Abschied von Island Patrick Hollstein, 22.03.2012 12:55 Uhr
Durch geschickte Zukäufe hatte sich das isländische Pharmaunternehmen Actavis nach der Jahrtausendwende vom Lohnhersteller zur Nummer 4 im weltweiten Generikamarkt entwickelt. Dann nahm Firmenmagnat Björgólfur Thor Björgólfsson den Konzern von der Börse – wenige Monate vor dem Zusammenbruch des isländischen Bankensystems. Als Hauptgläubiger übernahm die Deutsche Bank die Macht bei Actavis und verlegte die Konzernzentrale prompt in die Schweiz. Jetzt könnte der US-Konzern Watson das Ruder übernehmen.
1956 gründete eine Gruppe isländischer Apotheker die Einkaufsgemeinschaft Pharmaco. 1960 stiegt das Unternehmen in die Produktion von Arzneimitteln ein. Weil das isländische Patentgesetz es erlaubte, Generika bereits vor Patentablauf zu entwickeln, machte sich die Firma international als Lohnhersteller einen Namen. Auch große deutsche Firmen kauften in Island.
1999 investierte Björgólfsson, Spross einer von zwei großen isländischen Familiendynastien und erster Milliardär des Landes, in den Pharmahersteller, der damals mit 150 Mitarbeitern einen Umsatz von 57 Millionen Euro machte.
Björgólfsson hatte durch Brauereigeschäfte in Russland den Grundstein seines künftigen Imperiums gelegt und war bereits beim bulgarischen Generikahersteller Balkanpharma investiert. Er fusionierte die Unternehmen und setzte den Manager Robert Wessman als Konzernchef ein.
Wessman trieb die rasante Expansion voran, kaufte zunächst in Malta, Serbien, den skandinavischen Ländern sowie in der Türkei und in Polen. Im Mai 2004 wurde der Kunstname Actavis eingeführt, weltweit wurden die Tochterunternehmen umbenannt. Da sich Wessmans Portemonnaie nie zu leeren schien, ging die Einkauftstour weiter: Die Isländer kauften Vertriebsfirmen in Tschechien, Ungarn und der Slowakei, einen Großhändler in Bulgarien, Forschungslabors in Indien.
Gleichzeitig gelang Wessman der Einstieg in den US-Markt, dem heute größten Absatzmarkt des Unternehmens. Später kaufte der Konzern in Rumänien und Russland zu. Mit der Übernahme der Generikasparte Alpharma/Isis (Pentalong) betrat Actavis im Dezember 2005 den deutschen Markt. Der Durchbruch kam mit der ersten Tranche der AOK-Rabattverträge im April 2007.
Zu diesem Zeitpunkt hielt Björgólfsson über seine Beteiligungsfirma Novator 39 Prozent des Aktienkapitals; über Vertraute kontrollierte er jedoch die Mehrheit. Im Juli 2007 nahm Björgólfsson den Konzern von der Börse – für 4,7 Milliarden Euro. Der Großteil der Darlehen kam von der Deutschen Bank, mit der der Milliardär seit Jahren zusammengearbeitet hatte. Dann kam die Finanzkrise.
Als die isländische Bank Landsbanki pleite ging, wurde es für Björgólfsson eng. Die 41-prozentige Beteiligung soll eines der größten Investments des Milliardärs gewesen sein. Im Oktober 2008 – Wessmann hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst verabschiedet – machten Gerüchte über einen Notverkauf oder eine Zerschlagung von Actavis die Runde. Der Konzern dementierte eifrig; dennoch gab es eininge Bereinigungen; im März 2010 etwa verkaufte Actavis den bulgarischen Großhändler Higia.
Auch eine Zwangsverwaltung durch die Deutsche Bank wurde seitens des Konzerns stets dementiert. Doch nachdem eine Fusion mit Ratiopharm gescheitert war, ging es Schlag auf Schlag: Im Juni 2010 übernahm der ehemalige Ratiopharm-Chef Dr. Claudio Albrecht die Führung des Herstellers; gleichzeitig wurde der Umzug der Hauptverwaltung in die Schweiz bekannt gegeben. Bei der Einzugsfeier in den „Orange Power Tower“ in Zug war auch Björgólfsson anwesend – mehr als Gast denn als Gastgeber.
Rein formal fungiert die neue Konzernzentrale derzeit als Zweigniederlassung einer luxemburgischen Actavis-Holdinggesellschaft. Rechtlich gesehen ist der viertgrößte Generikahersteller der Welt damit ein isländisches Unternehmen. Noch.