten.“ Statt sich auf Neuerungen einzulassen, stellten sich die etablierten Akteure auf dem Gebiet aber quer, kritisiert Bruchmann: „Die blockieren die Innovationskraft des Landes, das ist wirklich frustrierend.“